Berlin. Der CDU-Chef setzt die Grünen beim Thema Migration unter Druck. Die Partei ist in einer vertrackten Lage – nach innen und nach außen.

Friedrich Merz will den Druck erhöhen: Gut 24 Stunden, nachdem Union und Ampel-Koalition, Bund und Länder zum ersten Mal über einen möglichen gemeinsamen Kurs in der Migrationspolitik beraten hatten, zieht der CDU-Chef rote Linien für eine Fortsetzung. Wenn die Bundesregierung nicht bereit sei, bis zum nächsten Dienstag verbindlich Zurückweisungen an der Grenze zuzusagen, „dann machen weitere Gespräche mit der Bundesregierung keinen Sinn“, sagte Merz bei einem Wahlkampftermin in Brandenburg.

Es war eine Ansage vor allem in Richtung einer Regierungspartei: die Grünen. Denn sie sind es, die in den vergangenen Tagen immer wieder darauf hinwiesen haben, dass Merz‘ Vorstellungen von Zurückweisungen an der Grenze nach ihrer Einschätzung rechtlich nicht umsetzbar seien.

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Die Frist des CDU-Vorsitzenden wies man bei den Grünen am Donnerstag zurück. „Der Wesenskern der Demokratie sind Kompromisse“, sagte Parteichef Omid Nouripour dieser Redaktion. Deshalb würden Ultimaten in der Debatte nicht weiterhelfen, gerade bei einem so wichtigen Thema wie der Migration. „Das ist unseriös“, kritisierte er. Gleichzeitig betonte er: „Die Türen stehen weiterhin offen für ernsthafte Gespräche, wenn die Union ernsthaft sprechen will.“

Wähler sehen Grüne beim Thema Flucht und Asyl als wenig kompetent

Weitersprechen, auch wenn die andere Seite für sie kaum Erfüllbares fordert: In diesem Ansatz spiegelt sich die vertrackte Lage der Partei beim Thema Migration. Mitgehen bei dem, was die Union in zunehmend schärferen Tönen fordert, will die Partei nicht. Doch eine Außenwahrnehmung als einzige Regierungspartei, die sich Änderungen verweigert, kann man sich nicht leisten. Gerade einmal vier Prozent der Befragten sagten nach der Landtagswahl in Sachsen, dass sie die Grünen bei Fragen von Asyl und Flucht als kompetent einschätzen würden.

Auch bei der Vorstandsklausur der grünen Bundestagsfraktion in dieser Woche spielte das Thema eine große Rolle. Die Fraktionsspitze hob hervor, dass die Grünen mehr tun wollen für Rechtsdurchsetzung und gegen Vollzugsdefizite. Schon vor den Landtagswahlen hatten sie in einem Papier zudem unter anderem mobile Grenzkontrollen auch mit den Nachbarländern vorgeschlagen.  

In der Partei weist man zudem darauf hin, dass die Grünen in den vergangenen Jahren durchaus zu Änderungen bereit waren. Die Reform der europäischen Asylpolitik, die Asylverfahren und Lager an den Außengrenzen vorsieht, haben sie mitgetragen, schnellere Abschiebungen und die Bezahlkarte für Flüchtlinge auch. Ausdrücklich bedankte sich der grüne Vize-Kanzler Robert Habeck in dieser Woche bei Außenministerin Annalena Baerbock für ihre Arbeit am neuen europäischen Asylsystem. Und erst in der vergangenen Woche war es eine Ampel-Arbeitsgruppe, in der auch Habeck saß, die beschloss, dass es für manche Flüchtlinge künftig gar keine Leistungen mehr geben soll.

Eine „Tendenz, dem aktuellen rechten Diskurs hinterherzulaufen“

Dafür allerdings zahlen Partei und Kabinettsmitglieder an der Basis einen Preis. „Es gibt auch bei den Grünen eine Tendenz, dem aktuellen rechten Diskurs hinterherzulaufen“, sagte Svenja Borgschulte. „Dabei bringt es uns gar nichts.“ Borgschulte gehört dem Landesverband Berlin an und ist Sprecherin der Bundesarbeitsgemeinschaft Migration und Flucht, die sich als innerparteilicher „Think-Tank“ zu diesem Themenbereich versteht.

Dort ist man unglücklich damit, wie weit auch die Grüne ihre Position in den vergangenen Jahren verschoben haben. Wegen der gemeinsamen europäischen Außenpolitik (GEAS) seien viele Mitglieder ausgetreten, sagte Borgschulte, auch viele Wähler habe man verloren. „Die kriegen wir nicht zurück, wenn wir mit der Ampel nur den Forderungen von Friedrich Merz hinterherrennen. Das Vertrauen in uns ist sehr angeknackst.“ Stattdessen sollte die Partei stärker klar machen, dass sie für den Rechtsstaat, universellen Opferschutz und Sicherheit für alle einstehe.

Grüner Europapolitiker fordert mehr Führung von Scholz

Erik Marquardt, grüner Europa-Abgeordneter, fordert mehr Präsenz des Bundeskanzlers bei diesem Thema. „Olaf Scholz sollte der Öffentlichkeit nochmal erklären, wer eigentlich Kanzler in diesem Land ist“, sagte Marquardt. „Er muss aufpassen, dass er nicht den Eindruck erweckt, im Sekretariat von Friedrich Merz zu sitzen.“ 

Gleichzeitig müsse Migrationspolitik viel stärker europäisch diskutiert werden, sagte er. „Polen macht an der belarussischen Grenze genau das, was Merz an der deutsch-polnischen Grenze will“, sagte Marquardt. Es führe nur nicht dazu, dass weniger Menschen kommen. „Zu glauben, man könnte die deutsche Grenze einfach zu machen, ist völlig absurd.“

Die grüne Fraktionschefin Britta Haßelmann führte die Art, in der die Debatte aktuell geführt wird, am Donnerstag auf die interne Lage der Unionsparteien zurück. „Es befremdet mich, wozu dieser Wettstreit um den Führungsanspruch zwischen Friedrich Merz und Markus Söder inzwischen führt“, sagte sie dieser Redaktion. „Das ist doch kein seriöser Stil politischer Auseinandersetzung mehr, wenn der eine mit Ultimaten Politik machen will und der andere in einer Rede den Rechtsstaat in Abrede stellt.“ CSU-Chef Söder hatte am Montag Änderungen des Asylrechts gefordert – statt Gerichten müsse wieder „das deutsche Volk“ entscheiden können, wer einen Anspruch auf Asyl habe.

Ob es ein weiteres Gespräch zwischen Union und Ampel über Migrationspolitik geben wird, ist noch unklar. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) signalisierte am Donnerstag Bereitschaft, auf die CDU zuzugehen. „Ich bin sehr offen für alles“, sagte sie in Berlin. „Wenn wir weitere Möglichkeiten bei Zurückweisungen finden, ist das gut.“