Am Niederrhein. . Umweltschützer fürchten „Wild-West-Zustände“, wenn Grabungen jenseits sogenannter Vorranggebieten möglich werden. Branche regt runden Tisch an.

Wo könnte in den nächsten zweieinhalb Jahrzehnten in der Region noch nach Kies gegraben werden? Die neuen Regionalpläne und der in Überarbeitung befindliche Landesentwicklungsplan (LEP) stellen die Weichen dafür. Am Niederrhein gibt es Unruhe. Beispiel Kamp-Lintfort: „Hier soll Raubbau betrieben werden“, klagt der aufgebrachte Bürgermeister Christoph Landscheidt (SPD).

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Landscheidt verweist darauf, dass im Regionalplanentwurf fürs Stadtgebiet drei weitere potenzielle Grabungsflächen vorgesehen sind, in der Summe 160 Hektar. „Wertvolle niederrheinische Kulturlandschaft“ solle verschwinden, wichtige Erholungsgebiete für die Bürger: „Da ist ein richtiges Reiter-Eldorado dabei“, berichtet Landscheidt gegenüber der NRZ. Gemeinsam mit der Bürgerschaft wolle man sich gegen die Pläne wehren. Bereits heute seien in Kamp-Lintfort 290 Hektar Kiesabbaufläche – schon etwa ein Fünftel des Stadtgebietes: „Da sind potenzielle Wohnbau- und Gewerbegebiete in Löchern verschwunden.“

Ein wichtiger, aber endlicher Rohstoff

Umweltschützer warnen, dass die schwarz-gelbe Landesregierung Kiesabbau auch jenseits sogenannter Vorranggebiete möglich machen will. Dirk Jansen vom BUND befürchtet „Wildwest-Zustände am Niederrhein“: „Kies ist ein wichtiger, aber endlicher Rohstoff, den man auch noch in 50 oder 100 Jahren zur Verfügung haben muss.“ Über die Ausweisung von „Vorranggebieten mit Eignungswirkung“ habe man die

„Hier soll Raubbau betrieben werden, dagegen werden wir uns politisch wehren“, sagt Bürgermeister Christoph Landscheidt
„Hier soll Raubbau betrieben werden, dagegen werden wir uns politisch wehren“, sagt Bürgermeister Christoph Landscheidt © Volker Herold

Versorgung des Bedarfes bisher steuern können. „Wir befürchten, dass jetzt der Druck auf Schutzgebiete steigen könnte.“ Stattdessen müssten vielmehr Tabugebiete ausgewiesen werden, um sensible Umwelt zu schützen.

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Raimo Benger vom im Duisburg ansässigen Baustoffverband Vero hingegen geht davon aus, dass Abgrabungen jenseits von Vorranggebieten Ausnahmen sein werden – und dann ja einem aufwändigen Genehmigungsverfahren unterliegen. Benger verweist auf den derzeitigen Bauboom und die stark gestiegene Nachfrage nach Rohstoffen wie Sand und Kies. Da helfe es nicht, wenn frei nach dem St. Floriansprinzip Abgrabungen vor der eigenen Haustüre ausgeschlossen werden: „Am Niederrhein gibt es nun mal die stärksten und besten Vorkommen.“ 1500 Arbeitsplätze hingen an der Branche. Bei Vero verweist man auf gelungene Renaturierungen wie etwa die Xantener Nord- oder Südsee und den Diersfordter Waldsee in Wesel.

Angeregter Dialog kontraschlechte Erfahrungen

Der Vero-Vorsitzende Christian Strunk, Geschäftsführer beim Weseler Unternehmen Hülskens, erklärt, dass es beim Regionalplanentwurf seitens der Planungsbehörde vorab keine Gespräche mit der Kiesbranche

„Wir brauchen Rohstoffe – und am Niederrhein gibt es die stärksten Vorkommen“, sagt Raimo Benger vom Baustoffverband Vero
„Wir brauchen Rohstoffe – und am Niederrhein gibt es die stärksten Vorkommen“, sagt Raimo Benger vom Baustoffverband Vero © Verband

gegeben habe. Gegenüber der NRZ lässt Strunk durchblicken, dass auch Firmen nicht mit ausgewählten Gebieten einverstanden seien, gerade in Kamp-Lintfort. Er regt einen Runden Tisch an: „Dort könnten Kommunen und Firmen darüber reden, welche Gebiete für Abbau geeignet sind – und welche nicht:“

Für Kamp-Lintfort lehnt Christoph Landscheidt ab: „Was Absprachen betrifft, haben wir mit der Branche denkbar schlechte Erfahrungen gemacht“, sagt der Bürgermeister und verweist auf längst zugesagte Rekultivierungen. Landscheidt will die drohenden Abgrabungen politisch bekämpfen.

Info: Das Verfahren für den Regionalplan Ruhr läuft gerade erst an, Einwendungen zum LEP sind noch bis zum 15. Juli möglich.

>>> DAS SAGT DIE LANDESREGIERUNG

Mit geplanten Änderungen des Landesentwicklungsplanes (LEP) sollen künftig die Regionalräte, ein Art Parlament bei Bezirksregierungen und Regionalverband Ruhr, „sachgerecht entscheiden, wie die Rohstoffsicherung planerisch gesteuert werden soll“, heißt es im Wirtschaftsministerium auf NRZ-Nachfrage.

Mit der Festlegung sogenannter Vorranggebiete würden Bereiche für den Rohstoffabbau gesichert, wohlgemerkt: ohne dass außerhalb der Bereiche ein Abbau ausgeschlossen ist. Ziel sei die Sicherung der Rohstoffversorgung der Wirtschaft, ohne dass zusätzlich eine Begrenzung des Rohstoffabbaus erfolgt.

Mit der Festlegung von Vorranggebieten mit Eignungswirkung („Konzentrationszonen“) würden Flächen für die Rohstoffversorgung gesichert und zugleich der Abbau im übrigen Plangebiet ausgeschlossen. Ziel sei hier die Sicherung der Rohstoffversorgung wie auch eine Einschränkung des Abbaus, um Konflikte einzugrenzen.

Die LEP-Änderung soll - aller Voraussicht nach - in der ersten Hälfte 2019 rechtskräftig werden. Aktuell läuft das Beteiligungsverfahren. Die Bezirksregierungen Düsseldorf und Köln hätten sich aber schon jetzt positioniert – sie wollen an „Konzentrationszonen“ festhalten: Insofern würde Kiesabbau in diesen Regionen auch nur dort möglich sein, erklärte das Wirtschaftsministerium.