An Rhein und Ruhr. In Duisburg und Essen zeigt sich bei den Infektionen ein Nord-Süd-Gefälle. Die Gründe sind vielfältig, sagt Experte Prof. Nico Dragano.
Es ist ein Trend, der sich mehr und mehr verfestigt: In ärmeren Vierteln registrieren die Gesundheitsämter die meisten Corona-Fälle. Auch in Duisburg und Essen, wo die Infektionszahlen seit einigen Wochen nach Bezirken aufgeschlüsselt werden, zeichnet sich ein Nord-Süd-Gefälle ab. Doch wieso kommt es ausgerechnet in ärmeren Stadtteilen häufiger zu Infektionen? Gibt es in einigen Bezirken eine geringere Akzeptanz der Corona-Vorschriften?
„Dass die Inzidenz in Bezirken höher liegt, in denen das Durchschnittseinkommen geringer ist, überrascht mich nicht. Wir haben solche Berichte aus vielen Städten weltweit“, sagt Prof. Nico Dragano, Medizinsoziologe am Uniklinikum Düsseldorf. „Es gibt auch Daten aus Deutschland, zum Beispiel Bremen, die diesen Trend zeigen.“
In Duisburg verzeichneten die Bezirke Hamborn und Meiderich/Beeck im Dezember teils doppelt so hohe Inzidenzwerte wie Duisburg-Mitte oder Duisburg-Süd. Anfang Januar kamen die meisten Infektionen aus Rheinhausen. Auch dort ist die Arbeitslosenquote in einigen Stadtteilen überdurchschnittlich hoch. Das Infektionsgeschehen sei aber „mit großer Vorsicht zu betrachten“, so Stadtsprecher Jörn Esser. Die Zahlen seien nicht konstant. Zudem würden Ausbrüche in Altenheimen oder bei großen Arbeitgebern das Bild verzerren.
Wohnform, Familiengröße und Beruf beeinflussen Infektionsrisiko
Auch in Essen stecken sich tendenziell mehr Bürger im Norden an – sowohl bei den absoluten Zahlen als auch proportional zur Einwohnerzahl. Vor einigen Wochen lag der Stadtbezirk 5 mit Altenessen, Karnap und Vogelheim vorn. Mittlerweile gibt es die meisten Infektionen im Stadtbezirk 4 mit dem Großraum Borbeck – wenngleich der Bezirk laut Stadtsprecherin Silke Lenz mit Stadtteilen wie Borbeck, Bedingrade oder Schönebeck durchaus als „gutbürgerlich“ bezeichnet werden könne.
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Die Stadt Oberhausen beobachtet Unterschiede in der Inzidenz in erster Linie im Zusammenhang mit der Einwohnerdichte. „Die Übertragung des Virus erfolgt von Mensch zu Mensch“, so Sprecher Martin Berger. Je mehr Kontakte, desto höher sei das Ansteckungsrisiko. Daher seien die Wohnform, Familiengröße und der Beruf wichtige Faktoren.
Lenz hält die Wohnsituation ebenfalls für relevant: „Leben mehrere Menschen auf engerem Raum zusammen, ist das Einhalten der notwendigen Hygienemaßnahmen schwieriger.“ Darüber hinaus würden laut Dragano Supermärkte und Drogerien in ärmeren Stadtvierteln stärker frequentiert. Die Bürgerinnen und Bürger kämen somit unweigerlich mit mehr Menschen in Kontakt.
Arme Patienten haben häufiger schwere Krankheitsverläufe
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Das zeige sich auch beim Thema Homeoffice: „Die Chance, während der Pandemie von zu Hause zu arbeiten, ist sehr ungleich verteilt“, erklärt Dragano. Kassierer, Pfleger, Handwerker oder andere vergleichsweise schlecht bezahlte Berufsgruppen müssten weiterhin zur Arbeit fahren. Und seien dabei überdurchschnittlich häufig auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen. „Es ist nicht so leicht, die Mobilität einzuschränken, wenn Sie wenig Ressourcen haben.“
Christoph Rupprecht von der AOK Rheinland/Hamburg führt die erhöhten Infektionszahlen in ärmeren Bezirken ebenfalls auf enge Wohnverhältnisse und „mangelhaft sozial abgesicherte Arbeitsverhältnisse“ zurück. Der Leiter des Stabsbereichs Politik – Gesundheitsökonomie bei der AOK hatte im Sommer 2020 zusammen mit Dragano eine Corona-Studie betreut. Das Ergebnis: Bezieher von Arbeitslosengeld II hätten ein um 84 Prozent, Arbeitslosengeld-I-Empfänger ein um 17,5 Prozent erhöhtes Risiko für einen Corona-bedingten Krankenhausaufenthalt.
„Ärmere Patienten leiden häufiger unter Vorerkrankungen“, erklärt Dragano. Das begünstige einen schweren Krankheitsverlauf. Dass die erhöhte Zahl der Corona-Fälle in ärmeren Bezirken womöglich ein Indiz für eine geringere Akzeptanz der Corona-Regeln sein könnte, sei hingegen eine nicht belegte Behauptung. „Bei der Impfbereitschaft sehen wir sogar häufig, dass Menschen aus ärmeren Schichten eher bereit sind, sich impfen zu lassen“, sagt Dragano. „Das Beispiel Ischgl zeigt, dass mangelnde Akzeptanz der Corona-Regeln keine Frage des Einkommens ist“, bekräftigt Rupprecht.
>>> Experte: Kein pauschales Urteil über Migranten möglich
Die Infektionszahlen ermöglichen laut Medizinsoziologe Dragano keine Rückschlüsse auf das Verhalten von Migranten oder bestimmten Religionsgruppen. „Das lässt sich so pauschal nicht beantworten. Denken Sie beispielsweise an asiatische Länder, in denen die Menschen sehr sensibilisiert für die Pandemie-Bekämpfung sind.“ Bei Migranten seien strukturelle Faktoren zu beachten, weil sie „häufig ärmer und prekär beschäftigt sind“. Das hab sich zum Beispiel bei den Massenausbrüchen in mehreren Schlachtbetrieben gezeigt.