Kreis Kleve. Kriminalbeamter im LKA, Schiri in der Bundesliga – doch Guido Winkmann will einen anderen Job: er kandidiert im Kreis Kleve. Als Unparteiischer.
Der Abend läuft etwas anders als erwartet. Fußballgucken samt Interview mit Bundesliga-Schiedsrichter Guido Winkmann, während Bayern gegen Chelsea läuft. Das war der Plan. Denn der Mann hat Großes vor: Der 47-Jährige will Landrat im Kreis Kleve werden. Als Unparteiischer – im Wortsinne. Guido Winkmann gehört keiner Partei an, hat keine Wählervereinigung im Rücken. Ein Sololauf – mit ungewissem Ausgang. Warum macht der Mann das?
Zwischenstand nach 60 geredeten Minuten: Das mit dem Fußballgucken hat gut geklappt, das mit dem Interview weniger. Rückblick: Es ist wie im Stadion: Der Schiri betritt als erster den Platz, geht gleich in die Offensive: „Ich bin Guido, wenn das okay ist für dich“, sagt er, noch bevor wir die Kneipe, das „Schwarze Pferd“ betreten haben. „Ist so üblich unter Sportlern.“
Das Gelderner Lokal ist von Winkmanns Wohnort Kerken mutmaßlich die nächstgelegene Kneipe, die das Spiel zeigt. Gastwirt und Schalke-Fan Jürgen Giesen freut sich über den prominenten Gast, hat gleich mal ein paar Fragen. Natürlich ist ein pensionierter Lehrer zur Stelle und der Fotograf hat es auch nicht eilig, wenn Guido Winkmann erzählt. Das Interview wird Kneipengespräch: Fußball, Politik bei (mehrheitlich) alkoholfreiem Bier.
„Wenn alle dich sprechen wollen, hast du Grütze gepfiffen.“
Winkmann ist es gewohnt im Fokus zu stehen. Der Mann hat Stadien betreten, wo einen Zehntausende meist auspfeifen und es das höchste Lob ist, nicht aufgefallen zu sein. „Wenn nach dem Spiel der Aufnahmeleiter vom Fernsehen kommt und sagt: Alle wollen dich sprechen, spätestens dann weiß ich: Ich hab Grütze gepfiffen.“ Ähnlich stellt er es sich als Landrat vor: „Wenn ich da in eine Pressekonferenz komme und der Saal ist voll, weiß ich, dass der Baum brennt.“
Nichts, wovor ihm bange ist: „Ich bin immer so, auf dem Platz und auch im Büro“. Er setzt den Sprüchen Sprüche entgegen und verteilt lächelnd gelbe und rote Karten – kleine Geschenke für Gäste. Warum macht der Mann das? Er könnte noch ein Jahr Bundesligaschiedsrichter sein, trainiert für den Fitnesscheck kommende Woche und – wie man so sagt – hat Vertrag als Videoreferee. Und ehrlich gesagt, sein anderer Beruf: „Kriminalhauptkommissar mit Führungsfunktion beim Landeskriminalamt (LKA) in der TaskForce Bekämpfung Finanzierungsquellen organisierter Kriminalität“ klingt auch nicht langweilig.
Aber so ein wenig nach einem Law-and-Order-Mann. Winkmann winkt ab. Erstmal stellt er klar: „Alles, was ins Extremistische nach links oder rechts geht, ist nicht nur im Abseits, sondern verdient einen Platzverweis“. Sein Rollenverständnis ist nicht das des meist ungeliebten schwarzen Mannes: „Als Schiedsrichter bin ich Dienstleister für ein gutes Spiel“, sagt Winkmann. „Und so sehe ich auch meine Aufgabe als Landrat.“
Vorm Anpfiff marschiert der Fotograf mit ihm nach draußen. Ein paar Meter entfernt steht eine von 16 großen Plakatwänden (je eine pro Kommune im Kreis) mit seinem Porträt. „Selbst gemacht, mit ein paar Freunden“, sagt er. Keine Firmengelder im Rücken, keine Agentur, keine Partei, 20.000 Euro privates Geld investiert in seinen Wahlkampf. Reicht für die Plakatwände und 600 Plakate an Laternen. Nicht viel für einen Landkreis, für dessen Durchquerung man locker 75 Minuten mit dem Auto braucht.
