Berlin. Das Altern lässt sich bremsen. Die wichtigsten Regeln hat Autor Thomas Schulz Spitzenforschern entlockt. Was Sie sofort anwenden können.

  • Die Wissenschaft enträtselt immer mehr die Faktoren für ein längeres Leben bei guter Gesundheit
  • „Spiegel“-Reporter Thomas Schulz hat mit zahlreichen Forschern über die neuesten Erkenntnisse gesprochen
  • Was Jüngere selbst zur Vorsorge tun sollten und wie auch Ältere den Verfall bremsen können

Wie alt kann ich werden – und dabei möglichst lange gesund leben? Das hängt nicht nur von Glück und Genen ab. Das Altern ist formbar. Der körperliche Verfall kann beeinflusst und sogar gebremst werden. Und jeder Einzelne kann selbst eine Menge dafür tun.

An welchen Stellschrauben wir Menschen beim Alterungsprozess drehen können, hat Thomas Schulz recherchiert. Für sein Buch „Projekt Lebensverlängerung“ hat der „Spiegel“-Reporter und Bestseller-Autor („Zukunftsmedizin“) mit etwa 200 Spitzenmedizinern, Hirnforscherinnen, Ernährungsexperten und Nobelpreisträgerinnen gesprochen. Im Interview verrät er, womit Jüngere, aber auch Ältere ab morgen sofort anfangen sollten.

Herr Schulz, wenn ich Sie nach Ihrer persönlichen Lebenserwartung frage: Würde Ihre Zahl heute deutlich höher ausfallen als noch vor zehn Jahren?

Thomas Schulz: Auf jeden Fall. Wir sind ja in dieser mittleren Generation alle damit aufgewachsen, dass wir dachten: Wenn wir die 80 Jahre packen, ist das schon ganz gut. Aber jetzt nach der Recherche an dem Buch und mit dem Wissen, was ich selber tun kann, um das zu steuern, setze ich auf jeden Fall auf die 90. Ich finde die 100 aber auch eine ganz schöne Zahl.

Sie gehen in Ihrem neuen Buch der Frage nach, wie sich das Altern beeinflussen lässt – wie wir es bremsen und womöglich sogar zurückdrehen können. In den letzten zehn Jahren hat die Forschung hier deutlich an Fahrt aufgenommen. Warum sind 100 Jahre plötzlich das neue 80?

Schulz: Viele Sachen haben wir auch vorher schon geahnt. Nur Schweinebraten und Bier ist vielleicht nicht so gut, und ein bisschen mehr Gemüse ist sicherlich auch sinnvoll. Das kannte man schon aus der Krebs- und Alzheimerforschung. In den letzten zehn Jahren hat sich die Alternsforschung wahnsinnig beschleunigt und wir haben die ganzen zellulären und molekularen Prozesse dahinter verstanden. Wenn man weiß, was das Altern ausmacht, ist es natürlich auch einfacher zu sagen, was man dagegen tun kann.

Und zwar?

Schulz: Wir haben gelernt, dass das Meiste in unserer eigenen Hand liegt. Wie wir uns ernähren, wie wir schlafen, welche Art von Sport wir treiben. Der entscheidende Faktor ist, dass wir das Wissen, was Altern ist, mit dem zusammenbringen, wie wir uns verhalten.

Thomas Schulz ist Reporter der Chefredaktion des „Spiegel“. Zuvor berichtete er fast ein Jahrzehnt als Korrespondent aus New York und dem Silicon Valley in San Francisco. An der Harvard University forschte er zu internationaler Wirtschaftspolitik. Sein aktuelles Buch „Projekt Lebensverlängerung“ erschien bei DVA. 
Thomas Schulz ist Reporter der Chefredaktion des „Spiegel“. Zuvor berichtete er fast ein Jahrzehnt als Korrespondent aus New York und dem Silicon Valley in San Francisco. An der Harvard University forschte er zu internationaler Wirtschaftspolitik. Sein aktuelles Buch „Projekt Lebensverlängerung“ erschien bei DVA.  © Stephen Lam | Stephen Lam

Sie sind Jahrgang 1973 und räumen ein, die Erkenntnisse „haben mein Leben und das meiner Familie stark verändert“. Wie sehen diese Veränderungen in Ihrem Leben aus?

