Tel Aviv/Teheran. Israels Gegenschlag war lange erwartet worden. Teheran spielt die Schäden herunter – und droht mit einer „angemessenen“ Antwort.
- Israel hat in der Nacht zu Samstag Irans Hauptstadt Teheran angegriffen
- Dabei sollen nur militärische Ziele getroffen worden sein
- Der Iran spricht von vier getöteten Soldaten und droht bereits mit Vergeltung
- Angeblich hat der Luftangriff nur geringe Schäden angerichtet
- Die USA, Deutschland und die EU rufen zur Zurückhaltung auf
- Saudi-Arabien verurteilt hingegen den israelischen Angriff
Der lang erwartete Vergeltungsschlag Israels kam in mehreren Wellen. In Irans Hauptstadt Teheran und der nahegelegenen Stadt Karadsch waren am Samstag in den frühen Morgenstunden (Ortszeit) mehrere laute Explosionen zu hören. Das iranische Staatsfernsehen bestätigte die Vorfälle, gab zunächst aber keinen offiziellen Kommentar ab. „Als Reaktion auf die seit Monaten andauernden Angriffe des iranischen Regimes“ auf Israel führe man „derzeit präzise Angriffe auf militärische Ziele im Iran“ durch, teilte Daniel Hagari, Sprecher der israelischen Armee, gegen 2.30 Uhr (Ortszeit Tel Aviv) schließlich mit.
Dabei seien aber keine Atomanlagen oder Ölfelder angegriffen worden, wie ein israelischer Repräsentant dem US-Sender NBC später in der Nacht sagte. Vielmehr habe man sich auf militärische Ziele beschränkt. „Wir greifen Dinge an, die uns in der Vergangenheit hätten bedrohen können oder dies in der Zukunft tun könnten“, zitierte der US-Sender den namentlich nicht genannten Repräsentanten. Konkret wurden offenbar Armee-Baracken und ein Waffen-Depot ins Visier genommen.
Auch interessant
Israels Vergeltungsschlag gegen den Iran: „Mission erfüllt“
„Es war so laut und der Himmel wurde rot“, schilderte ein Einwohner Teherans den Angriff in der Nacht. Augenzeugen zufolge strömten viele Bewohner auf die Straßen. Iranische Journalisten bestätigten gegenüber US-Medien „den Sound von Bomben und Explosionen“, der binnen weniger Sekunden zu hören gewesen sei.
Lesen Sie dazu: Israels Vergeltungsschlag im Iran: Wann kommt der Gegenangriff?
Gegen 6 Uhr am Morgen beendete das israelische Militär den nächtlichen Angriff auf den Iran schließlich. „Unsere Flugzeuge sind sicher heimgekehrt“, hieß es in der Mitteilung der Armee. „Der Vergeltungsschlag ist abgeschlossen und die Mission wurde erfüllt.“
Bei dem israelischen Angriff im Iran sind nach Angaben des iranischen Militärs vier Soldaten getötet worden. Sie seien im Rahmen der Verteidigung gefallen, berichtete die Agentur Tasnim unter Berufung auf eine Mitteilung der Armee. Alle dienten in der iranischen Flugabwehr, hieß es weiter.
Iranische Staatsmedien stellen Gegenschlag Israels als harmlos dar
In den iranischen Staatsmedien wurde der Vergeltungsschlag zugleich als harmlos dargestellt. Der staatliche Rundfunk berichtete, die Geräusche von Explosionen im Westen der Hauptstadt Teheran seien durch Luftabwehr ausgelöst worden. Demnach seien die Kampfflugzeuge nicht in iranischen Luftraum eingedrungen, sondern hätten nahe der Grenze ihre Raketen auf Ziele im Iran abgefeuert. Dabei seien etwa Radarstationen getroffen worden. Die Schäden seien „begrenzt und geringfügig“ gewesen. Die Angaben ließen sich zunächst aber nicht unabhängig überprüfen.
Ein israelischer Repräsentant sagte der Nachrichtenseite ynet, der Iran versuche die Explosionsgeräusche als Ergebnis der Luftabwehr darzustellen. Dies sei „eine Lüge“. Die Abwehrversuche seien gescheitert, es habe keine erfolgreichen Abschüsse im Iran gegeben.
Später am Morgen sperrte der Iran seinen Luftraum ab. Alle Flüge seien gestrichen worden, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Irna unter Berufung auf einen Sprecher der zivilen Luftfahrtbehörde. Laut der Luftfahrtbehörde sollten Fluggesellschaften ab 9 Uhr Ortszeit (7.30 Uhr MESZ) in den Normalbetrieb zurückkehren dürfen. Passagieren wurde jedoch empfohlen, in Kontakt mit ihren Airlines zu treten, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Irna.
