Brüssel. Der neue Nato-Generalsekretär Mark Rutte drängt auf höhere Verteidigungsausgaben. Was er vorhat, warum er als „Trump-Flüsterer“ gilt.
Der neue Nato-Generalsekretär Mark Rutte beginnt sein Amt mit einer klaren Ansage an den russischen Präsidenten Wladimir Putin – und einer Prise Spott dazu. Der Westen werde nicht nachlassen, die Ukraine im Verteidigungskrieg gegen Russland zu unterstützen, sagte der 57-jährige Ex-Regierungschef der Niederlande am Dienstag in Brüssel. Putin dürfe nicht glauben, dass „wir nachgeben“. In seinem neuen Führungsjob stehe die Unterstützung der Ukraine „ganz oben auf der Liste“.
Dann erlaubte sich der Nato-Chef einen Scherz auf Kosten des Ex-KGB-Agenten Putin. Dessen Vertraute hatten kurz zuvor beklagt, mit Rutte werde sich der Nato-Kurs nicht ändern. Rutte bestätigte das Offenkundige fröhlich mit dem spöttischen Lob, der Kreml habe wohl „exzellente Quellen“.
Nato: Mark Rutte will mehr für die Abschreckung tun
Doch hatte der Generalsekretär kurz nach der Amtsübernahme eine klare Botschaft auch an die Allianz: Die Nato müsse mehr für ihre kollektive Verteidigung und die Abschreckung tun und dafür auch mehr Geld in die Hand nehmen. Das Bündnis brauche mehr Kräfte, mehr Investitionen und schnellere Innovationen, die Mitgliedstaaten müssten ihren „fairen Anteil“ tragen. „Um mehr zu tun, müssen wir mehr ausgeben“, forderte Rutte. Seinen Vorgänger Jens Stoltenberg, der ihm das Amt in einer Zeremonie offiziell übergab, lobte er für eine zehnjährige Dienstzeit: „Die Nato ist größer, stärker und einiger denn je“.
Der Nato-Chef soll nun nach dem Wunsch der 32 Mitgliedstaaten keine große Kursänderung einleiten, die Erwartungen sind dennoch hoch: Rutte muss dem russischen Präsidenten die Stirn bieten – und er muss zugleich einen möglichen US-Präsidenten Donald Trump im Zaum halten können, damit das Bündnis nicht auseinanderbricht.
Rutte gilt als „Trump-Flüsterer“
Rutte gilt dafür als Idealbesetzung. Er hat den Ruf eines „Trump-Flüsterers“. Doch setzt auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj große Erwartungen in ihn: „Wir werden eine starke Beziehung haben“, hat Selenskyj an der Seite Ruttes schon erklärt. Als Nato-Chef werde der Niederländer nicht nur das Bündnis zusammenhalten, sondern auch der Ukraine den Weg in die Allianz ebnen – was der Generalsekretär bei der Amtsübernahme ausdrücklich bestätigte.
Rutte hatte die Ukraine im Krieg gegen die russischen Invasoren früh mit Waffenlieferungen unterstützt und voriges Jahr die F-16-Kampfjet-Koalition für die Ukraine ins Leben gerufen. Im neuen Amt stellte er sofort klar, dass er den Einsatz westlicher Waffen durch die Ukraine gegen „legitime Ziele“ im russichen Hinterland für gerechtfertigt hält, die Entscheidung darüber hätten aber die Mitgliedstaaten, die die Waffen lieferten.
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Nato-Chef fuhr bisher mit dem Rad ins Büro
Stoltenberg erinnerte bei der Übergabe daran, dass der Rechtsliberale in den Niederlanden in 14 Jahren vier verschiedene Koalitionsregierungen geführt hat. Er wisse also, wie man Kompromisse finde und Konsens herstelle – Fähigkeiten, die sehr wichtig seien in der Nato. Was Stoltenberg lieber nicht sagte: Sein Nachfolger hat sich in den Niederlanden den nur bedingt ehrenvollen Spitznamen „Teflon-Rutte“ erarbeitet: Alle Attacken ließ er geschickt abperlen.
Rutte gilt als geschmeidig, pragmatisch, charmant. Dazu führt er ein für einen Regierungschef ungewöhnliches Leben: Der studierte Historiker und Ex-Manager lebte bislang als Junggeselle in einer gewöhnlichen Etagenwohnung in Den Haag, fuhr dort oft mit dem Fahrrad ins Büro. Das ist nun tabu: Der Nato-Chef arbeitet meist in der Hochsicherheits-Zone des ohnehin streng gesicherten Nato-Hauptquartiers, seine Dienstvilla befindet sich in einer hermetisch abgeriegelten Wohnanlage am Rande des Brüsseler Zentrums.
Rutte spielt seit seiner Kindheit leidenschaftlich gern Klavier, teure Hobbys sind nicht bekannt. Affären auch nicht: „Ich bin einfach noch nicht der Richtigen begegnet“, sagte er einmal im niederländischen Fernsehen.
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Die US-Regierung hatte ihn schon mehrmals intern gedrängt, den Spitzenjob in der Nato zu übernehmen, auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat ihn frühzeitig favorisiert. Aber erst nach einem Koalitionsbruch im Juli 2023, bei dem er seinen Rückzug aus der niederländischen Politik angekündigte, war aus Ruttes Sicht der Weg zum Nato-Spitzenjob frei.
