Paris. Frankreichs Präsident muss unter Zeitdruck einen Premier finden, doch der jüngste Name sorgt für Ärger – auch, weil er altbekannt ist.
In Frankreich könnte die regierungslose Zeit bald zu Ende sein: Acht Wochen nach den Parlamentswahlen, die am 7. Juli in eine Pattsituation mündeten, hat Präsident Emmanuel Macron möglicherweise einen Premierminister gefunden. Berater im Elysée-Palast steckten einigen Journalisten jedenfalls gezielt den Namen von Bernard Cazeneuve – ein Mann, der in Frankreich keineswegs ein Unbekannter ist. Cazeneuve war 2017 der letzte Premierminister unter dem sozialistischen Präsidenten François Hollande.
Der 61-jährige Staatsdiener aus Berufung zählte einst zum Realo-Flügel der Parti Socialiste. Im Jahr 2022 hatte er die Partei jedoch verlassen, als sie mit Grünen, Kommunisten und den radikalen „Unbeugsamen“ von Jean-Luc Mélenchon eine, wenn auch kurzlebige, Union eingegangen war. Die französische Zeitung „Le Monde“ schrieb nun am Freitag, dass Macron den Namen Cazeneuve teste, um zu sehen, ob dessen Regierung Bestand haben könnte. Doch so einfach wird es wohl nicht werden.
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Die Volksfront kündigte prompt an, sie werde gegen Cazeneuves Regierung ein Misstrauensvotum einreichen. Die Linke beharrt auf ihrer Premierkandidatin Lucie Castets, einer betont linken Spitzenfunktionärin. Und auch die Sozialisten sind gespalten. Bei ihrer Sommerklausur vor diesem Wochenende stellte sich eine Minderheit zwar hinter Cazeneuve, andere bezeichneten ihn allerdings als Verräter. Überdies trete er in die Falle Macrons, der die Volksfront zu entzweien versuche.
Macron bleibt nichts anderes übrig, als den Kompromiss zu suchen
Langsam scheint es, dass der isolierte Staatschef bereits froh sein muss, wenn er überhaupt einen Premier findet. Neben Cazeneuve und Castets werden zwar noch der konservative Regionalpräsident Xavier Bertrand und der frühere französische Außenminister und spätere EU-Kommissar Michel Barnier als potenzieller Premier gehandelt, doch allein schon die konservativen Republikaner verweigern dem seit den Neuwahlen geschwächten Präsidenten jede aktive Zusammenarbeit.
Eine Regierung Cazeneuve könnten sie immerhin tolerieren – ebenso wie die Rechtspopulisten des „Rassemblement National“ von Marine Le Pen. Denn dann würde es der Linksfront nicht gelingen, die neu gebildete Regierung Cazeneuve sofort wieder zu stürzen. Die zentrale Frage ist, welchen politischen Kurs Cazeneuve einschlagen würde. Laut Medienberichten verspricht er eine richtige „Linksregierung“. Die Nominierung durch Macron will er nur unter der Bedingung annehmen, dass er freie Hand hätte für seine Gesetztesprojekte und die Bestellung der Minister.
Frankreich erhielte damit wie zuletzt im Jahr 1997 eine formelle „Cohabitation“ zwischen einem eher linken Premier und einem eher rechten Präsidenten. In der Sache lägen Cazeneuve und Macron aber eher nahe beieinander. In Paris kursiert deshalb bereits der unmöglich klingende Name einer „Coalitation“, dem Hybrid aus (konfliktgeladener) Kohabitation und (konsensorientierter) Koalition. Dem Präsidenten bleibt keine andere Wahl. Aus Macrons Lager mehren sich schon jetzt die Stimmen, die erklären, wo es Überschneidungen mit den Konservativen, aber auch Sozialisten, Grünen und Kommunisten gibt.
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Unbeugsamen-Chef Jean-Luc Mélenchon: „Die Krise beginnt erst“
Ein neuer Realismus macht sich breit im politischen Paris. „Wir müssen den Parlamentswahlergebnissen ins Auge sehen und viel Demut an den Tag legen“, erklärte etwa die beigeordnete Ministerin für Gleichstellung, Aurore Bergé, von der Partei Renaissance. „Das bedeutet auch, dass der nächste Premierminister nicht aus unseren Reihen stammen kann.“ Auch eine Gruppe von Fachleuten, die an den Programmen des Linksbündnisses, des Mitte-Lagers oder der Konservativen mitgewirkt hat, veröffentlichte unlängst 40 Politikvorschläge, die linke, konservative und Zentrums-Parteien ihrer Meinung nach gemeinsam umsetzen könnten.
Sicher ist, dass der Druck auf Macron steigt, endlich eine Regierung zu bilden. Denn die Zeit drängt: Am Montag ist in Frankreich Schulbeginn, und für das kommende Jahr muss auch noch ein Haushalt verabschiedet werden. Eigentlich würden die Beratungen dazu im Parlament bereits im Herbst beginnen. Doch die neue Regierung wird vorher mit Sicherheit noch einmal Hand an den Entwurf anlegen wollen.
Und auch sonst warten harte Zeiten auf die neue Staatsführung. Die „Unbeugsamen“ des linken Volksfront-Flügels, die sich um ihren angeblichen Wahlsieg im Juli betrogen fühlen, mobilisieren bereits dagegen. Schon kommende Woche wollen sie ein Impeachment-Verfahren gegen Macron einleiten – dazu organisieren sie aktuelll eine erste Protestkundgebung. „Die Krise beginnt erst“, prophezeit der Unbeugsamen-Chef Mélenchon. Und es klingt wie eine Drohung.