Teheran will sich „verteidigen“
Irans Militär zeigte sich bereits nach dem Angriff Israels für einen weiteren Gegenschlag bereit. „Es besteht kein Zweifel daran, dass Israel auf jede Aktion eine angemessene Antwort erhalten wird“, zitierte die Nachrichtenagentur Tasnim eine anonyme Quelle aus der Staatsmacht Stunden nach dem Angriff auf Teheran. Tasnim gilt als Sprachrohr der Revolutionsgarden, Irans Elitestreitmacht.
Die Regierung in Teheran hat die Angriffe verurteilt. Der Iran habe „das Recht und die Pflicht, sich gegen ausländische Aggressionen zu verteidigen“, erklärte das iranische Außenministerium am Samstag. Es verwies dabei auf das in Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen festgeschriebene Recht auf Selbstverteidigung. Außenminister Abbas Araghchi sagte in einem Interview mit der Nachrichtenagentur AFP: „Ich glaube, wir haben bereits gezeigt, dass unser Wille zur Verteidigung keine Grenzen hat.“
Das Militär arbeitet laut einem Medienbericht an mehreren Angriffsszenarien. Die Islamische Republik könnte bis zu 1000 ballistische Raketen auf den erklärten Erzfeind abfeuern, die Angriffe verbündeter Milizen in der Region noch ausweiten und den Schiffsverkehr im Persischen Golf und der Straße von Hormus stören. Andererseits könnte die Führung in Teheran nach Angriff und Gegenangriff auch einen vorläufigen Schlussstrich ziehen.
Auch interessant
Hisbollah greift Israel mit Raketen an
Eine erste Antwort auf Israels Luftangriffe schickte noch am selben Tag die islamistische Hisbollah. Rund 80 Raketen der pro-iranischen Miliz drangen bis zum frühen Nachmittag in israelischen Luftraum ein, hieß es von der Armee. Die Miliz nannte die israelischen Angriffe eine „gefährliche Eskalation in der Region“ und erklärte, sie habe fünf Wohngebiete im Norden Israels mit Raketen beschossen, darunter den Ballungsraum Krajot am Stadtrand von Haifa.
Demnach soll auch ein israelischer Luftwaffenstützpunkt mit Drohen attackiert worden sein. Die israelische Armee griff ihrerseits noch am selben Tag erneut Hisbollah-Stellungen im Libanon an.
USA: Aufatmen in der Biden-Regierung nach Israels Vergeltungsschlag
Gegen 20 Uhr Ostküstenzeit reagierte die US-Regierung unter Präsident Joe Biden auf die Nachrichten aus dem Nahen Osten: „Nach unserem Verständnis führt Israel gezielte Angriffe gegen militärische Ziele im Iran als Selbstverteidigung durch“, erklärte ein Sprecher, ohne weitere Angaben zu machen. Die Regierung in Washington war mehrere Stunden vorab von Israel über die Angriffe auf den Iran in Kenntnis gesetzt worden.
US-Verteidigungsminister Lloyd Austin habe nach Beginn der Attacken mit seinem israelischen Kollegen Joaw Galant telefoniert, berichteten der Sender NBC und das „Wall Street Journal“ unter Berufung auf Regierungsbeamte.
Dass offenbar nur militärische Ziele attackiert wurden, hat in der Biden-Administration für Auftatmen gesorgt. Eine eng begrenzte, Zivilisten aussparende Aktion, die Öl- und Nuklear-Anlagen verschont, sei „am ehesten geeignet, eine weitergehende Eskalation zu vermeiden“, hieß es am Abend in Washingtoner Sicherheitskreisen. Der Präsident selbst verfolge die Situation weiter, berichteten mit Joe Biden mitreisende Journalisten. Er halte sich in seinem Haus im Bundesstaat Delaware auf.
Auch interessant
Experten des Weißen Hauses und des Verteidigungsministeriums hatten sich in den vergangenen Tagen eng mit Israel über Umfang und Art der Ziele beraten, die Israel gegen Teheran ins Visier nehmen würde. US-Beamte äußerten sich zuvor verstimmt darüber, dass Israel Washington nicht gewarnt hatte, bevor ein israelischer Angriff den langjährigen Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah tötete.
Saudi-Arabien hat den israelischen Angriff auf Ziele im Iran überraschend verurteilt. Das Königreich sprach von einer Verletzung der iranischen Souveränität und bezeichnete die Luftangriffe als Verstoß gegen internationale Gesetze, wie die staatliche saudische Nachrichtenagentur SPA berichtete. Riad rief alle Parteien zu größtmöglicher Zurückhaltung und zur Deeskalation auf. Vor mehr als einem Jahr wollte Saudi-Arabien noch seine Beziehungen zu Israel normalisieren.
