Berlin. Menschen lügen im Schnitt bis zu 200 Mal am Tag – doch wie häufig schwindeln wir in Beziehungen und worüber? Drei Experten verraten es.

Lügen begleiten uns durch den Alltag: Kinder schwindeln, um Ärger zu vermeiden. Eltern beschönigen die Wahrheit, um ihre Kinder zu schützen. Politiker überspielen Unsicherheiten. Prominente glorifizieren sich. Auch in manchen Berufsfeldern, etwa bei Spionage oder in der Polizeiarbeit, wird die Wahrheit mitunter verschleiert und bewusst nicht alles offenbart. Aber ebenso Lehrerinnen und Erzieher sagen im Alltag gegenüber ihren Schützlingen bewusst nicht immer das, was sie gerade denken.

In der Liebe hingegen sehnen wir uns nach Ehrlichkeit, gilt sie doch als Symbol für Treue und als Grundlage jeder Beziehung. Eine Studie der Universität Tübingen zeigt jedoch, dass auch die Liebe nicht von Lügen verschont bleibt – und zwar nicht nur von kleinen Alltagslügen. Jeder Zweite hatte demnach bereits eine heimliche Affäre, ohne dass der Partner davon erfuhr. 

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Wie oft lügen Menschen wirklich?

Schon Nietzsche stöhnte: „Die Menschen lügen unsäglich oft“. Allerdings stützte er sich dabei auf persönliche Überlegungen und Beobachtungen, die bekanntlich nicht immer exakt zutreffen. Deshalb müssen Wissenschaftler den Philosophen heute ein wenig relativieren. Die amerikanische Psychologin Bella DePaulo führte eine Studie mit 147 Versuchspersonen durch, die ihre alltäglichen Begegnungen und kleinen Unwahrheiten in Tagebüchern festhielten. Das Ergebnis: Im Durchschnitt lügen die Menschen nur etwa zweimal am Tag.

Das Wiener Therapeutenpaar Dr. Sabine und Roland Bösel, mittlerweile auch bekannt durch ihren Online-Kurs „Liebesdoppel“ für erfolgreiche Beziehungsführung, weist jedoch darauf hin, dass viele Lügen unbewusst ablaufen – und daher in solchen Tagebüchern womöglich nicht erfasst werden. Unbewusstes Lügen beginne oft dort, wo Menschen unangenehme Wahrheiten verdrängen oder sich etwas vormachen. „Meist passiert das, wenn jemand eine eigene Wahrheit hat, die von der gesellschaftlichen oder partnerschaftlichen Wahrheit abweicht“, erklärt der Paar- und Psychotherapeut Roland Bösel. Bewusste Lügen hingegen entstünden meist in Situationen, in denen sich Menschen unwohl oder unter Druck fühlen und sich nicht rechtzeitig befreien, „sodass sie dann bestimmte Dinge heimlich tun, und auch glauben, sie heimlich tun zu müssen“, so Bösel.

Dr. Sabine Bösel und Roland Bösel sind erfahrene Paar- und Psychotherapeuten mit eigener Praxis in Wien. Neben ihrer therapeutischen Arbeit haben sie bereits mehrere Bücher veröffentlicht, darunter das Ratgeberbuch “Liebe, wie geht’s?”, das sich mit den Herausforderungen und Dynamiken moderner Beziehungen auseinandersetzt.
Dr. Sabine Bösel und Roland Bösel sind erfahrene Paar- und Psychotherapeuten mit eigener Praxis in Wien. Neben ihrer therapeutischen Arbeit haben sie bereits mehrere Bücher veröffentlicht, darunter das Ratgeberbuch “Liebe, wie geht’s?”, das sich mit den Herausforderungen und Dynamiken moderner Beziehungen auseinandersetzt. © Stefan Fürtbauer | Stefan Fürtbauer

Die Wahrheit liegt laut der Experten also wie so oft in der Mitte: Manche Menschen lügen häufiger, andere selten oder gar nicht – und oft ist die Grenze zwischen bewusster Täuschung und unbewusster Selbsttäuschung fließend.

Psychologie: Welche Arten von Lügen gibt es in Beziehungen?

Lügen sind auch in Beziehungen weit verbreitet. Laut einer Studie der Partnervermittlungsplattform „ElitePartner“ verheimlichen sechs von zehn Partnern und Partnerinnen ihrem Gegenüber etwas. Die gute Nachricht: Die meisten dieser Unwahrheiten fallen in die Kategorie der Notlügen.

Wolfgang Krüger, Psychotherapeut und Autor aus Berlin, der sich auf Partnerschaftsprobleme spezialisiert hat, beschreibt solche Lügen als kleine, meist harmlose Unwahrheiten, die dazu dienen, Konflikte zu vermeiden. Ein klassisches Beispiel: Wenn der Partner fragt: „Liebst du mich?“, antwortet man oft mit einem schnellen „Ja“, auch wenn man in der Beziehung gerade unsicher ist. Dies geschieht laut Krüger häufig, um unangenehme Diskussionen zu vermeiden. Insofern ist die Fähigkeit zu lügen laut dem Psychotherapeuten auch eine soziale Kompetenz: „Man muss sich in den anderen hineinversetzen und eine Geschichte erfinden, die glaubwürdig ist und niemanden unnötig verletzt“, sagt er.