Kein Straßenwahlkampf aus Sorge vor Verletzungen der Corona-Regeln
In der Linken hat er auf den Plakaten einen Kartenfächer – mehr als nur rot und gelb. „Die Karten symbolisieren die Ideen der anderen Parteien“, sagt er. Das Beste aufnehmen, ins Spiel bringen und so den Kreis nach vorn bringen. „Rudi Assauer hat mal gesagt: Wenn der Schnee geschmolzen ist, sieht man wo die Kacke liegt. Corona ist der geschmolzene Schnee. Wir sehen jetzt, wo es überall noch hakt.“
Digitalisieren, Synergien heben, schneller werden – so will Winkmann den Kreis Kleve nach vorn bringen. Straßenwahlkampf will er nur sehr eingeschränkt machen, er rechnet damit, als Einzelkämpfer nicht alle Regeln einhalten zu können: „Plötzlich stehen da vier, fünf Leute um dich rum, jemand macht ein Foto und dann heißt es : Der Winkmann hält die Corona-Regeln nicht ein.“
Fußballkenntnis allein reicht nicht, das weiß auch Winkmann und hebt seine Arbeit im LKA hervor: „Ich kenne die Strukturen von Behörden, weiß wie sie arbeiten und wer mit wem redet und wer eben auch nicht.“ Die Betrugsstrukturen beim Ergaunern von Sozialleistungen aufzudecken, ist eine seiner Aufgaben. „Und sich klar machen, was passiert bei Gesetzesänderungen – wie wird versucht, diese zu umgehen? Welche Werkzeuge brauchen wir da?“ fragt sich Winkmann und will, dass der Kreis Kleve – nicht nur in dieser Angelegenheit – mindestens einen Spielzug vorausdenkt.
Vor ein paar Monaten hat er einen Einsatz koordiniert, rund 100 Beamten an einem Tag 18 Stunden im Einsatz Objekte in der Region durchsucht, Millionenbeträge in Geld und Schmuck sichergestellt. „Geht nur, wenn man sorgfältig und strukturiert plant – und dennoch muss man in der Situation vor Ort entscheiden.“
So wie ein gut vorbereiteter Schiedsrichter. Mittlerweile läuft in München das Spiel. Nach zehn Minuten die erste kribbelige Szene. Lewandowski stürzt über den Keeper. Abseits oder Elfer? Winkmann prognostiziert: „Jetzt greift der Video-Schiri ein, dann gibt es gelb und Elfmeter.“ Treffer für Winkmann: eine Minute später ist auch der rumänische Kollege in München soweit.
Bald führen die Bayern souverän, das Viertelfinale winkt. Winkmann hingegen will ins Finale: Im Wahlkampf ist sein erstes Ziel die Stichwahl – ein Drittel der Stimmen müsste dafür reichen, meint er. Er hofft auf Stimmen aus dem Südkreis – die Gegend um Geldern fühlt sich von der Kreisstadt im Norden oft übersehen. Dazu will er rechtsrheinisch in Emmerich und Rees punkten. Und glaubt auch, dass CDU -Wähler im Raum Kleve für ihn stimmen, die mit ihrer Kandidatin nicht recht warm werden.
2001 prognostizierte man ihm: „Höher als Regionalliga wirst du nie pfeifen.“
In der Nähe ist er großgeworden: Er kommt aus dem sechs Kilometer von Kleve entfernten Dörfchen Nütterden. Als er acht war, verlor er seinen Vater. Ein paar Jahre später entdeckte der begeisterte Fußballer: „Schiedsrichter – ich glaube, das kann ich“. Er lag richtig: 2001 war er der beste Oberliga-Schiri in NRW. Doch man prophezeite ihm: „Höher als Regionalliga wirst du nie pfeifen.“
Winkmann stieg dennoch auf – bis in die Bundesliga. Erste Partie: Cottbus gegen Hoffenheim. Keine Paarung, die Fußballfans elektrisiert. Winkmann erzählt von jenem 16. August 2008 noch heute mit leuchtenden Augen. Wenn jetzt die gute Fee käme und ihm anbietet. Du wirst nicht Landrat, aber pfeifst das Champions-League-Finale? Winkmann schüttelt den Kopf: „Ich habe mich entschieden, ich will das hier machen.“
Abpfiff in München, der Schiri dort hatte weniger zu tun als Winkmann. Und Verlängerung in Geldern. Der Wirt will die Rechnung übernehmen, Winkmann lehnt ab. „Ich lasse mich nie einladen.“ Die Sache mit der Unabhängigkeit. Schiri oder Landrat – Hauptsache unparteiisch. Aber mit einem Pfiff im Mittelpunkt. Könnte Winkmanns Idee fürs Spiel des Lebens sein.