An Rhein und Ruhr. Mit dem Fahrrad kann man am Niederrhein gut unterwegs sein. Auch der Rhein lässt sich so ganz nah erfahren – vor allem zwischen Wesel und Orsoy.

Der erste Weg auf den Deich zeigt zwei Dinge. Erstens: Der Niederrhein ist nicht überall so flach, wie es schon fast sprichwörtlich heißt. Zweitens: Die Corona-Zwangspause im Fitness-Studio hat ihre Spuren hinterlassen – sowohl was Muskeln, als auch was Kondition angeht. Mehr schlecht als recht geht es auf die Deichkrone. Oben angekommen entschädigt der Blick für die Mühen.

Zur einen Seite blickt man weit in die Landschaft des Niederrheins mit satten Grüntönen an Bäumen und auf Weiden. Auf einer der Wiesen sitzt ein gutes Dutzend Storche. Auf der anderen Seite fließt der Rhein. Die Wellen auf dem Fluss glitzern silbrig im Sonnenlicht.

Eine große Runde durch die Rheinauen

Inspiriert von einer Tourplanung des Radreviers Ruhr möchte ich den Rhein erfahren. Buchstäblich. Die Route führt am Ufer des Flusses zwischen Wesel und Orsoy entlang. Gut 60 Kilometer mit dem Rad. Als Radfahrer wird man dabei zwischen Mehrum, Ork und Spellen begleitet von Weg-Disteln und Doppelsamen, die den Wegesrand mit purpurnen und gelben Farbtupfern versehen. Einige der Pflanzen haben ihre besten Tage allerdings schon hinter sich. Vielleicht wäre dieser Anblick in den Frühlingstagen noch schöner gewesen.

Apropos schönere Anblicke: Auf einem kleinen Stück abseits des Deiches im Rheindorf Ork, einem Ortsteil von Voerde, wird gerade die Zeelink-Gaspipeline verlegt und stört ein bisschen den Eindruck der Natur entlang des Rheinufers. Es ist nicht das einzige Mal, dass mir die große Röhre auf dieser Rundfahrt begegnen soll.

Zwischen Industrie und Naturschauspiel

Die Auenlandschaft an der Mündung der Lippe kann mit dem Fahrrad durchquert werden. Hier sieht man besonders viele Wasservögel – und gelegentlich auch Schafe.
Die Auenlandschaft an der Mündung der Lippe kann mit dem Fahrrad durchquert werden. Hier sieht man besonders viele Wasservögel – und gelegentlich auch Schafe. © FUNKE Foto Services | Kai Kitschenberg

Der Weg führt weiter zum Deltaport-Hafen in Emmelsum. Dort könnte man lange auf die riesigen Frachtcontainer schauen, die hier in einer von außen undurchsichtigen Choreographie ihren Weg von und zu Schiffen finden. Als Kontrastprogramm wartet ein Eichhörnchen, das mitten auf dem Radweg sitzt und einige Meter vor dem sich nähernden Radfahrer herläuft, bevor es im Gebüsch am Wegesrand verschwindet.

Dieser Kontrast zwischen Natur und Industrie ist ein prägendes Element der Route um den Rhein. Wenn man von der Spellener Brücke aus die Schleuse Emmelsum und die davor liegenden Schiffe auf dem Rhein-Herne-Kanal beobachtet hat, taucht man in den Lippe-Auen wieder in eine reizvolle Landschaft ein. Hier warten diverse Wasservögel auf den vorbeifahrenden Beobachter. Ein Reiher gleitet majestätisch nur wenige Zentimeter über die Oberfläche eines der zahlreichen Gewässer hier hinweg. Ein Storch schwingt sich in die Lüfte.

Mit dem Fahrrad über den Rhein

Statt mit einer hölzernen Wurzel über den See geht es bei Wesel mit dem Drahtesel über den Rhein. Aus den Lippe-Auen kommend fährt man erstmal unter der Rheinbrücke her, bevor man diese dann überquert. Einer der wenigen Punkte auf der Strecke, bei der man mit dem vorbeiziehenden Autoverkehr in Kontakt kommt und es etwas lauter wird. Ansonsten bekommt man bei der Tour durch die Rheinauen kaum ein motorisiertes Fahrzeug zu Gesicht - von den Schiffen auf dem Fluss mal abgesehen - und kann in Ruhe die Landschaft genießen.

Kurz vor Büderich verschwindet der Fluss hinter einer Mauer. Der Hochwasserschutz hat hier Vorrang vor dem unverstellten Blick auf den Strom. Dafür kann man am Hotel und Restaurant Wacht am Rhein wieder einen ungehinderten Blick auf das Wasser werfen. Und befindet sich damit historisch in bester Gesellschaft. Denn von hier aus schauten schon Winston Churchill, Dwight D. Eisenhower und Bernard Montgomery über den Rhein. Gemeinsam von einem mittlerweile nicht mehr existierenden Balkon des 1888 erbauten Gebäudes, während alliierte Truppen den Fluss im Zweiten Weltkrieg überquerten. Danach setzten Churchill und Montgomery auf das andere Rheinufer über und landeten in Mehrum oder Spellen.

