Rheinberg. In Ossenberg dürfen Spaziergänger an einer Stelle nicht mehr zum Rhein. Der Kreis betont den Naturschutz. Eine Initiative will einen Kompromiss.
Mit festem Griff umklammert Hildegard Pastoors ihren Stockschirm. Mit jeder Windböe kommt der Regen an diesem Vormittag aus einer anderen Richtung. Keine Chance, wirklich trocken zu bleiben. Doch der Regen, er ist nur Nebensache. Der Grund, warum sich die Rentnerin und ihr Ehemann Arno gemeinsam mit ihren drei Mitstreiterinnen Britta Krämer, Janina Pollmann und Martina Karthäuser bei diesem Schmuddelwetter auf dem Rheindeich treffen, liegt ein kleines Stück weiter nördlich. „Früher waren wir ganz oft hier, mittlerweile kommen wir gar nicht mehr.“
Hier – das ist das Rheinvorland bei Ossenberg. Wo Naturschutzgebiet an Naturschutzgebiet grenzt, wo der kleine Moersbach auf den großen Rhein trifft, da ist es selbst bei lästigem Dauerregen idyllisch schön. Doch die Welt ist hier schon länger nicht mehr in Ordnung. Denn es gibt Streit. Um eine kleine Grünfläche – nach Angaben des Kreises Wesel gerade mal 20 Hektar groß – nahe der Kläranlage Rheinberg. Das kleine Areal darf nicht betreten werden, zum Schutz der Tier- und Pflanzenwelt. Seit ein paar Monaten patrouillieren dort Ranger im Auftrag des Kreises Wesel, kontrollieren und verhängen im Zweifel auch Verwarngelder. Für Anwohner und Spaziergänger bedeutet das, dass sie an diesem Abschnitt nicht mehr zum Ufer kommen. Dagegen regt sich Protest.
Ein großes Stück Lebensqualität verloren
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Zunächst traf man sich zu wöchentlichen Protestspaziergängen, mittlerweile hat sich eine Bürgerinitiative gebildet, die Unterschriften sammelt und den Dialog mit der Politik sucht. „Wir fordern den Rhein zurück“, heißt es pathetisch auf der Webseite von „Contra Rheinuferverbot“. Denn jahrelang war der Zugang zu dem Gebiet für Spaziergänger möglich, sagen die Mitglieder der Initiative. „Das Betreten war schon immer verboten, wurde auf den Wirtschaftswegen aber geduldet“, erklärt Britta Krämer aus der Steuerungsgruppe der Initiative. Für sie und viele andere sei durch das strikte Verbot ein großes Stück Lebensqualität verloren gegangen.
Doch offenbar habe es viele Menschen gegeben, die sich nicht an die Regeln in Naturschutzgebieten halten, sagt Klaus Horstmann, Leiter des Fachdienstes Naturschutz, Landwirtschaft, Jagd und Fischerei des Kreises Wesel: „Leider wird das Betretungsverbot von Naturschutzgebieten in einigen Bereichen von zahlreichen Menschen, die es bisher einfach nicht besser wussten, bereits seit Jahren missachtet. Durch die erheblichen Störwirkungen ist in der Natur schon ein deutlicher Artenrückgang erkennbar geworden.“ Zusätzlich, so der Kreis, sei eine nachhaltige Entwicklung trotz „maßgeblichem Entwicklungspotenzials“ nicht möglich. „Versuche der für das Vogelschutzgebiet wertgebenden Vogelarten, sich in diesem Gebiet zu etablieren, sind so leider regelmäßig gescheitert.“ Deshalb sei der Einsatz der Ranger aus Sicht des Kreises notwendig und würde bei vielen Besuchern, aber auch Landwirten und den Deichverbänden positiv aufgenommen: „Sie versicherten mir, dass die Naturschutzgebiete durch die Aufklärungsarbeit der Ranger bereits viel ruhiger geworden seien.“
Grundsätzlich, so betonen es Krämer und ihre Mitstreiterin Janina Pollmann, habe man auch nichts gegen den Einsatz der Ranger, man begrüße ihn sogar. „Es gibt leider viele Menschen, die keine Rücksicht auf die Natur nehmen. Wir wehren uns aber gegen Kollektivstrafen.“ Außerdem beklagt die Initiative eine gewisse Scheinheiligkeit, „mit der uns der Kontakt mit der uns umgebenden Natur verwehrt wurde.“ Gemeint ist damit der neue Ruhehafen, der nur wenige hundert Meter weiter in einem ehemaligen Naturschutzgebiet entsteht, wie Britta Krämer verdeutlicht. An die Industrie habe man gedacht, die Rheinberger seien einfach vergessen worden.
Für den Unmut einiger Anwohner zeigt man beim Kreis durchaus Verständnis: „Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass sich Menschen, die sich über Jahre zur Erholung in den Gebieten aufgehalten haben, durch die Umsetzung von Verboten eingeschränkt fühlen – insbesondere dann, wenn sie keine Ausweichmöglichkeit sehen, beispielsweise für einen Spaziergang mit dem Hund“, betont Horstmann und verweist auf einen Zugang ganz in der Nähe: „Bei Stromkilometer 804,5 gibt es einen offiziellen Weg zum Rhein und am Rheinufer selbst gibt es einen Bereich, groß wie ein Fußballfeld, auf dem sich Mensch und Hund aufhalten können.“
„Wir wollen nicht ausgeschlossen werden“
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Keine geeignete Alternative, wie die Mitglieder der Bürgerinitiative sagen. Das Fleckchen sei zu klein und völlig überlaufen. Stattdessen machen sie sich für einen Kompromiss stark. Der Kreis solle die vorhandenen Wirtschaftswege, die durch das Areal führen, für Spaziergänger freigeben. „Wir wollen nicht ausgeschlossen werden“, sagen die Mitglieder der Steuerungsgruppe, „da hat man schon so eine Oase vor der Tür und darf sie nicht nutzen.“
Wenn es nach ihnen geht, dann solle das Gelände ähnlich behandelt werden wie das Naturschutzgebiet Bislicher Insel einige Kilometer weiter flussabwärts. „Das ist ein gutes Vergleichsobjekt“, sagt Krämer. Das Gebiet bei Xanten sei ebenfalls als spezielles Schutzgebiet für Tiere, Pflanzen und Lebensraumtypen (FFH-Gebiet) ausgewiesen und dürfe auf den ausgewiesenen Wegen zu Fuß, auf dem Rad und mit dem angeleinten Vierbeiner besucht werden.
Dafür sammelt die Bürgerinitiative seit einiger Zeit Unterschriften. Mehr als 1500 sollen es schon sein. Ende Oktober sollen sie dem Kreis übergeben werden. „Es geht hier um unsere Heimat“, betont Janina Pollmann. „Es geht nicht darum der Kreisverwaltung, der Biologischen Station oder dem RVR Ärger zu machen, sondern es geht darum, einen Kompromiss zu finden, mit dem alle Parteien zufrieden sein können.“ Sie und ihre Mitstreiter geben sich positiv: „Wenn wir nicht hoffen würden, dann würden wir das nicht machen“, so das Echo aus der Steuerungsgruppe. Beim Kreis hält man sich etwas bedeckt: „Die Menschen sollen den Rhein natürlich weiterhin als Erholungsort besuchen können. Ich bitte aber um Verständnis, dass das nicht an jeder Stelle geht“, sagt Klaus Horstmann.