Berlin. Alle reden über Migration – nur die Grünen wissen nicht, was sie sagen sollen. Dieser hilflose Umgang mit dem Thema wird zum Problem.

Man kann sich das, was die Grünen gerade beim Thema Migration versuchen, als eine Art politischen Seiltanz vorstellen. Vorsichtig, vorsichtig setzt die Führungsmannschaft der Partei da in luftiger Höhe ihre Schritte. Nur nicht zu weit nach rechts, dorthin, wo zwar gerade der Großteil der öffentlichen Meinung ist, wo sie aber weite Teile ihrer Basis vergraulen könnten. Aber auch nicht zu weit nach links, wo man zwar die eigenen Leute bestätigen würde, aber nicht einen einzigen Wähler über das grüne Kernmilieu hinaus findet.

Kein anderes Thema ist für die Partei derzeit so schwierig zu navigieren wie die Migrations- und Asylpolitik. Spätestens seit dem Anschlag von Solingen ist die Frage, wer unter welchen Bedingungen nach Deutschland kommen und bleiben kann, mit Macht auf die politische Agenda zurückgekehrt. Sie vermengt sich dort mit den Themen Kriminalität und Sicherheit.

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Und der Tenor aus weiten Teilen der politischen Landschaft, von der Union über Sahra Wagenknecht bis (sowieso) zur AfD, heißt: Migration sei grundsätzlich ein Problem, sogar das größte, das die Politik zu lösen habe, und die Lösung heiße im Kern „Grenzen zu“. Die Stimmung in der Bevölkerung, wo das Thema erkennbar Sorgen auslöst, greifen diese Wortmeldungen nicht nur auf, sie fachen sie auch an.

Theresa Martus, Politikkorrespondentin
Theresa Martus, Politikkorrespondentin © FUNKE Foto Services | Reto Klar

So stehen die politischen Parteien zum Thema Migration

Die Liberalen, die den Justizminister stellen und genau um die rechtlichen Voraussetzungen wissen, können sich mit dieser generellen Richtung politisch anfreunden. Die SPD taucht ab. Den Grünen bleibt die undankbare Rolle, darauf hinzuweisen, dass die Vorstellung vom Stoppschild an der Grenze mit geltendem europäischen Recht nicht zu vereinbaren ist. Manchmal ergänzen sie noch leise, dass sie Schutz für die, die ihn brauchen, immer noch für eine gute Sache halten.

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    Diese Hinweise sind ein Zugeständnis an die Tatsache, dass Migrationspolitik und Anti-Rassismus vor allem für viele junge Mitglieder und Unterstützer ein Kerninhalt der Partei sind und ein Grund sich zu engagieren. Sie zu verlieren, können sich Robert Habeck und seine Leute nicht erlauben angesichts von drei verlorenen Wahlen in diesem Jahr und zuletzt 11 Prozent in den bundesweiten Umfragen.

    Umgekehrt wartet die politische Konkurrenz nur darauf, dass die Grünen allzu laut sagen, dass sie Migration eben nicht für die Wurzeln allen Übels halten, um sie umso leichter in die Ecke der linken Traumtänzer schieben zu können. Denn dort sind weit entfern von den Wählerstimmen der Mitte, die zu erobern sie sich einst aufgemacht hatten.

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    Auch um dieses Etikett zu vermeiden, haben die Grünen seit dem Beginn der Ampel-Koalition viele nationale und internationale Verschärfungen im Migrationsrecht mitgetragen, nie ohne den Hinweis darauf, wie „schmerzhaft“ das für die handelnden Personen sei. Doch dafür gibt es politisch keine Belohnung. Viele an der eigenen Basis haben sie mit diesem Kurs demotiviert, jenseits dieser Basis dafür aber kaum jemanden überzeugt. In der breiteren Öffentlichkeit blieb häufig nur hängen, dass es mal wieder die Grünen waren, wegen denen alles länger gedauert hat.

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    Es ist ein Dilemma, für das die Partei erkennbar noch keine Lösung hat. Sie wirkt hilflos im Umgang mit dem Thema, findet statt klarer Sprache häufig nur komplizierte Verweise auf die nationale Umsetzung der europäischen Asylpolitik. Doch das wird im Bundestagswahlkampf nicht reichen. Das Seil unter ihren Füßen schwankt, und die Grünen oben drauf wackeln.

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