Berlin. Kamala Harris hat ihren Gegenspieler auf gekonnte Weise vorgeführt, sagt der Kampagnen-Profi. Doch Trump dürfte jetzt auf Revanche sinnen.
Herr van de Laar, wer ist für Sie Sieger nach Punkten nach diesem TV-Duell zwischen Kamala Harris und Donald Trump?
Julius van de Laar: Stand heute hat Harris die bessere Ausgangslage. Allerdings ist zwei Monate vor der Wahl noch alles offen.
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Welche ihrer Aussagen fanden Sie besonders stark?
Van de Laar: Nach ziemlich genau 30 Minuten hat sie gesagt, sie würde jedem Amerikaner empfehlen, einmal zu einer Trump-Veranstaltung zu gehen und sich das anzuschauen. Man werde dann feststellen, wie alt und abgestanden das alles sei und dass die Besucher natürlich auch früher gehen. Oha! Man kann zu Trump alles sagen – nur nicht, dass seine Veranstaltungen klein sind. Das hat ihn getriggert! Danach hat sich die Debatte verändert. Trump war plötzlich deutlich aggressiver und hat angefangen, Harris‘ Spiel mitzuspielen.
Zur Person
Julius van de Laar ist ein international tätiger Politikstratege und Kommunikationsberater. Er lebte 7 Jahre in den USA. Nach dem Studium der Politik- und Kommunikationswissenschaften an der Furman University in den USA arbeitete er in den US-Präsidentschaftswahlkämpfen 2008 und 2012 als hauptamtlicher Wahlkämpfer für Barack Obama.
Sie hat ihn erfolgreich aus der Reserve gelockt?
Van de Laar: Ja. Etwa als Harris sagte, Trump sei von 81 Millionen Amerikanern gefeuert worden – nämlich all jenen, die 2020 für Joe Biden gestimmt haben. Sie hat seine eigenen Worte gegen ihn verwendet…
… in Anspielung auf den Spruch „You’re fired“, den er in seiner Show „The Apprentice“ immer wieder nutzte…
Van de Laar: Genau. Das sind Sachen, die Trump in die Irre führen. Harris hat sich zwar nicht seine Sprache angeeignet, aber sie hat ihn mit seinen eigenen Mitteln vorgeführt. Das war ihre Strategie, und man hat gemerkt, dass das gut vorbereitet war.
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War Trump umgekehrt schlecht vorbereitet?
Van de Laar: Das würde ich nicht sagen. Aber seine Attacken wirkten etwas angestaubt. Harris als Marxistin zu bezeichnen, genau wie ihren Vater, der zu Marxismus geforscht hat – das war alles ziemlich erwartbar. Sie hat im Duell eine Sache richtig gemacht: Sie hat den politischen Grundsatz „Never explain, always attack“ verfolgt. Etwa beim Thema Fracking, womit Kamala Harris auch in der Vergangenheit schon konfrontiert worden ist. Sie hat Trump dann gekontert: „Erstens haben wir so viel Energie bereitgestellt wie noch nie, so viel gefördert wie noch nie. Zweitens bin ich ein Kind der Mittelschicht, das sich hochgearbeitet hat.“ Und dann, zack, kommt die Attacke: „Und übrigens wurden mir nicht, anders als bei dir, bei der Geburt vier Millionen Dollar in die Wiege gelegt.“ Die Vorbereitungen ihres Teams haben Früchte getragen.
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Trump soll im Vorfeld von seinen Beratern und von Parteistrategen der Republikaner gewarnt worden sein, sich auf politische Inhalte zu beschränken und von persönlichen Angriffen und dubiosen Lügen abzusehen. Trotzdem wiederholte er etliche abstruse Lügen, darunter die, dass die Demokraten angeblich die Hinrichtung neugeborener Babys zulassen würden. Warum macht er das?
Van de Laar: Er weiß natürlich, dass das Thema Abtreibung gegen ihn läuft. 2022 bei den Kongresswahlen war es ein ausschlaggebendes Thema für die Demokraten. Er sieht die Umfragewerte jetzt und wie sehr er bei diesem Punkt verliert, und deshalb ist er jetzt in die Offensive gegangen und wollte die Demokraten als Menschen darstellen, die Babys nach der Geburt quasi hinrichten wollen. Es ist eine absurde Lüge, für die er auch direkt von der Moderatorin gestellt wurde. Nichtsdestotrotz ist das der Sound, mit dem er an den republikanischen Wählerinnen und Wählern festhalten will.
Nach dem Duell warf Trump dem Moderatoren-Team Linsey Davis und David Muir in sozialen Medien vor, parteiisch gewesen zu sein und Harris geholfen zu haben…
Van de Laar: Auch andere X-User haben sich darüber echauffiert, dass Trump teilweise im laufenden Interview von Davis und Muir auf die Fakten hingewiesen wurde, Harris aber nicht. Das nahmen manche zum Anlass, den Umgang mit Trump als unausgewogen darzustellen. Trump ist jetzt in der Defensive. Er könnte eine zweite Debatte einfordern, und zwar bei einem konservativen Sender wie Fox News. Zumindest hat Harris‘ Kampagnenteam nach dem Duell bereits verbreitet, dass Harris zu einem zweiten Mal bereit wäre. Ob das klug wäre, ist eine andere Frage.
Es sind noch knapp acht Wochen bis zur Wahl. Was bleibt Donald Trump jetzt, um das Image-Ruder herumzureißen?
Van de Laar: Er wird an seinen Zielgruppen festhalten und versuchen, seine Basis auszumobilisieren…
… also wirklich alle an die Urne bringen, die in irgendeiner Form mit ihm sympathisieren…
Van de Laar: Das Bild wird nicht von denen bestimmt, die da live zugeschaut haben, auch wenn es 70, 80 Millionen Leute gewesen sein mögen. Am Ende wird das Rennen eher von denen entschieden, die auf dem second screen zugeschaut haben, auf TikTok und anderen Netzwerken. Dort kann Trump die Videoschnipsel, die für ihn vorteilhaft sind, verbreiten.
Auf diesen Plattformen geht es vor allem um die jungen Leute, ähnlich wie in Deutschland.
Van de Laar: Ganz genau – um die Zielgruppe, die sich noch nicht festgelegt hat.
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Die heiße Phase des Wahlkampfs ist jetzt eröffnet. Was für ein Tonfall dürfte aus Ihrer Sicht die kommenden Wochen jetzt prägen?
Van de Laar: Mit den Diffamierungen „Genossin Kamala“ und „Marxistin Harris“ haben wir einen Vorgeschmack bekommen. Ich denke, der Ton wird jetzt noch härter und ruppiger.
Kommt jetzt der Sprung in den Umfragen, nachdem er nach dem Parteitag der Demokraten nicht so groß ausgefallen war?
Van de Laar: Dieser Sprung dürfte jetzt nach dem TV-Duell noch einmal verstärkt werden. Laut einer CNN-Blitzumfrage im Anschluss sehen 63 Prozent der Befragten Harris als Siegerin, 37 Prozent sagten das über Trump. Wie sich Taylor Swifts bemerkenswerte Wahlempfehlung für Harris auswirken wird, müssen wir abwarten.