Paris. Brandmauer, Messerattacken: Auch in Paris kocht die Migrationsdebatte hoch. Der Regierung droht mal wieder das Aus – und auch Macron.
Hat sich François Bayrou sein eigenes politisches Grab geschaufelt? Erst vor sieben Wochen zum Chef einer fragilen Minderheitsregierung in Frankreich ernannt, hielt sich der 73-jährige Mittepolitiker bisher geschickt über Wasser. Mit einigen gezielten Schachzügen schaffte er es, die Linksfront aufzubrechen und die Sozialisten auf seine Seite zu ziehen. Linkenchef Jean-Luc Mélenchon wütete zwar über den „Verrat“ der Sozialdemokraten; doch erstmals seit der verpatzten Ansetzung von Neuwahlen durch Präsident Emmanuel Macron im Sommer 2024 gewann eine Regierung wieder etwas Boden unter den Füßen.
Jetzt macht Bayrou diese vorsichtige Aufbauarbeit mit einem Schlag, oder besser gesagt mit einem Satz, zunichte. In einem Fernsehinterview erklärte er, die Franzosen litten unter einem „Gefühl der Überschwemmung“ durch Migranten. Die Linke reagierte mit einem Aufschrei auf diese Wortwahl aus dem Vokabular der extremen Rechten. Bayrou bekräftigte aber, dass seine Einschätzung nicht nur auf die chaotischen Verhältnisse der Überseeinsel Mayotte zutreffe, sondern „auch auf andere Orte in Frankreich“.
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Sozialistenchef Olivier Faure sagte darauf die Verhandlungen mit der Regierung über den – immer noch nicht verabschiedeten – Haushalt 2025 kurzerhand ab. Er schließt nicht mehr aus, dass seine Partei mit den Links- und Rechtspopulisten einen Misstrauensantrag gegen Bayrou mittragen könnte. Es wäre der vierte Regierungssturz in einem Jahr; und auch Macron würde ihn aufgrund seiner politischen Isolation womöglich nicht überleben.
Warum Bayrou mit seiner Bemerkung bewusst ins Wespennest der Migrationsdebatte sticht, bleibt sein Geheimnis. Vermutlich sucht er sich das Stillhalten von Rechten-Chefin Marine Le Pen zu erkaufen. Damit könnte er den Haushalt ohne Misstrauensantrag durchbringen. Le Pens Rassemblement National (RN) applaudierte jedenfalls heftig zu Bayrous Aussagen.
Messerattacke in Paris verschärft Migrationsdebatte
Die Migrationsdebatte ist damit in Paris über Nacht neu aufgebrochen. Und dies auch ohne Wahlhintergrund wie in Deutschland. Parallelen gibt es trotzdem. Während in der Bundesrepublik der Messerangriff von Aschaffenburg, bei dem ein zweijähriges Kind und ein 41-jähriger Helfer erstochen wurden, entsetzt, herrscht in Paris Fassungslosigkeit über den Tod eines 14-Jährigen. Er starb durch den Messerstich eines Minderjährigen mit Migrationshintergrund, der ihm sein Handy rauben wollte.
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In einer Umfrage halten 64 Prozent der Franzosen Bayrous Überschwemmungs-Spruch für zutreffend. Das „Gefühl“ vieler Franzosen wird genährt durch den Umstand, dass Frankreich im vergangenen Jahr die Ausweisung von 134.000 illegal Zugereisten angeordnet, aber nur 22.000 effektiv vorgenommen hat. Laut der Rechten wird auch die legale Immigration unterbewertet, da die Kinder von Zugereisten wegen des Bodenrechts automatisch Franzosen würden. In einem Punkt findet Bayrou Zustimmung in allen Lagern – nämlich, wenn er sagt, das französische Integrationsmodell sei weitgehend gescheitert.
Politische Debatte läuft ähnlich wie in Deutschland
Die rein politische Debatte verläuft in Frankreich ähnlich wie in Deutschland. Das Macron-Lager und die bürgerliche Rechte argumentieren, die Franzosen seien großmehrheitlich gegen den Laxismus in Sachen Zuwanderung; wer dieses Thema Le Pen überlasse, begünstige nur ihren Sieg bei den nächsten Präsidentschaftswahlen. Die Linke kontert, die Macronisten und Republikaner kopierten bewusst Le-Pen-Themen, um ihren eigenen Wählerschwund aufzuhalten; dadurch förderten sie aber nur die Extremisten – und müssten letztlich nach ihrer Pfeife tanzen.
Dieser Vorwurf richtet sich aktuell an Bayrou. Er verweigert zwar jede formelle Kooperation mit den Lepenisten und hält rhetorisch an der „Brandmauer“ gegen Le Pen fest. Indem er aber selber den rechten Diskurs praktiziert, habe er den Schutzwall aber bereits selber aufgelöst, moniert die Linke.
Fürs Erste tanzt der Premier aber vor allem nach der Pfeife der Linken: Die Sozialisten verlangen mit Nachdruck soziale Zusätze beim Haushalt; andernfalls drohen sie ihm mit dem Regierungssturz. Von den Sparbemühungen der Macron-Regierung im neuen Staatsbudget wird damit nicht viel bleiben. Aber das ist nochmal ein anderes Problem Frankreichs.
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