Schlomi. Viele der evakuierten Israelis trauen sich trotz der Waffenruhe mit der Hisbollah nicht zurückzukehren. Die Angst ist sogar gewachsen.
Achtung, bissiger Hund! Das Schild am Gartenzaun warnt vor einer Gefahr, die es längst nicht mehr gibt. Kein Hund wacht hier, der Garten gehört den Straßenkatzen. Sie patrouillieren durchs hohe Gras und warten, dass eine der neuen Bewohnerinnen das Haus verlässt – eine Maus hier, eine Ratte dort. Die Nager naschen an dem, was in der Küche zurückblieb, als die Menschen von hier verjagt wurden. Es ist ein Haus von vielen, in einer Straße von vielen, in Schlomi, einer Kleinstadt in Israel, die sich an die Grenze zum Libanon schmiegt.
In Schlomi lebten 10.000 Menschen. Dann kam der Oktober 2023, und mit ihm kamen die Raketen aus dem Libanon. Eltern packten ihre Kinder, rannten mit ihnen in die Luftschutzräume, Autofahrer gingen im Straßengraben in Deckung. Die Hisbollah im Libanon nannte das „Solidarität mit Gaza“, als hätte Israel den Krieg begonnen, nicht die Hamas in Gaza. Ein Jahr und zwei Monate lang hielt der Raketenbeschuss an. Nun ist Waffenruhe. Es ist keine Stille, die zum Durchatmen einlädt.
Israel hat im Krieg gegen die Hisbollah den Ort im Norden evakuiert
„Es ist wie ein Pflaster, das man auf eine Wunde klebt. Irgendwann löst es sich und fällt herunter.“ So beschreibt Yossi Amrussi die Vereinbarung zur Waffenruhe. Yossi steigt über die Wildpflanzen, die sich vor dem Eingang zu seinem Haus breitgemacht haben. Der 35-Jährige ist heute zum ersten Mal wieder hier, nachdem die Familie im Herbst 2023 evakuiert worden war. Die sechsjährige Avishag ist mitgekommen. Sie hebt vom Boden ein grellrosa Stofftier auf, das sie zurückgelassen hatte, als die Familie Schlomi verlassen musste. „Ich will zurück“, sagt sie, „zu meinem Spielzeug.“
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Avishag hat im letzten Jahr drei Mal die erste Grundschulstufe begonnen. Einmal in Schlomi, zu Beginn des Schuljahres. Dann in Jerusalem, wo die vierköpfige Familie in einem Hotelzimmer untergebracht wurde, nachdem Schlomi evakuiert worden war. Und dann nahe Haifa, wo sie nach ein paar Monaten eine Wohnung anmieteten, weil ihnen klar wurde, dass der Krieg so bald nicht vorbei sein würde. Ob sie jetzt, nach dem Beginn der Waffenruhe, wieder in ihr Haus zurückkehren? „Ich möchte schon gerne“, sagt Yossi. „Aber meine Frau ist dagegen. Und ich kann sie verstehen.“
Er zeigt auf ein Loch im Eingangstor. Es war zwar nur ein Splitter jener Rakete, die in einem Mehrfamilienhaus in der Nachbarschaft ein viel größeres Loch verursacht hatte. Aber auch dieser Splitter hätte gereicht, um einen von ihnen zu töten. Yossi führt hinauf, in den oberen Teil seines Einfamilienhauses, der längst fertig sein sollte, aber sich noch im Rohbau befindet. Von hier aus bietet sich ein prachtvoller Blick auf die Hügel des Libanon. Zugleich sind Yossi und Avishag prachtvolle Angriffsziele aus Sicht der Milizen, die auf dem Hügel stationiert sind.
Bis Ende Januar sollen die Hügel von den Stellungen der Hisbollah befreit werden, so steht es in der Vereinbarung zur Waffenruhe. Yossi glaubt nicht daran. „Dort oben leben ja Menschen, die wollen in ihre Häuser zurück. So wie wir auch.“ Und unter diesen Menschen gebe es eben auch Terroristen.
