Seoul. Nordkorea unterstützt Russlands Angriffskrieg. Was nach selbstmörderscher Hilfsbereitschaft aussieht, ergibt für Nordkoreas Regierung Sinn.
Was der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj vergangene Woche behauptete, will der südkoreanische Geheimdienst NIS bewiesen haben: Nordkorea unterstütze den Angriff Russlands auf die Ukraine offenbar auf direkte Weise. Mithilfe von Satellitenbildern sieht es das NIS als erwiesen an, dass 12.000 Soldaten aus Nordkorea nach Russland gebracht werden und 1.500 Soldaten bereits nach Wladiwostok gelangt sind– um dann an der Seite Russlands in der Ukraine zu kämpfen.
Sofern die NIS-Informationen korrekt sind, hat der im Februar 2022 gestartete neuerliche Angriff Russlands auf die Ukraine damit eine neue Dimension erhalten. Mit Ausrüstung unterstützt Nordkorea Russland offenbar schon länger, entsprechend Waffenlieferungen westlicher Länder an die Ukraine. Die Entsendung von Soldaten aus Drittstaaten– zumal sich Nordkorea geografisch Tausende Kilometer von der Ukraine entfernt befindet – würde daraus einen kontinentenübergreifenden Krieg machen.
Nordkorea schickt Soldaten in die Ukraine – das steckt dahinter
Schnell fragt man sich: Warum sollte Nordkoreas Regierung auch nur einen einzigen Soldaten ins Ausland schicken? Wäre diese Hilfsbereitschaft gegenüber Russland nicht geradezu selbstmörderisch? US-Schätzungen zufolge hat der Krieg auf russischer Seite bereits zu 600.000 Toten, Verletzten oder Vermissten geführt. Auch unter Nordkoreas Soldaten würde es wohl zu hohen Opferzahlen kommen. Warum tut sich der nordostasiatische Staat so eine Beteiligung an?
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Ein Hintergrund hierzu ist das im vergangenen Sommer abgeschlossenes Abkommen zwischen Russland und Nordkorea, das besagt, beide Staaten würden sich gegenseitig zu Hilfe kommen, sobald einer von ihnen angegriffen wird. Indem ukrainische Soldaten vor einigen Monaten begannen, auch auf russisches Staatsterritorium vorzudringen, sieht man diesen Fall offenbar eingetreten. Russlands Präsident Wladimir Putin bezeichnete die ukrainische Offensive als „große Provokation“ und „rücksichtsloses Feuern.“
Nordkorea dürfte bei Russland in der Schuld stehen
Wenn nun Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un seine Truppen nach Russland schickt, stützt er das von Russland gezeichnete Bild, die Ukraine und nicht Russland sei die Aggressorin in diesem Krieg. Hinzu kommt, dass Nordkorea bei Russland in der Schuld stehen dürfte. Von Munitionsexporten dürfte der insgesamt arme Staat ebenso profitieren wie vom Knowhow, das Nordkorea von Russland für sein Satelliten- und womöglich auch Atomwaffenprogramm erhält.
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Die Annäherung zwischen Russland und Nordkorea ist eine Folge des neuerlichen Angriffs Russlands auf die Ukraine. Seit große Teile der internationalen Gemeinschaft für harte Sanktionen gegen Russland gestimmt haben, haben die Regierungen aus Pjöngjang und Moskau – die schon im Kalten Krieg über weite Strecken eng zusammenarbeiteten – eine Gemeinsamkeit: Beide sind mit harten Sanktionen belegt, beide sehen im liberalen Gesellschaftsmodell und westlichen Staaten ein Feindbild.
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Kim Jong-un profitiert von Russlands Krieg
Zudem hatte Kim Jong-un drei Jahre zuvor – als Verhandlungen mit dem damaligen US-Präsidenten Donald Trump über eine Lockerung der UN-Sanktionen gescheitert waren – eine Verständigung mit dem Westen sowie dem verfeindeten Südkorea aufgegeben. Eine Annäherung mit Russland bot sich daher an. „Neben Belarus dürfte Nordkorea nun jener Staat sein, der Russland politisch am nächsten ist“, bewertet Vladimir Tikhonov, Professor für Koreastudien an der Universität Oslo.
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Dabei wirkt der Umstand, dass Russland Krieg führt, nicht nur als Sicherheitsrisiko für Nordkorea, sondern ist auf eine Weise auch ein günstiger Zustand. Das nordkoreanische Regime verdankt seine politische Legitimität nicht zuletzt dem Ausnahmezustand, in dem sich die Nation offiziell wähnt: Man sieht sich durch Südkorea – mit dem man seit Ausbruch des dreijährigen Koreakriegs ab 1950 im Kriegszustand verharrt – sowie den in Südkorea militärisch stark positionierten USA akut bedroht.
Nordkorea sprengt Straßen in Richtung Südkorea
Dieses von den Staatsmedien des Ein-Parteienstaats geprägte Narrativ dient wiederum als Rechtfertigung dafür, dass Nordkorea zwar ein Atomwaffenprogramm verfolgt, zugleich aber das Geld fehlt, um akute Unterernährung im Land zu verhindern. Wenn man nun den strategischen Partner Russland unterstützen muss, unterstreicht dies den Ausnahmezustand. Edward Howell, Nordkorea-Experte an der Universität Oxford, sagt: „Nordkoreas Aktionen sollen die Bereitschaft für einen Konflikt signalisieren.“
Hierbei geht es allerdings auch um die direkte Nachbarschaft. Mit einer Verfassungsänderung hat Nordkorea seinen Nachbarn im Süden gerade erst als „feindlichen Staat“ bezeichnet. Jahrzehntealte Bemühungen, eine Wiedervereinigung zu erreichen, hat Kim Jong-un über Bord geworfen. Der Norden schickt nicht nur seit Monaten Müllballons über die Grenze. Vergangene Woche wurde auch damit begonnen, Straßen, die bei geöffneter Grenze in den Süden führen könnten, zu sprengen.
Südkorea unterstützt die Ukraine
Im Süden wiederum ist mit Yoon Suk-yeol ein konservativer Populist im Amt, der sich ebenfalls kaum in Entspannung übt. Koreanistikprofessor Vladimir Tikhonov bezeichnet Yoon und sein Kabinett als „amateurhaft.“ Kim Jong-un und Yoon Suk-yeol seien insofern eine „explosive Mischung.“ Und diese Mischung kann auch an – oder in – der Ukraine explodieren. Südkorea unterstützt im Konflikt nämlich die Ukraine, bisher allerdings ohne tödliche Waffen, sondern nur in Form humanitärer Hilfe.
Für den Fall, dass Russland Nordkorea mit zentraler Technologie für Atomwaffen unterstützt, hat Südkoreas Regierung aber angekündigt, ihre Form der Unterstützung für die Ukraine neu zu überdenken. Und wenn nun nordkoreanische Soldaten in der Ukraine für Russland kämpfen, steigt zugleich die Wahrscheinlichkeit, dass Russland als Gegenleistung weitere Unterstützung an Nordkorea leistet. So kann sich der Ukraine-Krieg noch auf weitere Länder ausweiten, falls niemand einen Schritt rückwärts macht.