Schulz: Vorher waren wir froh, wenn wir zumindest ein- bis zweimal die Woche ein bisschen Sport gemacht haben. Man wusste auch, dass Sport irgendwie gut für die Herzgesundheit ist. Wenn man dann aber über die Zeit mit 200 Forschern spricht – vom Alzheimer-, Krebs- und Diabetesforscher bis hin zur Neurobiologin – dann erzählen einem alle das Gleiche.

Worin sind sich alle einig?

Schulz: Wenn du schlank bist und deine Muskeln aufgebaut sind, dann läuft einfach alles besser. Dein Herz und deine Zellen funktionieren besser, deine Krebswahrscheinlichkeit geht nach unten. Wenn man das so geballt und konkret vor Augen geführt bekommt, dann konnten wir gar nicht anders als zu sagen: Wir machen jetzt ganz konsequent fünfmal die Woche Sport. Wir essen viel mehr Gemüse, lassen mehr Fleisch weg – aber nicht alles – und wir schlafen mehr. Das macht sich sehr bemerkbar.

Gesünder leben und altern: „Es ist eine messbare Wahrheit“

Wo spüren Sie die Umstellung besonders?

Schulz: Wir haben alle ein paar Kilo abgenommen, fühlen uns ein wenig leichter und fitter. Es fühlt sich für uns an, als hätten wir weniger Gelenkschmerzen. Morgens tun einem weniger die Knochen weh. Und in den Bluttests und anderen Tests stellt man fest: Es ist nicht nur eine gefühlte, sondern auch eine messbare Wahrheit.

Sie haben mit vielen der führenden Köpfe im Bereich der Alternsforschung gesprochen. Welche Begegnung hat den stärksten Eindruck hinterlassen?

Schulz: Beeindruckend war die Nobelpreisträgerin Jennifer Doudna, sie hat die Genschere Crispr miterfunden. Sie forscht eigentlich eher an unserer Genetik und unseren Zellen. Doudna hat betont, dass sie zwar seit Jahrzehnten auf ihrem Gebiet eine der weltweit führenden Forscherinnen ist, aber selbst erstaunt ist, wie stark sich die Forschung rund ums Altern beschleunigt hat. Sogar so jemand sagt: Das sind besondere Zeiten.

Welche Begegnung war noch eindrücklich?

Schulz: Die mit dem Leiter des Deutschen Krebsforschungsinstituts, Michael Baumann. Er hat sehr klar erklärt: Wir könnten einen Großteil der Krebstodesfälle, fast 60 Prozent, einfach durch die richtige Lebensweise und Früherkennung verhindern. Vieles von dem, was wir für unausweichlich halten, dieses „irgendwann kriegst du doch eh Krebs und wahrscheinlich auch Demenz“ – das ist einfach nicht so.

Beim Blick in die Zukunft sprechen alle von Künstlicher Intelligenz. Ist die Medizin der Bereich, wo uns KI am stärksten nach vorne bringt?

Schulz: Ja, weil KI die Grundlagenforschung wahnsinnig beschleunigt hat. Wenn ich 100.000 Patientenakten habe, kann die kein Arzt mehr durchschauen, eine KI schon. Es gibt inzwischen wahnsinnig große Datenbanken mit anonymisierten Gesundheitsinformationen, mit die bekannteste ist die UK Biobank. Eine KI kann diese schnell durchforschen und nach Korrelationen gucken. Was hängt mit Krebs zusammen, was mit Alzheimer? All das hilft, neue Forschungen anzustoßen, neue Medikamente zu entwickeln und neue Erkenntnisse zu gewinnen.

Namhafte Forscher sind inzwischen überzeugt: Das biologische Alter ist eine Uhr, die sich zurückdrehen lässt. Wie drehe ich denn an der Uhr des Lebens?

Schulz: Man kennt das vom Klassentreffen: die einen sehen aus, als wären sie immer noch 30 und die anderen, als gingen sie schon aufs Rentenalter zu. Manche Leute sind langsamer gealtert als der Durchschnitt, manche altern sehr viel schneller. Dieses biologische Alter kann man heute mit epigenetischen Tests sehr genau messen. Das hat mit dem eigenen Lebensstil und auch mit Krankheiten zu tun. Und das sind genau die Stellschrauben.

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Das heißt?

Schulz: Wenn ich sehr gesund esse, sehr viel Sport mache und auch die emotionalen Gesundheitsfaktoren betrachte, also mich mit Freunden und Familie umgebe, dann geht die gesamte biologische Alterung zurück.

Ernährung umstellen: „Zehn oder zwölf Jahre mehr in der Lebenserwartung“

Wie sollte ich mich denn am besten ernähren?