Scholz warnt Teheran vor Gegenschlag
Bundeskanzler Olaf Scholz warnte Teheran am Samstag vor jeder weiteren Eskalation. „Meine Botschaft an den Iran ist klar: Es darf nicht immer weitergehen mit massiven Reaktionen der Eskalation. Das muss jetzt ein Ende haben“, erklärte Scholz am Samstag im Onlinedienst X. Dann biete sich die Möglichkeit für „eine friedliche Entwicklung im Nahen Osten“.
Meine Botschaft an den Iran ist klar: Es darf nicht immer weitergehen mit massiven Reaktionen der Eskalation. Das muss jetzt ein Ende haben. Dann bietet sich die Möglichkeit für eine friedliche Entwicklung im Nahen Osten. 3/5
— Bundeskanzler Olaf Scholz (@Bundeskanzler) October 26, 2024
Die Israelis hatten Berlin offenbar von ihrem Angriff informiert. Es sei versucht worden, „Personenschäden gering zu halten“, sagte Scholz. Nun biete sich die Möglichkeit, „eine weitere Eskalation zu vermeiden“. Voraussetzung für einen umfassenden Frieden in Nahost ist aber aus Sicht des Kanzlers nicht nur eine Deeskalation zwischen dem Iran und Israel. „Wichtig dafür ist: Es braucht einen Waffenstillstand in Gaza und die Freilassung der Geiseln“, betonte Scholz. Er forderte erneut alle Parteien auf, dies umzusetzen.
Gleiches gelte für den Libanon, erklärte Scholz weiter. Er verwies in diesem Zusammenhang auf die UN-Resolution 1701 als „Maßstab für das Verhalten aller Beteiligten“. Im Sinne einer friedlichen Entwicklung in der Region erwarte Deutschland, „dass die Hisbollah sich zurückzieht hinter den Litani-Fluss“.
EU und UN rufen Konfliktparteien zur Zurückhaltung auf
Die EU rief derweil alle Seiten zur Zurückhaltung auf. Man erkenne zwar das Recht Israels auf Selbstverteidigung an, rufe aber alle Parteien „zu äußerster Zurückhaltung“ auf, um eine „unkontrollierbare Eskalation“ im Nahen Osten zu vermeiden, hieß es am Samstag in einer Erklärung der 27 EU-Mitgliedstaaten. Eine solche Eskalation liege „in niemandes Interesse“.
UN-Generalsekretär António Guterres äußerte sich „zutiefst beunruhigt“ über die Lage. Über seinen Sprecher Stéphane Dujarric teilte er mit, er wiederhole „dringend seinen Appell an alle Parteien, alle militärischen Aktionen einzustellen, auch im Gazastreifen und im Libanon“. Guterres forderte „maximale Anstrengungen, um einen umfassenden regionalen Krieg zu verhindern und auf den Weg der Diplomatie zurückzukehren“.
Trump-Lager will Eskalation im Nahen Osten nutzen
Unterdessen versuchte das Lager von Präsidentschaftskandidat Donald Trump Kapital aus der noch unübersichtlichen Lage zu schlagen. Trumps Sohn Donald Jr. erklärte, die amtierende Regierung sei handlungsunfähig, während sich der Konflikt zwischen Israel und Iran zuspitze. Darum werde sein Vater dringend gebraucht, um die Führung zu übernehmen.
Die republikanische Kongress-Abgeordnete Marjorie Taylor-Greene warf Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris vor, im texanischen Houston „mit Beyonce eine Party zu feiern“, während im Iran ein „großer Krieg ausbricht“. Belege dafür gab es nicht.
Moskau: „Wirkliche Bedrohung der Sicherheit“
Russland, das enge Verbindungen zum Iran pflegt, hat nach den israelischen Gegenangriffen vor einer weiteren „explosiven Eskalation“ der Kampfhandlungen zwischen beiden Ländern gewarnt. Es gebe eine „wirkliche Bedrohung der Stabilität und Sicherheit der Region“, warnte das russische Außenministerium am Samstag und rief alle Beteiligten zur Zurückhaltung auf.
Moskau fordere alle Seiten auf, „die Gewalt zu beenden und zu verhindern, dass sich die Ereignisse zu einem katastrophalen Szenario entwickeln“, erklärte Außenministeriumssprecherin Maria Sacharowa.
