Berlin/München. Ein Asylbewerber aus Afghanistan ist mit dem Auto in eine Kundgebung gerast. Kanzler Olaf Scholz verspricht eine zügige Abschiebung.
Eine weitere Schreckenstat erschüttert Deutschland: Ein Kinderwagen liegt auf dem Asphalt. Ein cremefarbener Kleinwagen steht auf der Straße, wo vorher noch mehrere hundert Menschen unterwegs waren. In München ist am Donnerstagvormittag ein afghanischer Mann offenbar gezielt mit einem Auto in eine Kundgebung der Gewerkschaft Verdi gefahren. Es gab zahlreiche Verletzte, darunter mehrere Schwerverletzte.
Was ist passiert?
Die Tat ereignete sich am Donnerstagvormittag gegen 10.30 Uhr in der Münchner Innenstadt. Der Fahrer eines Mini Cooper fuhr in eine Demonstration der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi mit rund 1500 Teilnehmern. „Hinter der Versammlung ist ein Polizeifahrzeug unterwegs gewesen“, schilderte Münchens Polizeivizepräsident Christian Gruber den Tathergang. „Dann hat sich von hinten ein Fahrzeug genähert, ist aufgeschlossen zum Polizeifahrzeug.“ Auf Höhe des Polizeiautos habe der Fahrer angesetzt zum Überholen, habe beschleunigt und sei dann in das Ende der Versammlung gefahren.
Wie viele Opfer gibt es?
Gruber gab die Zahl der Verletzten zunächst mit mindestens 28 an, die Zahl stieg am frühen Freitagmorgen auf 30. Ein oder zwei der Betroffenen seien lebensgefährlich verletzt, fügte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hinzu. „Wir können noch nicht sicher sein, ob sie überleben.“ Unter den Schwerverletzten war Berichten zufolge ein Kind. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte: „Wir beten für die Opfer.“
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
Der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) sprach von einem „bitteren Tag für München“. An dem Zug der Streikenden hätten sich auch einige seiner Kolleginnen und Kollegen aus der Stadtverwaltung beteiligt. „Ich hoffe, dass alle überleben werden.“
Was ist mit dem Fahrer passiert?
Der Täter ist von der Polizei direkt gestellt worden. „Auf das Fahrzeug ist einmal geschossen worden“, sagte Einsatzleiter Gruber. „Der Täter wurde festgenommen.“ Das rasche Eingreifen habe verhindert, dass es zu weiteren Gefährdungen oder Verletzungen anderer Menschen gekommen sei, erklärte Innenminister Herrmann. Der Fahrer musste nach der Festnahme medizinisch behandelt werden, weil er leicht verletzt wurde. Eine Schussverletzung soll der Mann nicht davongetragen haben. Am Freitag soll er einem Ermittlungsrichter vorgeführt werden.
Was ist über den Täter bekannt?
Bei dem Täter handelt es sich um einen 24 Jahre alten Afghanen. Er hat nach Angaben von Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) einen gültigen Aufenthaltstitel und eine Arbeitserlaubnis. „Damit war der Aufenthalt des Täters bis zum heutigen Tage nach gegenwärtigem Erkenntnisstand absolut rechtmäßig“, sagte Herrmann am Donnerstagabend der dpa. Zugleich berichtete der Minister, dass der Mann nach neuesten Erkenntnissen und entgegen erster Informationen am Mittag nicht wegen Ladendiebstählen auffällig geworden war.

Nach Worten Herrmanns kam der Afghane Ende 2016 als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling nach Deutschland. Sein Asylverfahren wurde demnach im Jahr 2020 endgültig abgeschlossen, mit einem Ablehnungsbescheid und der Aufforderung zur Ausreise. Die Landeshauptstadt München habe dann aber im April 2021 einen Duldungsbescheid erlassen und im Oktober 2021 eine Aufenthaltserlaubnis. Der junge Mann habe eine Schule besucht und eine Berufsausbildung gemacht. „Er war dann als Ladendetektiv für zwei Sicherheitsfirmen tätig“, berichtete der Innenminister.
Deshalb habe es zunächst auch ein Missverständnis gegeben, eben weil der Mann in mehreren Ladendiebstahlprozessen aufgetreten sei. „Er war nicht selbst Tatverdächtiger, sondern er war Zeuge“, stellte Herrmann klar. Über eine Verlängerung des Aufenthaltstitels sei zuletzt noch nicht entschieden gewesen – die Erlaubnis habe somit weiter gegolten, bis zu einer Entscheidung.
