Paris. Frankreichs Präsident bleibt nicht mehr viel Zeit, um eine Regierung zu bilden. Probleme gibt es reichlich – eins davon ist er selbst.
Der „olympische Traum“, von dem Pariser Medien gerne sprechen, ist zu Ende, und das Aufwachen droht hart auszufallen: Die Franzosen erinnern sich vage, dass sie gar keine Regierung haben. Die bisherigen Minister führen nur die Geschäfte; auch Premier Gabriel Attal war in den vergangenen Tagen häufiger bei Olympia-Wettkämpfen zu sehen als in seinem Regierungspalast.
Seit der verpatzten Parlamentsauflösung im Juni hat Emmanuel Macron die größte Mühe, eine mehrheitsfähige Regierung in Frankreich zusammenzustellen. Denn weder die Linke, die Mitte noch die Rechte kommen in der Nationalversammlung auf die absolute Mehrheit von 289 Sitzen. Das riefe nach einer Koalition, doch darin hat Frankreich keine Übung. Hilft jetzt Olympia weiter?
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Macron hatte schon vor Wochen versprochen, er werde „Mitte August“, also nach Ende der Spiele, einen neuen Premier ernennen. In der Zwischenzeit hat sein Land aber einen seltenen Moment nationaler Verbrüderung erlebt. Olympia war ein Sommermärchen, für das Pariser Volk und viele Besucher eine einzige Party. Die Stadien waren voll, und im „Club France“, der größten Fanzone im Pariser Villette-Viertel, stimmten Tausende vor den Großbildschirmen spontan die Nationalhymne an.
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Olympia: Präsident Macron flog zu jeder Goldmedaille ein
„Ah, wie ist die Marseillaise doch schön!“, entfuhr es einem Präsentator am Samstag, und die Bemerkung hatte nichts Chauvinistisches, sie zeugte von einem republikanischen Wir-Gefühl über alle Unterschiede hinweg. Das Zauberwort lautete „diversité“, Vielfalt. Im Tuilerien-Park kam es zu Szenen, die man nach den Debatten über Gelbwesten- und Polizeigewalt nicht für möglich gehalten hätte: Zu den Klängen einer akustischen Gitarre holten junge Feiernde sogar Polizisten zum Tanz.
Auch Macron war auf den olympischen Tribünen omnipräsent. Wenn es für Frankreich Goldmedaillen gab – und die gab es häufig, flog der Präsident im Falcon-Jet aus Südfrankreich ein, wo er in der präsidialen Sommerresidenz von Fort Bregançon seinen Urlaub verbringt. Normalerweise hätte sich ein Kübel von Kritik über den mit Steuergeldern herumfliegenden Präsidenten ergossen. Jetzt fand aber niemand etwas dabei. Diese Flüge hätten „nichts Schockierendes“, urteilte etwa die Zeitung Le Parisien generös.
Die gelöste Stimmung, die man fast eine republikanische Kommunion nennen muss, wäre für Macron eine unverhoffte Chance: Er könnte die Nation nun auch politisch versöhnen, indem er eine parteiübergreifende Regierung der nationalen Einheit bildet. Sie würde auch sonst Sinn ergeben, wäre sie doch die einzige Möglichkeit, eine handlungsfähige Equipe auf die Beine zu stellen.
Frankreich: Neuwahlen sind so schnell gar nicht möglich
Zentral wäre die Person des Premierministers. Zwei Namen zirkulieren: Xavier Bertrand vom sozialgaullistischen Flügel der Konservativen und der sozialistische Ex-Premier Bernard Cazeneuve. Wichtige Reformen müssten sie kaum anpacken; ihre Funktion bestünde vor allem darin, eine breitgefächerte Mitte-Regierung zu ermöglichen und die Zeit bis Juni 2025 zu überbrücken. Dann erst könnte Macron laut der französischen Verfassung Neuwahlen ansetzen, um das politische Patt zu beheben.
Ob Macron die Chance packen kann und wird, ist allerdings keineswegs garantiert. Eine Koalition ist nicht sein Ding – denn das bedeutet, er müsste die Macht teilen. Macron wäre gezwungen, auch persönlich über seinen Schatten springen und politische Konzessionen zu machen. Der Präsident müsste sich auch persönlich zurücknehmen – etwas, was ihm seit seiner Wahl 2017 nie gelungen ist und was ihm auch regelmäßig Vorwürfe der Selbstherrlichkeit einträgt.
Emmanuel Macron muss eine Regierung zimmern – nur wie?
Die meisten Parteien einer gemäßigten „nationalen“ Regierung, so auch die Sozialisten, würden zudem den Rückzug der wichtigsten Macron-Reformen verlangen. Der Staatschef kann nicht gut Parteivertreter in die Regierung holen, deren erstes Ziel es wäre, seine so hart erfochtene Rentenreform mit einem Pensionsalter von 64 Jahren (vorher 62) rückgängig zu machen. Eine Kompromisslösung wäre das Rentenalter 63. Aber das würde ökonomisch wenig Sinn machen – und es würde für Macron eine schwere politische Niederlage bedeuten.
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Wie Macron trotzdem eine Regierung der „olympischen Einheit“ zimmern will, bleibt vorläufig sein Geheimnis. Sicher ist nur: Wenn er es nicht schafft, wird er das Olympia-Momentum verlieren. Dann müsste er wohl die „Neue Volksfront“ (Sozialisten, Grüne, Kommunisten und die linksextremen Unbeugsamen) mit der Regierung betrauen. Diese hat allerdings auch keine Mehrheit. Mit Lucie Castets bietet sie aber eine Premierkandidatin. Macron verweigert sich dieser Option bisher aber – mit dem Argument, die Linke würde schon nach ein paar Tagen durch eine Misstrauensabstimmung der Rechten zu Fall kommen.
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