Berlin. Nach dem Tod des Hamas-Führers Haniyeh wächst im Iran die Angst. Viele Reformer stehen aber hinter Israel. Über ein gespaltenes Land.
Ob Oppositionelle, Reformisten oder Hardliner – am Tag nach der Tötung des Hamas-Führers Ismail Haniyeh in Teheran sind sich die politischen Lager über zwei Punkte einig: Israel ist für den Tod Haniyehs verantwortlich. