Schermbeck. Das Ergebnis ließ aufhorchen: In Schermbeck holten die Spaßvögel von der „PARTEI“ mehr Mandate als die SPD. Und jetzt machen sie ernst...
An dem Tag, an dem die USA ihren neuen Präsidenten wählen, ist man in Schermbeck schon weiter: In der Sporthalle der Gesamtschule (coronakonformer als der Ratssaal) konstituiert sich der neue Rat, der eine landesweite Besonderheit aufweist: Neben Petra Felisiak und Dieter Michallek von der SPD werden Timo Gätzschmann, Marc Overkämping und Manuel Schmidt von der PARTEI sitzen: Sie hat in Schermbeck die SPD geschlagen. Wie kann so etwas passieren und wie fühlt sich das an? In der Fahrschule des PARTEI-Parteichefs war Platz genug für ein Gespräch mit Stephan Hermsen.
Frau Felisiak, Herr Overkämping, wer von Ihnen war am Wahlabend überraschter?
Petra Felisiak: Ich musste arbeiten, hatte Spätdienst und habe das nur so sporadisch mitbekommen. Dass wir Federn lassen würden, war mir klar. Dass es so heftig werden würde, habe ich nicht gedacht.
Marc Overkämping: Es mag vermessen klingen, aber ich war guten Mutes, dass wir zweistellig werden. Die anderen haben zwar gesagt, du spinnst, aber ich war optimistisch. Dass wir vor der SPD landen, hatte ich allerdings nicht erwartet.
Was ist da passiert? Haben Sie eine Erklärung?
Felisiak: Ein Punkt war, dass wir keinen Bürgermeisterkandidaten hatten, keine Person, an der man das Programm festmachen kann und auch keinen Dialogpartner in den Podiumsdiskussionen. Unser Kernthema soziale Gerechtigkeit bekommen wir vor allem den jüngeren Wählern nicht gut vermittelt. Wir haben in Schermbeck noch knapp 60 Mitglieder, der Altersschnitt ist über 60. Einige unserer aktivsten Mitglieder haben uns verlassen, zwei sind zu den Grünen gegangen und zwei zur „Partei“. Es fiel uns schwer, Leute zu aktivieren, das ist der „Partei“ einfach sehr gut gelungen. Und sie haben einen Kontrapunkt zu etablierten Parteien gebildet, das ist ihnen gut gelungen.
Overkämping: Ich bin seit 2015 Mitglied der PARTEI, konnte mir bei dem Eintritt noch nicht vorstellen, irgendwann aktiv Politik zu machen. In 2017 gab es noch die Ansicht, dass ein Mandat eigentlich eher ein Unfall ist. Eigentlich wollen wir nur anpieksen, das kann man aber mit Mandat, vielleicht sogar besser. Die PARTEI bezeichnet sich als extreme Mitte, es sollte eigentlich nichts rechts oder links von uns geben. Die Prozente, die wir vermutlich von der SPD haben, hätte ich lieber woanders geholt. Wir sind eher gegen die CDU angetreten mit der Devise: Dem Platzhirsch das Moos vom Horn kratzen.
Was erklärt den PARTEI-Erfolg bei der Kommunalwahl in Schermbeck?
Overkämping: Die großen Erfolge hatten wir in Orten wie Schlangen, Bad Laasphe und eben hier in Schermbeck – also in kleineren Orten und mit einem realpolitischen Ansatz. Ich irgendwann gesagt, ich habe da doch Bock drauf und habe Freunde angesprochen, und die haben mitgemacht. Wir waren schnell 13,14 Leute. Ich bin hier der Dorf-Fahrlehrer, wir haben Gastwirte, IT-Experten, selbstständige Handwerker, den Stammesvorstand von den Pfadfindern – Gesichter aus Schermbeck. Ich war sicher: Wenn wir verkauft kriegen, dass wir trotz aller Satire unsere Sachthemen ernstnehmen, dann wird das was.
Das wird mit der Satire schwierig, wenn in einer Kommune Sachthemen die Debatte bestimmen.
