Haldern. Luzie und Ulli Uebbing sind Regenten der St. Josefs-Schützen in Haldern. Seit mittlerweile 20 Monaten. Ein Rekord, der auch ein wenig schmerzt.

Wer regiert eigentlich Haldern? Auf dem Papier ist’s klar: Das 5500-Einwohner-Dorf gehört zur Stadt Rees. Faktisch ist es wohl ein Netzwerk, geflochten aus Strippen, an denen viele ziehen. Die Kirche, die Betriebe, die Landwirte und natürlich die Vereine. Neben dem HSV, dem Halderner Sportverein, gehört die St. Josef-Schützenbruderschaft mit ihren knapp 800 Mitgliedern zu den großen Vereinen im Dorf. Deren Vorsitzender heißt folgerichtig Brudermeister, aber in der Öffentlichkeit stehen andere: Das Königspaar nämlich. Eigentlich wechselt die sehr repräsentative Monarchie Jahr für Jahr..

Doch in Haldern ist die Königswürde seit 2018 in einer Familie. In diesem bemerkenswerten Fall von Erbmonarchie hat König Ulrich den Thron von seinem Schwiegersohn geerbt. Im Sommer 2019 holte Ulrich Uebbing, der für alle Ulli heißt, den Rumpf des Holzvogels von der Stange.

Prinzenpaar waren sie 2011, Königspaar sind sie von 2019 bis ..?

In Haldern ist die Schützenkönigin traditionell die Partnerin. Also stehen da Luzie und Ulli vor ihrem Haus am Rand des Dorfes. Unten wohnt die Schwiegermutter, oben wohnen sie: Der coronakonforme Weg führt außen über eine stählerne Wendeltreppe auf den Balkon und von dort ins Dachgeschoss. Am Geländer hängt eine stilisierte Narrenkappe: Vor zehn Jahren waren Luzia und Ulli das Prinzenpaar im Halderner Karneval. Erst Prinzessin und Prinz, zehn Jahre später Königin und König – viel mehr Karriere ist in Haldern kaum möglich. Ulli Uebbing ist außerdem Trainer beim HSV, im Kirchenchor und im Aufsichtsrat des Pflegeheims – bestens vernetzt also.

Der König stapft die enge Wendeltreppe hinauf. „Seit einer Woche ohne Krücken“, kommentiert seine Frau. Ende Mai letzten Jahres, morgens um 5 Uhr auf dem Weg Richtung Xanten, kurz vor der Reeser Rheinbrücke, rammte ihn der Fahrer eines Kleintransporters von seinem Motorroller in die Leitplanke: Mehrfacher Trümmerbruch des linken Unterschenkels. Ulli Uebbing ist Krankenpfleger. Er weiß: „Früher hätte man das Bein amputiert.“

Sieben Operationen hat er über sich ergehen lassen müssen, zwischendurch Knochenentzündung, vier Wochen in Duisburg in der Klinik. Kontakt mit der Familie per Telefon und WhatsApp, ab und an ein kurzer Besuch.

Weihnachten konnte „Queen Mum“ zum ersten und einzigen Mal ihren Urenkel sehen

Zu Anfang, das gibt er ja zu, hat er Corona in seinem Job als Herausforderung gesehen: Gemeinsam das Josefs-Krankenhaus in Xanten fit machen für das, was da kommt. Mittlerweile überwiegt ein leises Gefühl des Verlustes. „Wir haben unser Enkelkind erst einmal gesehen“, entfährt es Königin Luzia Uebbing während des Gesprächs. Der Sohn lebt mit Frau in Hamburg, Weihnachten waren sie dann mal kurz da – damit ihre Mutter, Mitte 80 und gewissermaßen Queen Mum, endlich einmal ihren Urenkel im Arm halten konnte. Was dann auch wieder bedeutet, für den zweiten Sohn wie für Tochter und Familie: Wir müssen an diesem Weihnachtstag draußen bleiben.

Auf der Suche nach positiven Dingen fällt Luzie Uebbing vor allem eines ein: Homeoffice. Luzia Uebbing arbeitet im Bürgeramt der Stadt Rees. Drei Tage pro Woche ist sie im Rathaus, daheim macht sie Telefondienst. Bürgeramt - bedeutet: Ummeldungen, Personalausweise, Pässe braucht ja kaum einer. Vor allem aber: „Wir sind der erste Ansprechpartner. Und auch, wenn wir nicht zuständig sind – anhören müssen wir es uns ja doch“, sagt sie. Die Nachfragen nach Impfterminen gehören dazu. Rees hat kein Gesundheitsamt, die Aufgabe liegt beim Kreis Kleve.

Homeoffice: Ein bisschen mehr Landluft – und sie kann nach der Mutter sehen

Klar war es abwechslungsreicher bei der Arbeit, wenn das ganze Team beieinander war und man zwischen Arbeit am Rechner und direktem Kundenkontakt wechseln konnte. „So aber kann ich nach meiner Mutter sehen“, sagt sie. Und sie hat die frische Landluft um sich. Die heute, dem günstigen Wind sei Dank, gerade mal nicht nach Jauche riecht. Ulli Uebbing hält derweil ein kurzes Schwätzchen mit einem Bekannten im Elektro-Rollstuhl. „Die beiden haben sich gegenseitig aufgebaut, als das mit dem Laufen nicht klappen wollte“, erzählt Luzie über das Jahr des Beinbruchs und des Lockdowns, das eigentlich ein Festjahr fürs Königspaar werden sollte. „Vielleicht klappt es ja diesen Sommer mit dem Schützenfest“, hofft sie. Und wenn nicht – na gut, dann hängen sie halt noch ein Jahr Regentschaft dran. „Eigentlich fehlt uns ja noch ein halbes Jahr Zeit als Königspaar.“ Mit den vielen Feiern. „Ich möchte mal wieder tanzen und klönen, bis es wieder hell wird.“

Sogar die Hochzeit der eigenen Tochter war um 21 Uhr beendet. Messe im kleinen Kreis, ein nettes Abendessen mit der engsten Familie. Auf dem Schrank steht das Hochzeitsalbum. Ein ungeöffneter Piccolo hält die Seiten auf: „Mit Abstand zum Fotografen konnten sie sich immerhin ohne Maske fotografieren lassen“, erzählt sie.

Der älteste Bruder aus Hamburg konnte nicht einmal zur Feier kommen, musste plötzlich in Quarantäne – Corona im Kollegenkreis. Und König Ulli Uebbing seufzt: „Ich konnte meine einzige Tochter nicht zum Altar führen.“ Daran war allerdings das Bein schuld. Aber dennoch hat sich das Coronajahr so angefühlt als wäre man auf Krücken unterwegs. Nicht wahr?

Lesen Sie hier die weiteren Folgen aus der Serie „Lockdown auf dem Land":