Berlin. Warum der Kanzler den FDP-Politiker rauswarf, wie es nun weitergeht. Und die Antwort auf die Frage, ob Scholz bei Neuwahlen antritt.

Es war für Olaf Scholz der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte: Seine Regierung balancierte am Abgrund – und Finanzminister Christian Lindner spielte aus Sicht des Kanzlers mal wieder falsch. In diesem Augenblick fasste Scholz am Mittwochabend den Entschluss, den FDP-Politiker aus der Regierung zu werfen. Die Ampel-Koalition ist damit am Ende. Vermutlich bald auch die Kanzlerschaft von Olaf Scholz.

Was war passiert? Seit Tagen hatten Scholz, Lindner und der Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) versucht, eine gemeinsame Lösung zu finden, um einen Haushalt für das kommende Jahr aufzustellen. „Ich habe dem Koalitionspartner von der FDP heute Mittag noch einmal ein umfassendes Angebot vorgelegt, mit dem wir die Lücke im Bundeshaushalt schließen können, ohne unser Land ins Chaos zu stürzen“, schildert Scholz seine Sicht der Dinge.

Scholz kündigt Vertrauensfrage an und entlässt Finanzminister Lindner

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    Doch Lindner lehnte dieses Angebot dem Vernehmen nach ab. Konkret soll sich der Finanzminister gegen den Vorschlag gewehrt haben, die Schuldenbremse für das kommende Jahr zu lockern, um mit 15 Milliarden Euro die Ukraine-Hilfe zu finanzieren. Lindners Gegenvorschlag: Wir bringen die Ampel-Koalition gemeinsam zu Ende und bereiten den Weg für Neuwahlen. Der Finanzminister sah sich in dem Szenario bis zum Ende im Amt, ist aus Teilnehmerkreisen zu hören. Aber diesen Vorschlag habe Scholz „brüsk“ zurückgewiesen, berichtete Lindner später.

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    Die abendliche Krisenrunde der Koalitionsspitzen im Kanzleramt zog sich daraufhin zu getrennten Beratungen zurück. In diese Pause platzte eine Eilmeldung: Die „Bild“-Zeitung berichtete auf ihrem Onlineportal von dem Lindner-Vorschlag. Da reichte es Scholz: Der Kanzler kehrte zu Lindner zurück und teilte dem Finanzminister seine Entlassung mit. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte Scholz zu dem Zeitpunkt wohl schon über diesen Schritt informiert.

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    Von Leonhard Rosenauer, Patricia von Thien und Philipp Luther  •  vor 18 min

    Scholz kocht vor Wut über Lindner

    „Kanzler entlässt Bundesfinanzminister Lindner“, heißt es um 20:33 Uhr per SMS aus dem Kanzleramt. Da hatten die Koalitionsspitzen seit gut zwei Stunden zusammengesessen. Eine Dreiviertelstunde später tritt Scholz dort vor die Kameras und seine Wut über Lindner kocht noch. Scholz zählt auf, was er Lindner vorgeschlagen hatte, es war ein Vier-Punkte-Plan.

    Scholz wollte Unternehmen durch einen billigeren Strompreis entlasten, indem er die Netzentgelte deckelt. Zweitens wollte der Kanzler ein „Paket schnüren“, das „Arbeitsplätze in der Automobil-Industrie und bei den vielen Zulieferer-Betrieben sichert“. Drittens plante Scholz eine Investitionsprämie und wollte die steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten für Firmen verbessern. Schließlich forderte Scholz, die Unterstützung für die Ukraine zu erhöhen.

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    Der Kanzler rechnet mit dem Finanzminister ab

    „Der Bundesfinanzminister zeigt keinerlei Bereitschaft, dieses Angebot zum Wohle des Landes in der Bundesregierung umzusetzen“, kritisiert Scholz in seiner Erklärung. „Ein solches Verhalten will ich unserem Land nicht länger zumuten.“ Und dann rechnet der Kanzler mit Christian Lindner ab in einer Art und Weise, die von viel aufgestautem Frust über den FDP-Politiker zeugt. Dabei galt das persönliche Verhältnis zwischen den beiden einmal als ein Grund, warum das Bündnis der ungleichen Partner funktionieren konnte.

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    „Wer sich in einer solchen Lage einer Lösung, einem Kompromissangebot verweigert, der handelt verantwortungslos“, beginnt Scholz. „Als Bundeskanzler kann ich das nicht dulden.“ Immer wieder habe er Kompromissvorschläge gemacht. „Das ging mitunter hart an die Grenze auch meiner politischen Überzeugungen“, betont Scholz seine Sicht. Dann geht er vollends auf Attacke.