Ein zweites Treffen mit der Zeelink-Pipeline

In Richtung Rheinberg fällt der Blick auf die schier unendlich scheinenden Weiten der Auenlandschaft am Fluss. Das Grün der Bäume und Weiden wird nur durch die Fellzeichnung grasender Kühe unterbrochen. Und durch einige weiße Flecken, wo sich Schafgarbe auf den Wiesen breitgemacht hat. So geht es weiter bis zum Rheinberger Ortsteil Wallach. Hier ist erneut die Zeelink-Pipeline zu sehen. Mit größeren Auswirkungen als zuvor. Denn die Baustelle, an der die Röhre den Fluss quert, nimmt den Rheindeich in Beschlag. Radfahrer müssen hier also einen Umweg fahren. So geht es kurz durch den beschaulichen Ort und zurück auf den Rheindeich.

Die kurze Trinkpause an der Absperrung hier wird von zwei Mitarbeitern der Firma unterbrochen, die hier an der Baustelle arbeiten. „Sie brauchen es gar nicht zu versuchen. Da kommen Sie nicht durch“, sagt einer der beiden, nicht unfreundlich. Als ich versichere, dass ich die Baustelle gerade erst umfahren habe und keine Intention habe, mich nun durch die Absperrung auf die andere Seite zu bewegen, lächeln die beiden und wünschen mir ein schönes Wochenende.

Ein letztes Mal im Schatten rasten

Entlang der Rheinpromenade in Götterswickerhamm warten mit Strandhaus Ahr, Zur Arche und der Rheinwacht gleich drei gastronomische Angebote auf Radwanderer.
Entlang der Rheinpromenade in Götterswickerhamm warten mit Strandhaus Ahr, Zur Arche und der Rheinwacht gleich drei gastronomische Angebote auf Radwanderer. © FUNKE Foto Services | Kai Kitschenberg

In Rheinberg muss eine Pause her. Kurz auf eine Bank im Schatten einer Allee setzten. Ein älterer Herr mit Sonnenhut und Spazierstock kommt vorbei. „Es ist schön, hier im Schatten zu sitzen, oder?“, fragt er. „Ich gehe hier immer spazieren, weil es so schön schattig ist.“ Damit endet sein Monolog, denn er hat für die Worte seinen Gang nicht verlangsamt und ist daher vorbeigezogen.

Die Fahrt geht weiter in Richtung Orsoy. Ein Paar überholt mich mit Elektroantrieb. Der Mann blickt nach links ins Grün der Auenlandschaft. „Ist das nicht einfach schön hier?“, fragt er seine Begleiterin, hörbar begeistert von dem Blick in die grünen Weiten. Reizvolle Landschaften gibt es zwischen Rheinberg und Orsoy genug zu sehen. Allein es fehlt der Schatten, während man auf dem Weg am Fuß des Deiches entlang radelt. Eine kleine Entschädigung für die Sonne, die einen ungehindert auf den Pelz brennt, ist eine große Wasserfläche an der sich Schwäne, Enten, Reihe und eine Vielzahl anderer Wasservögel tummeln. Praktischerweise steht hier direkt eine Bank, so dass man sich das Treiben in Ruhe anschauen kann.

Mit Maskenpflicht zurück über den Fluss

Mit der Rheinfähre geht es von Orsoy zurück über den Rhein nach Walsum. „Bitte Masken aufsetzen!“, tönt es laut von der Fähre in Richtung Ufer. Denn es gilt hier, wie bei allen öffentlichen Verkehrsmitteln, Maskenpflicht. Und so schaut eine Horde gesichtsverhüllter Radler vom Schiff aus auf das Wasser. Oder zu den Türmen des nahen Kohlekraftwerks. Nirgends ist der Kontrast zwischen Natur und Industrie größer als hier, wo direkt am Fuße des Kraftwerks der Weg in Richtung der Rheinauen startet.

Diesem folgt man, wieder auf der Krone des Deiches mit Blick in die Rheinauen, bis zur Mündung der Emscher in den großen Fluss. Ein Stück durch den Wohnungswald, wo es angenehm kühl ist und dann am stillgelegten Steag-Kraftwerk Voerde vorbei weiter zur Rheinpromenade in Götterswickerhamm. Hier können Radler in gleich drei Restaurants je nach Tageszeit Mittagessen, Kaffee und Kuchen oder Abendessen genießen. Und einen letzten Blick auf den Fluss. Ein schöner Abschluss für den Ausflug ins Auenland.