Nato-Generalsekretär Rutte: Er gilt als „Trump-Flüsterer“
Was ihn im Bündnis praktisch alternativlos machte, ist sein ungewöhnlich gutes Verhältnis zu Donald Trump, dessen mögliche Präsidentschaft das große Angst-Thema auch im Nato-Hauptquartier ist: Trump spielt mit der Drohung, die USA könnten die Nato verlassen – was das Ende der Allianz bedeuten würde. Wiederholt hat er auch die amerikanischen Schutzzusagen für die Verbündeten im Fall eines Angriffs infrage gestellt, was die Abschreckungsstrategie der Nato beschädigt.
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Rutte hat den damaligen US-Präsidenten gleich zweimal im Weißen Haus besucht – ungewöhnlich für einen Premier aus einem kleineren EU-Land. 2019 meinte Trump über seinen Gast: „Wir sind Freunde geworden in den vergangenen Jahren.“ Die Beziehungen zwischen Washington und Den Haag seien so gut wie noch nie. Bei der Münchner Sicherheitskonferenz mahnt Rutte: „Wir sollten aufhören, über Trump zu jammern und zu nörgeln. Wir müssen mit jedem zussammenarbeiten können.“ Rutte hat aber auch einen exzellenten Draht zu Präsident Joe Biden, der ihm als freundschaftliche Geste schon mal erlaubte, sich für ein Foto auf den Präsidentenstuhl am Schreibtisch im Oval Office zu setzen.
Die Niederlande erfüllte unter Rutte nie das 2-Prozent-Ziel
Das Vertrauen der Amerikaner ist der Schlüssel für den Top-Posten, ohne Zustimmung aus Washington geht nichts. „Der Nato-Chef muss im Krisenfall aber auch noch mit jedem anderen Regierungschef selbst nach Mitternacht vertraulich telefonieren und Kompromisse schmieden können, selbst mit Erdogan oder Orban“, beschreibt ein Nato-Diplomat die zentrale Erwartung. Denn die Hauptaufgabe des Generalsekretärs ist es, die 32 Mitgliedsländer mit ihren sehr unterschiedlichen Interessen auf Konsens-Kurs zu halten. Dieser politische Job geht in der Nato traditionell an einen Europäer, die militärische Führung hat stets ein US-General.
Ein Manko allerdings gibt es: Die Niederlande haben unter Ruttes Verantwortung nie das Zwei-Prozent-Ziel der Allianz für die Verteidigungsausgaben erreicht. In diesem Jahr erfüllen Deutschland und 22 weitere Mitgliedsländer die Vorgabe, jetzt gibt es Forderungen, die Zielmarke auf drei Prozent zu erhöhen. Rutte machte klar, dass er von nun an – wie sein Vorgänger – die Nato-Staaten zu größeren Anstrengungen antreiben wird.
Wie er mit Widerständen umgeht, hat er schon vor seiner Wahl demonstriert, als einige Nato-Staaten wie Rumänien, Ungarn und die Türkei Bedenken gegen seine Kandidatur erhoben. Rutte räumte sie mit díplomatischem Geschick aus dem Weg. Dem ungarischen Premier Viktor Orban sicherte er sogar schriftlich zu, dass er sein Land nicht zu einer Beteiligung an einem geplanten Nato-Einsatz zur Koordinierung von Waffenlieferungen für die Ukraine drängen werde. Die Regierung von Orban befürchtet, dass das Bündnis durch das Projekt in eine direkte Konfrontation mit Russland getrieben werden könnte.
Der Abschuss des Passagierfluges MH17 hat Rutte persönlich geprägt
Den Zusammenhalt der Allianz bei der weiteren Unterstützung der Ukraine zu sichern, werde „der erste Test“ für Rutte im neuen Amt, sagt Oana Lungescu, Nato-Expertin beim Londoner Sicherheitsinstitut Rusi und zuvor langfährige Sprecherin Stoltenbergs in Brüssel. Rutte muss dafür sorgen, dass eine für 2025 beschlossene Hilfszusage der Allianz für die Ukraine über 40 Milliarden Euro auch in den Folgejahren fortgeschrieben wird – was Stoltenberg nicht mehr gelungen war. Der neue Nato-Chef sagte zu, er wolle die Unterstützung noch verstärken. Als erste seiner Prioritäten aber nannte er, die Verteidigungsbereitschaft der Nato zu sichern. „Wir müssen die Bedrohung durch Russland abwehren“, fordert Rutte.
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An seiner klaren Haltung gegenüber Moskau besteht kein Zweifel. Der Abschuss des in Amsterdam gestarteten Passagierfluges MH17 über der Ostukraine 2014, bei dem 298 Passagiere ums Leben kamen, darunter 153 Niederländer, hat die niederländische Politik tief geprägt, auch Rutte persönlich. Seine Regierung macht Russland für den Abschuss verantwortlich, Rutte droht: „Wir werden die Russische Föderation für ihre Rolle in dieser Tragödie zur Rechenschaft ziehen.“