An Rhein und Ruhr. Drei Ruhrgebietsstädte haben in NRW die höchsten Infektionsraten. Ein Zufall? Wir erklären, welchen Einfluss die Einwohnerdichte hat.

Die Rechnung ist simpel: Je weniger Kontakte, desto geringer das Risiko einer Ansteckung. Die Politik versucht deshalb, Begegnungen im privaten und öffentlichen Raum auf ein Minimum zu reduzieren – mal mit verschärften Corona-Regeln, mal mit eindringlichen Appellen an die Bevölkerung. Doch gerade in dicht besiedelten Städten lassen sich Kontakte in Bus und Bahn oder vor der eigenen Haustür nur bedingt vermeiden. Um zu überprüfen, welchen Einfluss die Einwohnerdichte auf die Zahl der Corona-Infektionen hat, haben wir beide Werte in einer Grafik gegenübergestellt.

Das Ergebnis: Nicht nur bei der Bevölkerungsdichte liegt das Ruhrgebiet weit vorne. Die Städte im größten Ballungsraum Deutschlands verzeichnen, gemessen an der Einwohnerzahl, überdurchschnittlich hohe Infektionsraten in NRW. So haben sich in Herne (3,52 Prozent), Gelsenkirchen (3,47) und Duisburg (3,45) prozentual betrachtet die meisten Bürger mit Corona infiziert. Alle drei Städte zählen zu den am dichtesten besiedelten Kommunen in NRW. Herne belegt mit 3039 Einwohnern pro Quadratkilometer sowohl bei der Infektionsrate als auch bei der Einwohnerdichte den ersten Platz.

Zum Vergleich: Von den 20 Städten und Kreisen mit der niedrigsten Infektionsrate haben 19 eine Bevölkerungsdichte unter 800. Im Kreis Soest, der im landesweiten Vergleich mit 1,43 Corona-Fällen pro 100 Personen den letzten Platz belegt, leben durchschnittlich 227 Einwohner pro Quadratkilometer. Münster ist die einzige Stadt in NRW, die trotz vergleichsweise hoher Einwohnerdichte (1038) eine Infektionsrate unter zwei Prozent (1,58) aufweist. Die 19 restlichen Plätze am Tabellenende sind allesamt Kreise.

Einzelne Cluster können Infektionsrate stark beeinflussen

Doch wie aussagekräftig sind diese Zahlen? „Auf dieser unsicheren Wissens- und Datenbasis eine Einordnung zu treffen, ist schwierig“, warnt Duisburgs Stadtsprecher Jörn Esser. „Zumal mit Stand heute 25 Kommunen in NRW eine höhere 7-Tage-Inzidenz aufweisen als dies in Duisburg der Fall ist.“ Bis September lag die Inzidenz in Duisburg nur leicht über dem landesweiten Schnitt. Dann stiegen die Corona-Fälle Ende Oktober explosionsartig an. „Dennoch kann festgehalten werden, dass engere Wohnverhältnisse und berufliche Tätigkeiten in Bereichen mit vermehrten Personenkontakten ein Treiber für das Infektionsgeschehen sein können“, so Esser.

Wie schnell sich die Infektionsrate aufgrund eines einzelnen Ereignisses verändern kann, zeigt sich in den Kreisen Gütersloh und Heinsberg. Als sich im Juni im Fleischunternehmen Tönnies zahlreiche Leiharbeiter mit dem Coronavirus infizierten, stieg die Inzidenz im Kreis Gütersloh auf über 300. Der Kreis Heinsberg erlangte gleich zu Beginn der Corona-Pandemie bundesweite Berühmtheit. Eine Knappensitzung in Gangelt hatte den 7-Tage-Wert zeitweise auf über 150 katapultiert. Auch Ausbrüche in Altenheimen könnten die Zahl der Corona-Fälle – und somit auch die Infektionsrate – stark beeinflussen, erklärt Esser.

Trotzdem sehen einige Experten einen Zusammenhang zwischen der Bevölkerungsdichte und dem prozentualen Anteil an Infektionsfällen. So hatte Prof. Nico Dragano, Medizinsoziologe am Uniklinikum Düsseldorf, erst kürzlich im NRZ-Gespräch auf das Problem enger Wohnverhältnisse hingewiesen. Auch der Kreis Wesel beobachtet in seinen Städten und Gemeinden einen ähnlichen Trend. „Den Daten kann entnommen werden, dass das Infektionsrisiko in den städtischen Verdichtungsräumen offensichtlich höher ist als im ländlichen Raum“, heißt es in einer schriftlichen Antwort.

Herne: Viele Corona-Fälle in Pflegeheimen und Krankenhäusern

Ähnliches berichtet Andrea Zinke, Sprecherin der Stadt Münster: „Es liegt auf der Hand, dass das Corona-Risiko überall dort, wo sich viele Menschen auf engem Raum begegnen, größer ist als dort, wo sich unter ansonsten gleichen Bedingungen weniger Menschen begegnen.“ Die Stadt Münster halte sich aber mit „einfachen Ursache-Wirkung-Aussagen“ zurück. Dass die Infektionsrate bislang in Münster vergleichsweise niedrig ist, habe verschiedene Gründe. So würden sich die Bürger sehr diszipliniert an die Abstandsregeln halten. Außerdem habe die Stadt als eine der ersten in NRW eine allgemeine Maskenpflicht im öffentlichen Raum eingeführt.

Die Stadt Herne – Platz eins im NRW-Ranking – gibt sich bei der Ursachenforschung zurückhaltend. „Mit Sicherheit gibt es viele Einflussfaktoren, die das Infektionsgeschehen mitbestimmen“, so Sprecherin Nina-Maria Haupt. „Ob die Einwohnerdichte eine Rolle spielt, können wir nicht mit Sicherheit sagen.“ Derzeit könne die Stadt nur spekulieren. Ein Großteil der Infektionen sei in Herne aber insbesondere während der zweiten Infektionswelle in geschlossenen Systemen wie Pflege- und Altenheimen und Krankenhäusern aufgetreten – allesamt Einrichtungen, die unabhängig von der Einwohnerdichte zu betrachten seien.

>>> Zahlen und Daten

Die Angaben zur Gesamtzahl der Infektionen pro Stadt und Kommune basieren auf den Daten des Landeszentrums Gesundheit NRW und beziehen sich auf alle laborbestätigten Covid-19-Fälle (Stichtag: 21. Januar 2021). Bei der Bevölkerungszahl wurde auf Informationen des Landesbetriebs IT.NRW zurückgegriffen. Stichtag war hier der 30. Juni 2020. Die Infektionsraten könnten somit je nach Bevölkerungszuwachs bzw. -rückgang leicht variieren.