Am Niederrhein. Corona-Krise hat Missstände am Niederrhein ausgeleuchtet. Jetzt informieren sich der Generalkonsul, der DGB und das Arbeitsministerium vor Ort.
Am Dienstag hat Frank Thon ein Erlebnis gehabt, das ihn nachdrücklich erschüttert hat. Er hat in Emmerich eine Unterkunft besucht, in der osteuropäische Leiharbeiter leben, die jenseits der Grenze in Schlachthöfen malochen. Was er vorfand, überstieg selbst seine schlimmsten Befürchtungen. „Diese Zustände müssen abgeschafft werden“, sagt der Gewerkschaftssekretär beim DGB Niederrhein.
Am Niederrhein leben in den grenznahen Kommunen tausende osteuropäische Leiharbeiter, die von niederländischen Zeitarbeitsfirmen angeheuert werden. Untergebracht werden sie häufig in heruntergekommenen Immobilien, die von den Zeitarbeitsfirmen günstig aufgekauft werden. Über 200 dieser Sammelunterkünfte sind am Niederrhein offiziell bekannt, es dürften tatsächlich mehr sein. In den Häusern werden oft zehn und mehr Leiharbeiter zusammengepfercht, pro Bett werden ihnen teils rund 340 Euro monatlich vom ohnehin dürftigen Lohn abgezogen.
Der DGB kritisiert seit Jahren die ausbeuterischen Verhältnisse, auch die Bürgermeister der betroffenen Kommunen machen seit langem auf die prekäre Situation der Menschen aus Bulgarien, Polen oder Rumänien aufmerksam. Bislang ohne großen Erfolg.
Der rumänische Generalkonsul kommt
Die Corona-Krise hat die Missstände grell ausgeleuchtet, weil es sowohl in deutschen wie auch in niederländischen Schlachthöfen zu Masseninfektionen gekommen ist. Landesarbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) ordnete flächendeckende Kontrollen von Sammelunterkünften an, sowie die Testung der dort lebenden Menschen. Damit soll es aber nicht belassen bleiben.
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Am kommenden Montag wird der rumänische Generalkonsul in Emmerich erwartet. Er soll dort mit Leiharbeitern zusammentreffen, die ihm über ihre Situation berichten. Bürgermeister Peter Hinze (SPD) erhofft sich von der Begegnung, „dass die rumänische Seite auf die Situation ihrer Landsleute aufmerksam wird“. Auch ein Vertreter des Landesarbeitsministeriums wird vor Ort sein.
Laumann: Fleischbranche hat jedes Vertrauen verspielt
Laumann erklärte auf Anfrage unserer Redaktion, dass die zum Teil „völlig unzureichenden Wohnquartiere“ der Leiharbeiter „immer auch ein wesentlicher Herd für die Ausbreitung des Virus“ sein könnten. Der Arbeitsminister bekräftigte zudem seine generelle Kritik an der Fleischbranche, deren Praktiken in Deutschland in den Niederlanden nicht wesentlich unterscheiden.
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Die Industrie habe immer wieder Besserung gelobt. An den grundlegenden Problemen habe sich jedoch so gut wie nichts verändert. „Hier ist für mich jegliches Vertrauen verspielt worden“, so Laumann. Daher sei er froh, dass die Bundesregierung nun ein weitreichendes Paket vorgelegt habe, um die Situation der Beschäftigten zu verbessern, etwa ein Verbot von Werkverträgen in der Fleischbranche.
Gewerkschaft fordert grenzüberschreitende Zusammenarbeit
„Maßnahmen wie höhere Bußgelder, bessere Kontrollmöglichkeiten in den Unterkünften und eine digitale Zeiterfassung lassen mich hoffen, dass wir das System der kollektiven Verantwortungslosigkeit in der Fleischwirtschaft endlich beenden können“, so der Landesarbeitsminister.
Diese Gesetzesänderungen gelten aber eben nur für Deutschland. Gewerkschafter Frank Thon, der ebenfalls am Montag in Emmerich sein wird, drängt deswegen auf eine bessere Zusammenarbeit zwischen den Behörden diesseits und jenseits der Grenze. Man brauche eine engmaschigere Verknüpfung, um zu verhindern, dass die „Grenze nicht verschleiert, was wirklich passiert“.
Zudem drängt Thon auf die Installation einer muttersprachlichen, aufsuchenden und aufklärenden Sozialarbeit in den grenznahen Kommunen, damit den Leiharbeitern erklärt werden kann, welche Rechte sie haben. Dies müsste beispielsweise der Kreis Kleve gewährleisten.
Bürgermeister sind wütend auf den Landrat
Die Klever Kreisverwaltung mit Landrat Wolfgang Spreen (CDU) an der Spitze hat jedoch in der Vergangenheit wenig Interesse gezeigt, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Emmerichs Bürgermeister Hinze und sein Reeser Amtskollege Christoph Gerwers (CDU) berichten, dass sie und andere Verwaltungschefs schon Mitte vergangenen Jahres vergeblich darauf gedrängt hätten, den Zeitarbeitsfirmen mit „Nadelstichen“ zuzusetzen, heißt: sie ständig zu kontrollieren. „Wir wurden immer zurückgewiesen“, so Gerwers.
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In der Corona-Krise hatte die Kreisverwaltung sich lange geziert, die Kontroll-Anordnung des Laumann-Ministeriums aus Mitte Mai umzusetzen. Gerwers musste sogar am 29. Mai bei den Ministern Ina Scharrenbach und Karl-Josef Laumann sowie Regierungsvizepräsident Roland Schlapka intervenieren. Erst daraufhin beschleunigten sich die Kontrollen im Kreis Kleve.