Berlin. Sollte SPD-Parteichefin Saskia Esken Talkshows besser meiden? Ihr Mitvorsitzender Lars Klingbeil hat eine Botschaft an Eskens Kritiker.

Die Wahlergebnisse in Thüringen und Sachsen haben die SPD erschüttert. Parteichef Lars Klingbeil empfängt zum Interview an dem Tisch, an dem er am Sonntagabend mit Kanzler Olaf Scholz die Wahlschlappe analysiert hat. Im Gespräch erzählt Klingbeil, wie er die SPD wieder erfolgreich machen will – und was ihn an Sahra Wagenknecht stört.

Sind Sie wie Karl Lauterbach der Meinung, Olaf Scholz sei der beste Bundeskanzler, den Deutschland je hatte?

Lars Klingbeil: Ich bin froh, dass Olaf Scholz unser Bundeskanzler ist. Er trägt in diesen Zeiten eine große Verantwortung.

Das klingt jetzt deutlich weniger euphorisch als bei Lauterbach …

Klingbeil: Ich bin Niedersachse, Euphorie ist nicht unsere Stärke. Und wissen Sie: Ich bin auch wegen Willy Brandt damals in die SPD eingetreten. Zwischen unseren vier SPD-Kanzlern will ich mich gar nicht entscheiden müssen.

In Umfragen sind die Werte von Olaf Scholz und der SPD schlecht.

Klingbeil: Ja, das treibt mich jeden Tag um, zusammen mit der Frage, wie wir uns wieder nach vorne kämpfen. Wir haben in den drei Jahren viel erreicht, worauf ich stolz bin: Dazu gehört die größte Kindergelderhöhung seit vielen Jahren, die Ausweitung des Wohngeldes, die Erhöhung des Mindestlohns. Das ist konkrete sozialdemokratische Politik.

Die SPD-Vorsitzenden Lars Klingbeil (links) und Saskia Esken (rechts) mit Bundeskanzler Olaf Scholz.
Die SPD-Vorsitzenden Lars Klingbeil (links) und Saskia Esken (rechts) mit Bundeskanzler Olaf Scholz. © picture alliance/dpa | Boris Roessler

Bei den Wählern kommt das aber nicht an.

Klingbeil: Ich weiß, dass solche Nachrichten in diesen wahnsinnig turbulenten Zeiten untergehen. Unsere Politik ändern wir aber nicht, weil das Schrille, Bunte, Laute in der politischen Auseinandersetzung überwiegt. Sahra Wagenknecht stellt sich in zwei Landtagswahlen wie eine Heilsbringerin hin und sagt: Wenn ihr mich wählt, dann ist der Krieg in der Ukraine vorbei. Wir als SPD bauen keine Luftschlösser. Unser Versprechen auf bessere Löhne, stabile Rente oder bezahlbares Wohnen ist Politik für die Menschen.

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Die schlechten Wahlergebnisse in Thüringen und Sachsen hatten auch mit Olaf Scholz zu tun. Warum versucht die SPD nicht, mit Boris Pistorius, dem beliebtesten Politiker Deutschlands, die Stimmung zu drehen?

Klingbeil: Ich glaube nicht an so einfache Erklärungen wie: Wir tauschen eine Person aus und dann wird alles gut.

Kritisch sehen Sie die Rolle des Kanzlers nicht?

Klingbeil: Wir reden jeden Tag miteinander. Durchaus auch kritisch, aber vertraulich. Als Parteichef dränge ich darauf, dass sich Sachen ändern. Wir müssen uns Vertrauen bei den Bürgerinnen und Bürgern zurückerkämpfen. Da sind jetzt alle in der Verantwortung.

Womit will die SPD bis zur Bundestagswahl punkten?

