Paris. In Paris vereitelt die Polizei Olympia-Anschläge, während Frankreich ohne Regierung bleibt– und die Rufe nach Macrons Rücktritt lauter werden.
Olympischer Geist, wo bist du? Am vergangenen Sonntag verhaftete die Polizei in Paris einen 40-jährigen Russen, der einen Olympia-Anschlag „großen Ausmaßes“ mit „schwerwiegenden Folgen“ plante, wie die Justiz nebulös mitteilte. Terror? Hackerangriff? Lügenpropaganda? Tatsache ist, dass das russische, von den Spielen ausgeschlossene Regime seit Monaten den Olympiaausrichter Frankreich ins Visier genommen hat. Zuerst mit der lächerlich anmutenden Internetkampagne, in Paris herrsche eine Bettwanzenplage. Später folgten laut der Nationalen Sicherheitsagentur in Paris auch „Infiltrationsversuche und andere digitale Attacken“.
Wäre der Olympia-Neugründer Pierre de Coubertin (1863–1937) noch am Leben, müsste er heute frustriert feststellen, dass einzelne Großmächte die universellen Ideen weiterhin mit Füßen treten und den Keim für einen neuen Weltkrieg legen.
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So herrscht denn in Paris kein Olympiafieber. Abgeordnete der Partei der „Unbeugsamen“ forderten mit antisemitischem Unterton den Ausschluss Israels von den Spielen. Präsident Macron stellte diese Woche in einem TV-Interview klar, die israelische Delegation sei „willkommen“. Die Polizei vereitelte derweil mindestens zwei islamistische Olympia-Attentate.
Frankreich bald drei Wochen ohne Regierung
Das Gastgeberland Frankreich ist seit bald drei Wochen ohne Regierung. Und die Aussichten, dass sich dies rasch ändern könnte, sind schlecht: In der Nationalversammlung hat keiner der drei Blöcke zur Rechten, Linken und zur Mitte eine Regierungsmehrheit. Diese Pattsituation mündet in eine politische Blockade.
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Macron musste im Fernsehen selber einräumen, dass er vor Mitte August, das heißt vor dem Ende der Spiele, keinen Premier ernennen werde. Er begründete dies mit der „olympischen Pause“. In Wahrheit gelingt es ihm nicht, eine regierungsfähige Koalition aus konservativen Republikanern, Sozialdemokraten und seiner eigenen Mitte-Partei Renaissance zu schmieden oder sie zumindest auf einen Regierungspakt zu verpflichten.
Die Sozialdemokraten spannen mit den Grünen, Kommunisten und linksradikalen Unbeugsamen zusammen. Ihre „Neue Volksfront“ beansprucht den Wahlsieg und damit den Premier-Posten. Macron stellt das in Abrede: Die stärkste Partei Frankreichs ist heute der Rassemblement National (RN) von Rechtspopulistin Marine Le Pen. Nur hat sie keine Verbündeten und damit auch keine Mehrheit.
Macrons Problem: Kein passender Partner für eine „Cohabitation“
Die Linke hat diese Woche eine Kandidatin für den Premier-Posten präsentiert – die dritte in Serie, nach zwei Absagen. Die Spitzenfunktionärin Lucie Castets (37) ist zwar landesweit völlig unbekannt, zeigt sich aber in Interviews kampfbereit. Macron gerät dadurch noch stärker in die Defensive. Wenn die Volksfront den Druck während der Olympia-Wochen beizubehalten vermag, wird er wohl oder übel eine Linksregierung akzeptieren und mit ihr eine „Cohabitation“ eingehen müssen. Die permanente Erniedrigung wäre dem unpopulären Staatschef sicher: Als eine der ersten Maßnahmen würde die Linke zweifellos seine zentrale Rentenreform mit dem Rentenalter 64 kassieren.
Darin zeigt sich, dass die Regierungsbildung für Frankreich eine folgenschwere Weichenstellung bedeutet. Macron erklärte diese Woche, seine Regierung würde „die Reformen fortsetzen“. Die Volksfront würde beschlossene Reformen wie auch die der Arbeitslosenversicherung hingegen rückgängig machen.
Ersetzt würden sie durch das Volksfront-Programm, das die Staatsausgaben bis Ende 2025 um 125 Milliarden Euro erhöhen würde. Und das, obschon Frankreich heute unter einer Staatsschuld von mehr als 3000 Milliarden Euro ächzt. Insofern wird der Entscheid über die neue Regierung in Paris auch ein Entscheid, ob Frankreich die liberale Wirtschaftspolitik Macrons beibehalten oder Kurs nach links nehmen wird.
Möglicher Rücktritt von Macron hätte verheerende Folgen für ganz Europa
Nach jetzigem Stand hat der 46 Jahre alte Präsident keine guten Karten. Das hat weniger politische als vielmehr personelle Gründe: Seit der folgenreichen Parlamentsauflösung im Juni ist Macron unbeliebter und geschwächter denn je. Kein Interview, ohne dass ihn die Journalisten fragen, ob er zurückzutreten gedenke. Macron schloss diese Option kategorisch aus. Der vom Sprinter zum Marathonläufer mutierte Präsident will die zehn Jahre seiner zwei Mandate durchziehen, was im 20. Jahrhundert keiner seiner Vorgänger geschafft hatte, weder der Konservative Nicolas Sarkozy noch der Sozialist François Hollande.
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Je länger Macron aber mit der Regierungsbildung zuwartet, desto schlechter wird seine Stellung. Die Franzosen brauchen eine Regierung. Mit dem anhaltenden Machtvakuum an der Staatsspitze – keine Regierung, ein ohnmächtiger Präsident – setzt sich in den Köpfen mehr und mehr die Idee durch, dass es für die politische Blockade nur noch eine Lösung gibt. Dass Frankreich nicht nur eine neue Regierung braucht, sondern vielleicht auch einen neuen Präsidenten.
Man mag von Macron halten, was man will. Sicher ist, dass sein Rücktritt für Frankreich, ja ganz Europa, verheerende Folgen hätte. Das Präsidentschaftsrennen würde sich wohl auf ein Duell zwischen den zwei derzeit dominierenden Kräften Frankreichs reduzieren – die Rechten und die Unbeugsamen. Ein zweiter Präsidentschaftswahlgang zwischen den beiden Populisten Marine Le Pen und Jean-Luc Mélenchon würde Frankreich schwer zusetzen. Nur weiß Macron selber nicht, wie er dieses Alptraum-Szenario verhindern könnte. Er weiß nur, dass die olympische Auszeit nicht ewig dauern wird.