Schulz: Die Datenlage bei der Ernährung ist total klar. Eine Umstellung von einer schlechten auf eine gesunde Ernährung können am Ende bis zu zehn oder zwölf Jahre mehr in der Lebenserwartung ausmachen. Das ist keine Kleinigkeit. Zweitens ist ziemlich klar definiert, was eine gesunde Ernährung ausmacht.

Wie hat gesunde Ernährung auszusehen?

Schulz: Das einfachste Beispiel ist, wenn man auf eine mediterrane Ernährung setzt. Das heißt: viel Vollkorn, viel Gemüse, wenig Zucker, wenig Weißbrot, wenig Fleisch. Wenn man sich an diese Grundlagen hält, macht das schon einen großen Unterschied aus.

Können wir mit Nahrungsergänzungsmitteln das gesunde Leben verlängern?

Schulz: Daran arbeiten sehr viele Pharmafirmen und Forschungsinstitute. Weil wir gelernt haben, wie das Altern molekular gesteuert wird, kennen wir natürlich inzwischen auch einige Stoffe, die das beeinflussen. Das sind zum Teil Moleküle oder Enzyme. Die kann man natürlich auch versuchen, künstlich herzustellen. Das Problem ist, dass Nahrungsergänzungsmittel nicht so reguliert sind wie Arzneimittel. Es gibt immer noch wenig groß angelegte Studien im Menschen, was solche Stoffe ausmachen. Ich bin sicher, dass wir in den nächsten Jahren klare Empfehlungen für Arzneistoffe bekommen werden, die konkreten Einfluss auf Alterungserscheinungen haben werden. Man braucht aber darüber gar nicht nachdenken, bevor man nicht die großen Hebel Sport und Ernährung bewegt hat.

Wie sollte ich mich bewegen für ein langes und gesundes Leben?

Schulz: Drei bis fünf Stunden Sport pro Woche sollten es mindestens sein. Wer aber wirklich das große Rad drehen will, der sollte versuchen, die halbe Stunde bis Stunde Sport am Tag einzubauen. Und dann Muskel- und Ausdauertraining miteinander zu kombinieren. Umso älter man wird, desto schwieriger wird es, Muskeln aufzubauen. Alle Studien zeigen, dass Gebrechlichkeit und höheres Sterberisiko mit schwachen Muskeln zusammenhängen. Das Sturzrisiko und die Schmerzerkrankungen im Alter kann man in den Griff kriegen, wenn man seine Muskeln mehr trainiert.

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Muskeltraining wird von vielen häufig unterschätzt, wird aber mit zunehmendem Alter immer wichtiger. © iStock | Jacob Wackerhausen

Welche Tipps würden Sie Jüngeren zwischen 20 und 40 Jahren mit auf den Weg geben?

Schulz: Eine der großen Erkenntnisse der Alternsforschung ist: Wenn wir in unseren 20ern schon unseren Körper schinden mit viel Rauchen, schlechter Ernährung und wenig Schlaf, schlägt das auf die zellulären Prozesse im Körper durch. Und es dauert viele, viele Jahre gesunden Lebens, bis sich das wieder nivelliert. Man kann das machen, aber dafür muss man später umso härter dagegen arbeiten. Kurz gesagt: Lieber mit 30 ein wenig auf seinen Körper achten, als sich mit 65 richtig schinden zu müssen.

Wie steht es um Demenz und Alzheimer?

Schulz: Die Demenzforschung hat in den letzten Jahren sehr klar herausgestellt, dass das mittlere Alter die entscheidenden Jahre sind, um Demenz und vor allem Alzheimer vorzubeugen. Auch hier zählen viel Bewegung und die richtige Ernährung. Wenn ich mit 40 oder 50 dagegen arbeite, zeigt sich, dass das Demenzrisiko deutlich sinkt.

Was können Menschen mitnehmen, die schon jenseits der 60 sind?

Schulz: Mit 60 ist es auf jeden Fall noch nicht zu spät. Herz-Kreislauf-Erkrankungen begleiten dich nicht unbedingt 30 Jahre, wenn du jetzt deine Ernährung umstellst. Und auch Diabetes kann man wieder loswerden, wenn man ordentlich arbeitet. Und selbst nach ein paar gesundheitlich schlechten Jahren kann man auch mit 60 sein Leben noch so umstellen, dass die folgenden Jahrzehnte nicht kranke, sondern gute sein können. Das finde ich sehr mutmachend.