Berlin. Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz kann der nächste Bundeskanzler werden. Auf wen es jetzt ankommt – und warum es schiefgehen kann.
Punkt 18 Uhr – und der Wahlsieger steht fest. Große Freude, aber auch tiefe Sorgenfalten im Adenauerhaus - und mittendrin Friedrich Merz, der seit mehr als 20 Jahren von diesem Moment träumt: Gegen alle Widerstände, gegen alle Kritik hat sich der Mann aus dem Sauerland durchgesetzt. Erst in der Partei, dann gegen seinen Dauerrivalen Markus Söder, am Ende gegen Olaf Scholz. Merz kann jetzt Bundeskanzler werden: „Wir haben diese Wahl gewonnen“, ruft er um 18.34 Uhr seinen Leuten zu – doch von Euphorie ist die Union weit entfernt. Merz hat das zweitschlechteste Ergebnis nach 1949 eingefahren.
Eine stabile Regierung? „Das wird eine enorme Herausforderung“, sagt der Merz-Vertraute und Fraktionsmanager Thorsten Frei kurz nach der ersten Hochrechnung. „Ich weiß, dass es nicht einfach werden wird“, sagt auch Merz. Und an die politischen Gegner gerichtet, die bald Partner sein könnten: „Wir haben einen sehr harten Wahlkampf geführt. Jetzt werden wir miteinander reden.“ Die Welt da draußen „wartet nicht auf uns“.
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Drei Ziele hatte Friedrich Merz. Er wollte mit Abstand vor Amtsinhaber Scholz ins Ziel gehen. Das ist gelungen. Er wollte zweitens deutlich mehr als 30 Prozent holen. Damit ist er gescheitert. Und er wollte drittens ein Wahlergebnis erreichen, mit dem eine Zweierkoalition möglich wäre – also Union plus X. Nach dem Scheitern der Ampel ist der Horror vor einem dauerstreitenden Dreierbündnis groß. Am Abend war zunächst offen, ob es für eine Zweierkoalition reichen würde.
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Bundestagswahl: Ist Merz‘ Taktik aufgegangen?
Merz hat für seine drei Ziele gekämpft: Die knapp 30 Prozent Unentschlossenen wollte er zur Union holen, die dauerskeptischen Frauen von sich überzeugen, schwankende AfD-Wähler zurückgewinnen – und schließlich auch noch der FDP die letzten Stimmen wegnehmen. Die Strategie hat nicht richtig gezündet. Weniger als die Hälfte der Deutschen (43 Prozent) sagen, er sei dem Kanzleramt gewachsen. Nur 40 Prozent sind überzeugt davon, dass Merz das Land gut durch die Krise führen kann.
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Klar ist an diesem Abend: Merz‘ breitbeinige Ankündigung, in der Migrationspolitik „All-In“ zu gehen und dabei sogar Mehrheiten mit der AfD in Kauf zu nehmen, hat nicht den erhofften Effekt gebracht. Die AfD ist stark geblieben, die Union ist durch das riskante Manöver nicht sichtbar gewachsen. In der CDU sind viele dennoch überzeugt: Ohne die All-In-Aktion des Kanzlerkandidaten wäre die Union heute schwächer und die AfD möglicherweise noch stärker.
Gut möglich allerdings ist auch, dass die Zuspitzung in der Asyldebatte die totgeglaubte Linke wieder stabil gemacht hat: Heidi Reichinnek gegen Friedrich Merz, die junge, kämpferische Linken-Frontfrau als echtes Gegenmodell gegen den alten, konservativen CDU-Mann – das war das Letzte, was Merz mit seinem Manöver erreichen wollte. Am Ende aber ist genau das eingetreten.
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Union siegt bei Bundestagswahl: Mit wem kann Merz regieren?
Merz ist der Wahlsieger – doch mit wem kann er regieren? Seit Wochen wiederholt der CDU-Mann wie ein Mantra den Satz, dass es nicht nur den Wahlsonntag, sondern auch den Montag danach gibt. Heißt: Heute sind wir Gegner, morgen müssen wir reden.
Leicht wird das nicht, zumal Merz auf den letzten Metern noch mal ordentlich Porzellan zerschlagen hat: Bei der Abschlusskundgebung in München drehte der 69-Jährige in fast schon Söder’scher Manier auf: „Links ist vorbei. Es gibt keine linke Mehrheit und keine linke Politik mehr in Deutschland.“ Er werde wieder Politik für die Mehrheit der Bevölkerung machen, die gerade denke und „alle Tassen im Schrank“ habe – und nicht „für irgendwelche grünen und linken Spinner auf dieser Welt“.