Klingbeil: Ich habe drei klare Erwartungen, was diese Regierung noch leisten muss. Das Rentenpaket muss spätestens mit dem Haushalt in diesem Jahr verabschiedet werden. Das sichert Millionen Menschen eine stabile Rente, für die sie ihr Leben lang geackert haben. Für uns als SPD ist klar: Auf die gesetzliche Rente muss Verlass sein. Wir wollen mehr tun, damit Löhne nach harten Jahren mit hoher Inflation weiter steigen. Deswegen soll es öffentliche Aufträge nur noch für Firmen geben, die Tariflohn zahlen. Außerdem, auch mit Blick auf die Lage bei VW und Thyssenkrupp: Wir werden um jeden Industriearbeitsplatz hier bei uns kämpfen. Hinzu kommt die internationale Lage. Wir wissen nicht, wie es in der Ukraine weitergeht. Wir wissen nicht, wie die US-Wahl ausgeht. Olaf Scholz ist international die stärkste Stimme Europas und spielt eine zentrale Rolle dabei, diese unübersichtliche Lage zu ordnen.

Lars Klingbeil spielt Gitarre auf einer Veranstaltung mit Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD).
Lars Klingbeil spielt Gitarre auf einer Veranstaltung mit Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD). © picture alliance/dpa | Sina Schuldt

Sie wollen also die Wahl gewinnen, aber wollen Sie auch weiter in der Ampel regieren?

Klingbeil: Für mich geht es um eine starke SPD. Die 15 Prozent in den aktuellen Umfragen reichen mir garantiert nicht. Ich bin mit viel Motivation in diese Koalition gestartet, aber auf den vielen Streit hätte ich gerne verzichtet. Allerdings ist jede Regierungskonstellation in Zeiten wie diesen schwierig. Es geht darum, dass die Politik ihren Job macht.

Würden Sie im Bund mit Wagenknechts BSW koalieren?

Klingbeil: Das BSW ist immer noch eine Blackbox. Keiner weiß, wofür die stehen, was die wollen und was deren Kurs ist. Was ich bisher gehört habe, beunruhigt mich. Wagenknecht verbreitet Putin-Propaganda und sagt: Wir liefern der Ukraine morgen keine Waffen mehr, dann haben wir übermorgen Frieden. Da sehe ich eine so große Lücke zu unserer Position, dass ich mir eine Zusammenarbeit auf Bundesebene – wo Außenpolitik gemacht wird – nur schwer vorstellen kann. Der außenpolitische Kurs von Sahra Wagenknecht ist brandgefährlich.

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Hat die SPD mit ihrem Migrationskurs die AfD stark gemacht?

Klingbeil: Das Thema treibt die Menschen wahnsinnig um. Das merke ich bei jeder Veranstaltung. Wir haben einen klaren Weg. Wir wollen, dass Menschen, die als Fachkräfte herkommen, hier arbeiten können und etwas zu unserem Wohlstand beitragen. Wir wollen, dass Menschen, die ein Recht auf Asyl haben, hier Schutz bekommen können und sich integrieren. Was wir verändert haben, ist, dass wir das Chaos der früheren Jahre geordnet haben und Regeln endlich durchsetzen. Die Zahlen gehen dadurch runter, wir schieben schneller und konsequenter ab. Wer hier nicht bleiben kann, muss wieder gehen. Wer hier seinen Schutzstatus missbraucht, wer als Islamist, als Straftäter oder Gefährder unser Zusammenleben bedroht, der hat hier nichts verloren. Das erwarten auch alle, die sich hier integriert haben, die dazugehören, arbeiten, Steuern zahlen, in Vereinen mithelfen.

Halten Sie ein AfD-Verbot für richtig?

Klingbeil: Diese Frage zu klären ist Aufgabe des Verfassungsschutzes, nicht eines Parteivorsitzenden. Wir müssen den Kampf gegen die AfD politisch aufnehmen. Ich bin fest überzeugt, dass das gelingen kann. Ich bin im Wahlkampf auf viele Menschen getroffen, die viel Wut und Frust in sich hatten. Aber wenn wir auf Augenhöhe über ihre Alltagssorgen gesprochen haben, war mein Gefühl, die kann man wieder zurückgewinnen. Das ist mühsam, aber es lohnt sich.

„Wenn ich gegen die AfD verliere, bin ich weg“, sagt SPD-Ministerpräsident Woidke vor der Wahl in Brandenburg. Ist das der richtige Weg, die AfD zu bekämpfen?

Klingbeil: Ich bin mir sicher, dass Dietmar Woidke in Brandenburg zeigen wird, wie man als Demokrat gegen die AfD gewinnt. Er ist klar in der Sprache, klar in der Politik, er ist bürgernah und präsent. Er hat Brandenburg wirtschaftlich in den letzten Jahren enorm nach vorne gebracht. Er ist Ministerpräsident für die große Mehrheit des Landes. So wird er die AfD besiegen.