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„Die Leute hier trauen dieser Ruhe nicht“, sagt auch Abed (Name geändert, Anm.), der mit seiner Frau Elsi einen Kiosk in Schlomi betreibt. Der Kiosk ist im Krieg zu einer Anlaufstelle für die wenigen Verbliebenen geworden. Sie kommen hierher, um Lottoscheine auszufüllen und die Leere, die sich über Schlomi gelegt hat, als alle Nachbarn die Stadt verließen. Sie plaudern, besprechen Kriegsverläufe, Elsi macht ihnen Kaffee. „Sie brauchen einen Ort, wo sie hingehen können“, sagt Elsi. Sie, das sind Hunderte Soldaten, die hier stationiert wurden. Aber auch „die Omas und Opas, die nicht evakuiert werden wollten“.
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Einer dieser Opas ist Asher. „Wie kann ich weg von hier? Ich bin Bauer, ich muss mich um meine Hühner kümmern.“ Asher ist hier aufgewachsen. Er erinnert sich an die Zeit, als die Libanesen noch nach Israel kamen, um hier zu arbeiten. „Das war, bevor sich die Hunde das Land geschnappt haben“, sagt er. Die „Hunde“, das ist die Hisbollah. „Sie haben keinen Gott“, meint Asher.
So schlimm war es noch nie: Die Drohnen machten den Krieg noch bedrohlicher
Der 63-Jährige hat auch den ersten und zweiten Libanonkrieg erlebt, aber so schlimm wie jetzt sei es noch nie gewesen. Die Drohnenangriffe machten den Krieg noch einmal bedrohlicher. Trotzdem hält Asher gar nichts von diesem Waffenruheabkommen. „Wir haben nicht genügend Hisbollah-Leute umgebracht“, sagt er. „Wir hätten sie alle neutralisieren sollen – bis zum letzten Mann.“
„Viele haben jetzt noch mehr Angst als vor der Waffenruhe“, sagt Kioskbesitzer Abed. „Sie glauben, wenn die Kämpfe wieder losgehen, dann explodiert es so richtig.“ Der Mittdreißiger kennt diesen Krieg von innen und außen. Er verfolgt die Berichterstattung in Israel, hat aber auch selbst als Soldat der israelischen Armee in diesem Krieg gekämpft. Erst in Gaza, wo er zwei Mal verwundet wurde, dann im Libanon.
„Der Libanon ist die Mutter, die mich gebar. Israel ist die Mutter, die mich großzog“
Abed weiß aber auch, was die libanesischen Medien über diesen Krieg berichten und kennt die Erzählungen der Binnenflüchtlinge in Beirut. Denn Abed ist selbst im Libanon geboren und aufgewachsen, bis seine Familie Anfang des Jahrtausends der Kollaboration mit Israel verdächtigt wurde und auf die andere Seite der Grenze floh. Damals hätte niemand gedacht, dass er 24 Jahre später wieder in das Dorf seiner frühen Kindheit zurückkehren würde – als Teil der israelischen Bodenoffensive. Es waren gemischte Gefühle, die dabei hochkamen. „Der Libanon ist die Mutter, die mich gebar. Israel ist die Mutter, die mich großzog“, sagt er. „Aber nicht jede Mutter ist gleich gut zu ihrem Kind.“ Schon als kleiner Junge im Libanon habe er viel Gewalt gesehen. „Unser Spiel war es, Leichen zu zählen.“
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Wo seine eigenen Kinder aufwachsen werden? Abed hat keine Ahnung. Als die Hisbollah den Krieg begann, war Elsi mit den drei Kindern in die 15 Kilometer weiter südlich gelegene Stadt Nahariya gezogen. Abed meldete sich freiwillig zum Reservedienst und rückte ein. In Nahariya waren die Schulen und Kindergärten geöffnet, es gab weniger oft Raketenalarm als in Schlomi, wo an manchen Tagen fünf Mal die Sirene heulte. Trotzdem kam Elsi jeden Tag zurück nach Schlomi, um den Kiosk offen zu halten.
„Das ist kein Kriegsende, nur eine Waffenruhe“, sagt Elsi. Und zuletzt war sie nicht einmal so richtig ruhig. Am Montag griff die Hisbollah israelische Ziele auf den Golanhöhen an, Israel reagierte mit Beschuss im Libanon. Seit er sich erinnern kann, lebt Abed im Krieg. Er macht sich keine Illusionen. „Die Geschichte wird sich so lange wiederholen, bis es in der gesamten Region eine politische Lösung gibt.“