Berlin. Am Wahlabend gelingt der Linken ein Triumph, den vor wenigen Wochen noch niemand kommen sah. Wie haben sie das geschafft?
„Die Linke lebt“, sagte Spitzenkandidat Jan van Aken bei der Wahlparty seiner Partei und fasste damit eine der größten Überraschungen dieser Bundestagswahl perfekt zusammen. Die Linke hat es geschafft, sich massiv zu verbessern und sicher in den Bundestag einzuziehen. „Ich bin so unfassbar dankbar über dieses Ergebnis“, sagte seine Co-Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek der ARD. Dem ZDF sagte sie später: „Wir haben alles richtig gemacht.“ Auf der Bühne kamen ihr sogar Freudentränen.
Es ist ein Triumph, den vor wenigen Wochen noch keiner erwartet hätte. Von rund vier Prozent war noch in den Prognosen Mitte Januar die Rede. Stattdessen nun ein sicherer Einzug in den Bundestag für eine Partei, die vor Kurzem ums Überleben kämpfte. Trotz der Abspaltung von Sahra Wagenknecht und ihren Vertrauten verbessert die Linke sich im Vergleich zur Bundestagswahl 2021, während das Ex-Aushängeschild mit ihrem BSW abgeschlagen bleibt.
Die Doppelstrategie der Linken ging auf
Möglich war das dank einer Doppelstrategie: Die „Silberlocken“, bestehend aus dem langjährigen Fraktionsvorsitzenden Dietmar Bartsch, dem ehemaligen thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow und Linken-Galionsfigur Gregor Gysi, sollten die Alten begeistern und mit drei Direktmandaten den Einzug ins Parlament sichern. Für die Jungen war Heidi Reichinnek zuständig.
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Doch so richtig ins Rollen kam der Wahlkampf nicht. Lange sah es aus, als ob tatsächlich erneut drei Direktmandate nötig wären, um über die Grundmandatsklausel in den Bundestag einzuziehen. Doch am 29. Januar kam der entscheidende Moment: Nach der gemeinsamen Abstimmung von CDU/CSU, FDP und AfD trat Heidi Reichinnek an das Redepult des Deutschen Bundestags. In einer wütenden Rede attackierte sie Friedrich Merz unter anderem als „Steigbügelhalter“ und machte ihn so zum unfreiwilligen Wahlhelfer. Ein Video der Rede ging in den sozialen Medien viral. Allein bei TikTok wurde es rund sieben Millionen Mal angeklickt.
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Die von Merz los getretene Brandmauerdiskussion erlaubte es den Spitzenkandidaten Reichinnek und Jan van Aken, ihre klare Kante gegen rechts zu zeigen – eine klassische Trumpfkarte der Linken, die insbesondere in den sozialen Medien gut ankommt. Plötzlich gibt es neben der AfD noch eine weitere Partei, die Social Media versteht und so junge Menschen erreicht. Das zeigte sich auch bei den Befragungen zum Wahlverhalten nach Alter: Bei den 18- bis 34-Jährigen konnte die Linke massiv zulegen.
Die Linke hat gezeigt, dass sie auch personell bereit für einen Neuanfang
Der Erfolg bei den Jungen dürfte der Partei auch erlauben, beruhigt in die Zukunft zu blicken. Denn die Generation der „Silberlocken“, die schon die Vorgängerpartei PDS prägten, macht sich bereit für den Ruhestand. Gregor Gysi (77) etwa, seit Jahren Sympathieträger über Parteien und Altersklassen hinweg, wird ein letztes Mal in den Deutschen Bundestag einziehen.
Doch mit diesem Ergebnis hat die Linke gezeigt, dass sie auch personell bereit für einen Neuanfang ist. Jan van Aken (63) und Ines Schwerdtner führen die Partei erst seit dem vergangenen Oktober. Schwerdtner ist genauso jung wie TikTok-Aushängeschild Heidi Reichinnek: 36. Jung genug also, um nach den ausgiebigen Feierlichkeiten des Wahlabends mit voller Energie in die neue Legislaturperiode zu starten. Van Aken kündigte für diese Zeit an: „Wir gehen in die Opposition – im Bundestag und auf der Straße.“