    Scholz über Lindner: „Zu oft hat er mein Vertrauen gebrochen“

    Es ist ein Wutausbruch, der in die Geschichtsbücher eingehen dürfte. „Zu oft wurden die nötigen Kompromisse übertönt durch öffentlich inszenierten Streit und laute ideologische Forderungen. Zu oft hat Bundesminister Lindner Gesetze sachfremd blockiert“, wirft Scholz dem Liberalen vor. „Zu oft hat er kleinkariert parteipolitisch taktiert. Zu oft hat er mein Vertrauen gebrochen.“

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    Der Kanzler fährt fort: „Es gibt keine Vertrauensbasis für die weitere Zusammenarbeit. So ist ernsthafte Regierungsarbeit nicht möglich. Wer in eine Regierung eintritt, der muss seriös und verantwortungsvoll handeln. Der darf sich nicht in die Büsche schlagen, wenn es schwierig wird.“ Christian Lindner sei es nicht um die Interessen der Bürger gegangen. „Ihm geht es um die eigene Klientel, ihm geht es um das kurzfristige Überleben der eigenen Partei.“

    „Olaf Scholz hat lange die Notwendigkeit verkannt, dass unser Land einen neuen wirtschaftlichen Aufbruch benötigt“, kritisiert Christian Lindner.
    „Olaf Scholz hat lange die Notwendigkeit verkannt, dass unser Land einen neuen wirtschaftlichen Aufbruch benötigt“, kritisiert Christian Lindner. © AFP | John Macdougall

    Lindner macht Scholz Vorwürfe: Sie gehen, wie sie regierten

    Nach seinem Rauswurf wirft Lindner dem Kanzler vor, diese Erklärung lange vorbereitet zu haben. Scholz habe zudem versagt, die Wirtschaftskrise rechtzeitig und wirkungsvoll anzupacken. „Olaf Scholz hat lange die Notwendigkeit verkannt, dass unser Land einen neuen wirtschaftlichen Aufbruch benötigt. Er hat die wirtschaftlichen Sorgen der Bürgerinnen und Bürger lange verharmlost“, sagt Lindner. Der FDP-Politiker gibt dem Kanzler die Schuld am Bruch der Ampel-Koalition. Sie gehen, wie sie regierten. Später am Abend kündigt die FDP an, alle Minister aus der Regierung zurückzuziehen.

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    Scholz will nun noch die letzten Geschäfte seiner Regierung regeln. Bis Weihnachten will er „alle Gesetzentwürfe zur Abstimmung stellen, die keinerlei Aufschub dulden“. Der Kanzler nennt den Ausgleich der Kalten Progression, das Rentenpaket, die Umsetzung der Regeln des neuen EU-Asylsystems und Sofortmaßnahmen zur Unterstützung der deutschen Industrie. In der ersten Sitzungswoche des Bundestags im neuen Jahr will Scholz am 15. Januar im Parlament die Vertrauensfrage stellen, um den Weg für vorgezogene Neuwahlen bis Ende März freizumachen. 

    Scholz geht auf Merz zu – und will nochmal antreten

    Zudem geht Scholz auf die Union zu. „Ich werde nun sehr schnell auch das Gespräch mit dem Oppositionsführer, mit Friedrich Merz, suchen“, kündigt Scholz am Abend an, ein Telefonat hat er mit dem CDU-Chef bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht geführt. Die Union hatte in den vergangenen Tagen aber bereits die Bereitschaft signalisiert, einer Minderheitsregierung in wichtigen Fragen zu helfen. „Ich möchte ihm anbieten, in zwei Fragen, die entscheidend sind für unser Land, konstruktiv zusammenzuarbeiten: Bei der schnellen Stärkung unserer Wirtschaft und unserer Verteidigung.“

    Dann werden sich die beiden in Neuwahlen gegenüberstehen. Merz als Kanzlerkandidat der Union. Scholz will trotz des Scheiterns seiner Koalition erneut als SPD-Spitzenkandidat antreten. Auch FDP-Chef Lindner kündigt am Abend an, seine Partei sei bereit, weiterhin Verantwortung für dieses Land zu tragen. „Und wir werden dafür kämpfen, dies in einer anderen Regierung im nächsten Jahr auch zu tun.“