Israel greift in derselben Nacht Syrien an – Sprengung von Hisbollah-Waffen löst Erdbebenwarnung aus
Etwa zur selben Zeit des Angriffs auf den Iran feuerte Israel syrischen Medienberichten zufolge auch Raketen auf militärische Standorte in Syrien ab. Gegen 2.00 Uhr morgens (Ortszeit) seien von den Golanhöhen aus Raketensalven abgefeuert worden, meldete die staatliche Nachrichtenagentur Sana unter Berufung auf eine syrische Militärquelle. Die Luftverteidigung des Landes habe als Reaktion ebenfalls Raketen abgefeuert.
Die kontrollierte Sprengung eines unterirdischen Munitionslagers der Hisbollah-Miliz durch israelische Truppen im Süden des Libanons hat nach Medienberichten eine Erdbebenwarnung in weiten Teilen des israelischen Nordens ausgelöst. Das geologische Institut in Israel bestätigte nach einem Bericht der Nachrichtenseite ynet, die mächtige Explosion habe fehlerhafte Warnmitteilungen des israelischen Zivilschutzes verursacht. „Das Warnsystem hat die Explosion als Erdbeben identifiziert“, teilte das Institut demnach mit.
Seit Beginn des Gaza-Kriegs vor mehr als einem Jahr kommt es immer wieder zu Angriffen der sogenannten „Widerstandsachse“ von Verbündeten des Irans auf Israel. Nun griff Tel Aviv Teheran direkt an. Israel wolle es dem Iran nach Worten seines UN-Botschafters Danny Danon nicht erlauben, „sich weiter hinter seinen Stellvertretern zu verstecken“. Israel habe der internationalen Gemeinschaft gegenüber immer wieder deutlich gemacht, „dass wir alle uns zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen werden, um die Bürger Israels zu schützen“, schrieb Danon auf X.
Der Angriff Israels auf den Iran kommt knapp vier Wochen, nachdem Irans Revolutionsgarden rund 200 ballistische Raketen auf Israel abgefeuert und damit zwar nur geringen Schaden angerichtet, aber Millionen von Israelis zur Flucht in Luftschutzbunker gezwungen hatten.
Daraufhin kündigte die Regierung unter Ministerpräsident Benjamin Netanjahu in Tel Aviv Vergeltung an. Die iranischen Behörden hatten Israel bis zuletzt vor einer Offensive gewarnt und erklärt, jeder Angriff werde mit einer noch stärkeren Vergeltung beantwortet.
Iran hatte sich auf mehrere Szenarien eines Angriffs Israels vorbereitet
In Erwartung eines solchen Schlags hatte der Iran offenbar bereits mehrere mögliche Antwortszenarien ausgearbeitet. Demnach werde die Reaktion heftig ausfallen, sollten die israelischen Streitkräfte den Iran massiv angreifen und beispielsweise auch die Öl- und Nuklearanlagen des Landes ins Visier nehmen. Dies berichtete die US-Zeitung „The New York Times“ unter Berufung auf vier iranische Beamte, darunter zwei Mitglieder der Revolutionsgarden.
Auch interessant
In einem solchen Fall könnte der Iran bis zu 1000 ballistische Raketen auf Israel abfeuern, die Angriffe verbündeter Milizen in der Region ausweiten und den Schiffsverkehr im Persischen Golf und der Straße von Hormus stören. Sollte Israel allerdings nur begrenzte Angriffe auf wenige Militäreinrichtungen und Waffenlager fliegen, würde der Iran möglicherweise auf eine Reaktion verzichten.
Die US-Regierung hat den Iran nun dazu aufgerufen, nach dem israelischen Vergeltungsangriff den Konflikt nicht weiter zu eskalieren. Ein ranghoher Regierungsbeamter verwies darauf, dass Israel der US-Empfehlung gefolgt sei, die Attacke auf militärische Ziele zu begrenzen und Opfer in der Bevölkerung zu vermeiden. Indes dürfte ein großer Krieg nicht im Interesse der iranischen Regierung sein. Das Land leidet unter einer schweren Wirtschaftskrise und auch ein Großteil der Bevölkerung steht der Staatsmacht kritisch gegenüber.
- Gut informiert: Aktuelle Nachrichten aus dem Nahen Osten im Blog
- Wie geht es weiter? Amnestie für Hamas-Kämpfer? Zwei mögliche Gaza-Szenarien
- Sinwar getötet: Es ist ein neuer Coup von Israels Geheimdienst
- Pager-Attacke: Hisbollah fiel auf dieses Täuschungsmanöver rein
- Geiseln: „Jede Sekunde, die vergeht, kann die letzte ihres Lebens sein“