Overkämping: Der Ansatz wird sein, dass wir sachliche Anträge stellen, aber der Redebeitrag oder die Pressemitteilung dazu satirisch wird. Wir haben alle Bock auf Schermbeck, haben auch einen gestalterischen Anspruch und wollen nicht nur Klamauk. Die Spaßpartei ist ja eigentlich die FDP.
Frau Felisiak, leiden Sie darunter, für alles verantwortlich gemacht zu werden, was auf Bundesebene passiert?
Felisiak: Das ärgert einen schon, dass man mitverantwortlich gemacht wird. Auf lokaler Ebene fällen wir Entscheidungen schon nach den Grundwerten der SPD, aber wir sind auch nicht mit allem glücklich, was auf Bundesebene passiert.
Overkämping: Ich finde Olaf Scholz echt schwierig, trotzdem wäre es Quatsch, die SPD-Leute vor Ort dafür verantwortlich zu machen.
Frau Felisiak, sind Sie eifersüchtig, auf die PARTEI?
Felisiak: Eifersüchtig nicht, aber es ist natürlich toll, dass die Partei da so eine homogene Truppe zusammenhat. Die haben die gleiche Denkweise. Zumindest hier in Schermbeck haben wir eine Truppe, in der viele Ältere sind, die das nicht mehr alle so leisten können. Die Personalfrage ist vielerorts generell ein SPD-Problem, nicht unbedingt an der Spitze. Wir können uns aber nicht plötzlich so präsentieren wie die PARTEI. Vielleicht haben aber viele die Theorie, dass Politik ernst sein muss. Was die Inhalte angeht, vielleicht. Aber die Präsentation kann man verändern.
Denkt die SPD vielleicht einfach nicht populistisch genug – im Sinne von: unterhalten, mitreißen?
Felisiak: Mag so sein, kann ich nicht beurteilen.
Overkämping: Ich finde Populismus furchtbar – es sei denn, er dient meiner Sache. Ich bezeichne mich auch mit 47 noch als Punk. Mit einem Irokesenschnitt in die erste Ratssitzung zu gehen, das würde mir gefallen. Aber das habe ich noch nicht zu Ende gedacht. Wenn man verheiratet ist, bedeutet das: Ich habe das noch nicht mit meiner Frau besprochen. Ich habe nicht das Gefühl, ich müsste zu allem etwas wissen. Es mag naiv klingen, aber ich liege deswegen nachts noch nicht wach.
Felisiak: Ich habe mir Ratsarbeit vor sechs Jahren anders vorgestellt. Sinn der Politik ist für mich: In dem Ort, in dem ich lebe für viele Menschen möglichst viel zu erreichen. Wir haben daher auch Vorschlägen der CDU zugestimmt, weil sie gut für Schermbeck waren. Ich kann nicht einfach nur anders stimmen, weil ich Opposition sein möchte. Das mag manchmal wirken wie ein Kuschelkurs.
Overkämping: Das mag so sein. Aber ich hoffe, dass wir uns da nicht allzu schnell rundschleifen. Wir müssen jetzt liefern, gemäß unserem Slogan: Haltung, Humor, haben voll Bock auf Schermbeck.
Wenn Sie Ihrem jüngeren Ratsmitglied drei Tipps geben dürfen – welche wären das?
Felisiak: Das Allerwichtigste: nicht von Ihrer Linie abweichen. Aber abwägen, welche Auswirkungen eine Entscheidung für andere hat: Kann ich das allen gegenüber vertreten --und nicht nur einer Gruppe gegenüber? Zum dritten würde ich Ihnen noch ein paar Frauen wünschen.
Overkämping: Wir haben es mit Frauenstammtischen versucht und schon Totaloperationen erwogen. Das ist bundesweit ein Problem der PARTEI, hier vor Ort leider auch.
Und Ihre drei Vorschläge für eine bessere Situation der SPD?
Overkämping: In der Position, der SPD Tipps zu geben, sehe ich mich nicht. Aber Die PARTEI schreibt das S in SPD bewusst klein, weil wir finden, dass die sPD das sozial so wenig ernst nimmt wie die cDU das „christlich“. Um zu zeigen, für welche Werte sie mal angetreten sind. Wenn sie das noch täten, müsste es uns vielleicht nicht geben.