Die SPD reagierte umgehend: Generalsekretär Matthias Miersch sprach vom Tiefpunkt des Wahlkampfes. „Statt zu einen, entscheidet sich Friedrich Merz, noch einmal richtig zu spalten. So spricht niemand, der Kanzler für alle sein will – so spricht ein Mini-Trump.“
Mini-Trump gegen linke Spinner und Leute, die nicht alle Tassen im Schrank haben? Merz wird viel politischen Klebstoff brauchen, wenn er demnächst mit der SPD oder den Grünen am Verhandlungstisch sitzen sollte. Zumindest Robert Habeck signalisiert am Abend bereits: Schwamm drüber. Auch Scholz ist bereit, in den kommenden Wochen mit Merz den Übergang im Kanzleramt vorzubereiten.
Name | Joachim-Friedrich Martin Josef Merz |
Geburtsdatum | 11. November 1955 |
Amt | CDU-Vorsitzender, Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion |
Partei | CDU |
Parteimitglied seit | 1972 |
Familienstand | Verheiratet, drei Kinder |
Größe | 1,98 Meter |
Wohnort | Arnsberg |
Dass Merz mit der SPD verhandeln wird – damit rechnen im Grunde alle in der Union. Die offene Frage ist eher, mit wem Merz und seine Leute auf Seiten der SPD verhandeln werden. Scholz, so die Erwartung, wird es nicht mehr sein. Aber wer wird dann der starke Mann auf der anderen Seite? Parteichef Klingbeil? Verteidigungsminister Boris Pistorius? „Mal sehen, wer nach der Saloon-Schießerei bei der SPD überhaupt noch steht“, heißt es im Adenauerhaus.
Und die Grünen? Es gibt da diese Szene, nach dem TV-Quadrell, eine Woche vor der Wahl. Friedrich Merz und Robert Habeck verlassen gemeinsam das Studio, sie unterhalten sich, die Körper sind zueinander geneigt. Wer immer in diesem Moment schwarz-grüne Träume hegte – es wird wohl auf lange Zeit genau das bleiben: Träumerei. Selbst wenn es rechnerisch möglich gewesen wäre - CSU-Chef Söder hat die Tür zu gemacht. Am Wahlabend wählt der Bayer eine bemerkenswerte Formulierung: „Ich glaube nicht, dass mit den Grünen eine Regierung gelingen kann“, sagt Söder „Eine Koalition mit den Grünen ist ein echtes No-Go – wenn es irgendwie geht.“ Heißt: Im Notfall gilt das No Go nicht.
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Merz und Söder: Geht das gut?
Söder hat Humor, ob Merz darüber lachen kann, entscheidet sich in den kommenden Monaten. „Der King lebt“ schrieb der CSU-Chef kurz vor der Wahl auf der Plattform „X“ und postete ein Bild von sich in Elvis-Presley-Kostüm. Am Dienstag, wenn die Abgeordneten zur ersten Fraktionssitzung zusammenkommen, werden sie formal die alte Gemeinschaft aus CDU und CSU per Unterschrift erneuern. Ob der Burgfrieden zwischen den beiden Alpha-Männern Merz und Söder hält, ist offen. Söder immerhin hat bereits klar gemacht, dass er sich in Merz‘ Regierung einmischen wird: Nicht als Minister, aber als Schwergewicht im Koalitionsausschuss.

Friedrich Merz: Kann er Kanzler in der Krise?
Als Kanzler muss Merz nicht nur sein Versprechen wahr machen, die deutsche Wirtschaft aus der Rezession zu führen, die Sozialkassen zu sanieren und das Land verteidigungsfähig zu machen. Merz muss vor allem in einer Welt bestehen, die zunehmend neoimperialistisch und autokratisch regiert wird. Mit der neuen Machtachse zwischen Donald Trump und Wladimir Putin kommt es mehr denn je auf ein starkes Europa an.
Sollte er Bundeskanzler werden, will Merz zuerst Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron und Polens Regierungschef Donald Tusk besuchen. „Wir müssen in Europa wieder enger zusammenarbeiten“, sagt der CDU-Chef. „Deshalb würde ich als Bundeskanzler als Erstes nach Paris und Warschau reisen. Wenn möglich am selben Tag.“ Wann dieser Tag sein wird – das hängt jetzt vor allem an Merz selbst: Gelingt ihm eine schnelle Regierungsbildung? Sein Ziel: Ostern. Das sind gerade mal acht Wochen.