Der Berliner Psychologe und Paartherapeut Wolfgang Krüger sitzt im Garten.
Psychotherapeut und Buchautor Wolfgang Krüger hält manche Lügen in Beziehungen auch für wichtig und richtig. © Joerg Krauthöfer / Funke Foto Services | Joerg Krauthöfer / Funke Foto Services

Problematisch wird es laut Krüger, wenn Lügen bewusst und manipulativ eingesetzt werden, um Kontrolle oder Macht in der Beziehung zu erlangen. Ein Beispiel dafür ist, wenn ein Partner die Frage, ob er beim Arzt war, bewusst bejaht, obwohl dies nicht stimmt – oft, um sich mehr Freiraum zu verschaffen. Aber auch die klassische Untreue, bei der wichtige Informationen bewusst verschwiegen werden, fiele in diese Kategorie. Werden solche Lügen aufgedeckt, belasten sie die Beziehung erheblich, da das Vertrauen als tragende Säule wegbricht.

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Beziehungen: Worüber wird am häufigsten gelogen?

Die Gründe, warum in Beziehungen nicht immer die volle Wahrheit gesagt wird, sind vielfältig. Psychotherapeut Wolfgang Krüger erklärt: „Lügen gibt es in vielen Formen – vom heimlichen Essen trotz Diätversprechen bis hin zu alltäglichen Täuschungen wie dem Vorwand, an der Steuererklärung zu arbeiten, während man in Wirklichkeit Pornos schaut“. Dennoch bilanziert er: „Eine besonders häufige Lüge in Beziehungen ist das Verschweigen emotionaler oder körperlicher Untreue.“ Fast jeder Zweite, so Krüger, habe seinen Partner schon einmal belogen, wenn er sich anderweitig verliebt oder ein erotisches Abenteuer gehabt habe.

Das Therapeutenpaar Sabine und Roland Bösel bestätigt aus seiner Praxis, dass gerade im Zusammenhang mit Affären oft gelogen wird. „Entweder wird gelogen, weil die Affäre zu bedeutsam wird, oder man redet sich ein, sie sei nicht wirklich wichtig“, erklärt Sabine Bösel. Diese Selbsttäuschung diene häufig dazu, das schlechte Gewissen zu beruhigen, das das Verheimlichen einer Affäre mit sich bringt.

Lügen entlarven: Kann Körpersprache ein Hinweis sein?

Blinzeln, schneller Herzschlag, Schweiß oder ein unruhiger Blick – diese klassischen Merkmale werden oft als Hinweise auf Lügen interpretiert. Doch die Psychotherapeutin und Psychologin Sabine Bösel warnt vor voreiligen Schlüssen: „Mit solchen Deutungen kann man sich schnell irren. Wir empfehlen Skepsis, wenn es um die Überinterpretation einzelner Körpersignale geht.“

Bösel erklärt, dass die Interpretation von Körpersprache stark von der eigenen Geschichte beeinflusst wird, etwa durch persönliche Erfahrungen, der Erziehung oder frühere Beziehungen. „Wer beispielsweise von seiner Mutter gelernt hat, dem Vater nicht zu trauen, neigt dazu, ähnliche Verhaltensweisen bei anderen Menschen vorbelastet zu deuten“, so die Psychologin.

Auch das Bauchgefühl sei nicht immer verlässlich. „Zwar liegt unser Bauchgefühl oft richtig, aber wie wir es interpretieren, hängt stark von unseren eigenen Erfahrungen, Gedanken und Fantasien ab – und diese haben oft mehr mit uns selbst als mit dem tatsächlichen Verhalten des Partners zu tun“, so Bösel. Auch wissenschaftlich gibt es bisher keine stichhaltigen Belege dafür, dass Menschen bei Lügen oder Wahrheiten unterschiedliche Verhaltensmuster zeigen. Das macht es besonders schwer, Lügen sicher zu erkennen.

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Experten verraten: Worauf kommt es beim Entlarven von Lügen an?

Lügen zu erkennen, wird laut Paartherapeut Roland Bösel einfacher, wenn der Lügner selbst ambivalent ist. „Wer bewusst lügt und sich gezielt für eine Lüge entscheidet, plant diese oft so gut, dass sie schwer zu durchschauen ist. Menschen, die innerlich unsicher sind, werden dagegen leichter ertappt“, erklärt Bösel. Manchmal, so der Paartherapeut weiter, wollen ambivalent Lügende sogar unbewusst ertappt werden, indem sie zum Beispiel den Computer oder Nachrichten offen zugänglich lassen, um die innere Spannung aufzulösen.

Der Therapeut rät daher, Geduld zu haben und das Gesamtbild zu betrachten. „Lügen lassen sich am einfachsten mit der Zeit entlarven. Widersprüche zwischen dem Gesagten und den Tatsachen werden früher oder später sichtbar – sei es, ob jemand wirklich auf einem Seminar war oder zu der angegebenen Zeit zu Hause“, erklärt Bösel.

Noch besser sei es aber, das Gespräch zu suchen, anstatt sich auf Vermutungen zu verlassen. „Beziehungsarbeit ist keine Ermittlungsarbeit, sondern Vertrauensbildung“, betont Psychologin und Psychotherapeutin Dr. Sabine Bösel und fügt hinzu: „Mutmaßungen und vorschnelle Konfrontationen führen oft in die Irre. Der eine Part spürt irgendwas und interpretiert zu viel, der andere fühlt sich zu Unrecht verdächtigt“, was mehr schadet als nützt.