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Der Fahrer heißt Farhad N. und wurde 2001 in der afghanischen Hauptstadt Kabul geboren, wie diese Redaktion aus Sicherheitskreisen erfuhr. Der Mann war den Behörden demnach bisher nicht als Islamist aufgefallen. Die Sicherheitsbehörden gingen in den Stunden nach der Tat aber Informationen nach, dass der Afghane vor dem Anschlag Posts mit islamistischen Inhalten in sozialen Medien abgesetzt haben könnte. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte zu dem Attentäter: „Dieser Täter kann nicht auf irgendeine Nachsicht rechnen. Er muss bestraft werden, und er muss das Land verlassen.“
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte am Abend im ZDF, der Tatverdächtige sei „wohl bislang eher unauffällig“ gewesen. „Er war nicht ausreisepflichtig.“ Weiter sagte Söder: „Und auch bisherige extremistische Hintergründe sind jedenfalls nicht auf den ersten Blick so leicht erkennbar.“ Deshalb müsse jetzt weiter ermittelt werden, was der Grund für die schlimme und furchtbare Tat sei.

Was ist über das Motiv bekannt?
Söder sprach am Tatort von einem mutmaßlichen Anschlag: „Darauf weist vieles hin.“ Es müsse aber noch weiter ermittelt werden. Die Münchner Polizei teilte mit, die Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus bei der Generalstaatsanwaltschaft München habe die Ermittlungen übernommen, „da Anhaltspunkte für einen extremistischen Hintergrund vorliegen“.
Von einem Zusammenhang mit der am Freitag beginnenden Münchner Sicherheitskonferenz werde zunächst nicht ausgegangen, sagte Herrmann. „Die Motivation dieses afghanischen Täters muss erst noch näher erforscht werden.“ Zu der Münchner Sicherheitskonferenz werden von Freitag bis Sonntag zahlreiche ranghohe Politikerinnen und Politiker aus aller Welt erwartet. Auf der Teilnehmerliste stehen unter anderem Bundeskanzler Scholz, US-Vizepräsident J.D. Vance oder der ukrainische Staatschef Wolodymyr Selenskyj.
- Newsblog: Die News zum mutmaßlichen Anschlag in München im Blog
- Überblick: Was über die Tat von München bekannt ist
- Farhad N.: Das weiß man über den Täter von München
- Opfer: Kind muss reanimiert werden – Opfer „eher zufällig“
- Tatort: Gespenstische Stille – und ein eindringlicher Appell
Wie reagiert die Politik?
Nach den Anschlägen von Mannheim, Solingen, Magdeburg und Aschaffenburg wird die Debatte um strengere Migrations- und Sicherheitsgesetze bereits vehement geführt. Kurz vor der Bundestagswahl am 23. Februar könnte der mutmaßliche Anschlag von München die politische Stimmung noch einmal aufheizen. „Wir können nicht von Anschlag zu Anschlag gehen und Betroffenheit zeigen“, sagte Söder. Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz forderte: „Es muss sich etwas ändern in Deutschland.“ Er wolle Recht und Ordnung konsequent durchsetzen. „Jeder muss sich in unserem Land wieder sicher fühlen.“
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) versprach am Donnerstagabend im ZDF, den Mann schnell in sein Heimatland abschieben zu wollen. „Wer hier keine deutsche Staatsangehörigkeit hat und Straftaten dieser Art begeht, der muss auch damit rechnen, dass wir ihn aus diesem Land wieder zurückbringen, wegbringen und ihn abschieben“, sagte Scholz in der Sendung „Klartext“.
Das gelte ausdrücklich auch für den Tatverdächtigen, betonte Scholz. „Denn wir werden ihn sicherlich verurteilt sehen von den Gerichten und noch bevor er das Gefängnis verlässt, wird er dann auch in sein Heimatland zurückgeführt werden“, versicherte der Kanzler. Dieses Vorgehen sei aktuell zwar „nicht einfach“, aber es werde dann umgesetzt, sagte Scholz. Deutschland organisiere auch jetzt schon Abschiebeflüge nach Afghanistan.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte am Nachmittag erklärt, dass der mutmaßliche Täter erneut ein junger Mann aus Afghanistan sei. „Die Antwort kann nur sein: Der Rechtsstaat muss maximale Härte zeigen.“ Die Bundesregierung habe die Gesetze für die Ausweisung von Gewalttätern und für mehr Abschiebungen massiv verschärft, jetzt müssten sie mit aller Konsequenz durchgesetzt werden. „Als einziger Staat in Europa schieben wir trotz der Taliban-Herrschaft wieder nach Afghanistan ab und werden das weiter tun“, hob Faeser hervor.