Dezember 2023: Bundeskanzler Olaf Scholz (rechts) klatscht für die SPD-Parteivorsitzenden Lars Klingbeil und Saskia Esken.
Dezember 2023: Bundeskanzler Olaf Scholz (rechts) klatscht für die SPD-Parteivorsitzenden Lars Klingbeil und Saskia Esken. © DPA Images | Kay Nietfeld

Ihre Mitvorsitzende Saskia Esken hatte in einer Talkshow gesagt, aus dem Attentat von Solingen lasse sich nichts lernen. Sie hat den Satz zwar zurückgenommen, aber hat die SPD verlernt, mit der Bevölkerung zu sprechen?

Klingbeil: Nein.

Also kein Talkshow-Verbot für Saskia Esken, wie es aus der SPD gefordert wurde?

Klingbeil: Jeder von uns kann mal in einer Sendung einen Satz sagen, der gegen uns gerichtet werden kann. Als Gesellschaft müssen wir uns aber überlegen, ob wir mit Politikern egal welcher Partei so umgehen wollen, dass ein Satz wochenlang auseinandergenommen wird, statt auf das zu schauen, was konkret umgesetzt wird.

Sie haben vom Kampf um Industriearbeitsplätze gesprochen. Jetzt rutscht Volkswagen voll in die Krise.

Klingbeil: Wir müssen sehr ernst nehmen, was bei Volkswagen passiert. Der Konzern steht wie kaum ein anderes Unternehmen in Deutschland für das Miteinander von Management und Belegschaft. Deswegen muss die Unternehmensführung ein klares Signal geben, dass sich diese Krise nur mit dem Betriebsrat und der IG Metall überwinden lässt. Wenn die Konzernführung alle Einschnitte gegen die Mitarbeiter durchdrücken will, dann wird das auf unseren Widerstand treffen. Krisen löst man nicht, indem man Leute rausschmeißt, sondern indem man Innovationen vorantreibt.

Ist die E-Mobilität gescheitert?

Klingbeil: Volkswagen hat Probleme, deren Ursachen auch im Konzern liegen. Es gibt aber eine große Unsicherheit in Deutschland über die Zukunft der Elektromobilität. Es ist fatal, wenn CDU-Chef Friedrich Merz in der Hoffnung auf schnellen politischen Geländegewinn die Elektromobilität immer wieder infrage stellt und so zur Verunsicherung beiträgt. Umgekehrt wird ein Schuh draus: Die Unternehmen und die Verbraucher brauchen Planungssicherheit. Das heißt die Wirtschaft auf diesem Weg unterstützen, das heißt ebenso das Netz von Ladesäulen noch schneller ausbauen.

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    Wollen Sie den Kauf von E-Autos wieder fördern?

    Klingbeil: Ich würde mich der Wiedereinführung der E-Auto-Prämie nicht widersetzen. Gezielte Kaufanreize können helfen.

    Viele Firmen ächzen unter dem hohen Strompreis. Wie wollen Sie denen helfen?

    Klingbeil: Das Hauptproblem der Autobranche und der deutschen Industrie insgesamt sind die hohen Energiekosten. Dem müssen wir den Kampf ansagen. Hier muss die Bundesregierung mehr tun, um VW, Thyssenkrupp und andere zu stärken. Ich halte nach wie vor den Industriestrompreis für richtig. Zudem müssen die Netzentgelte runter. Die Kosten des Netzausbaus für die erneuerbaren Energien tragen die Verbraucher und Unternehmen. Da muss der Staat finanziell mit reingehen, um die Kosten für die Bürger und die Industrie massiv zu senken. Wir brauchen eine wettbewerbsfähige Industrie.

    Das kostet viel Geld. Was heißt das für die Schuldenbremse?

    Klingbeil: Mir ist der Kampf um jeden einzelnen Arbeitsplatz wichtiger als die Schuldenbremse. Die Arbeitsplätze dürfen nicht ins Ausland verschwinden, wenn wir ein starkes Land bleiben wollen.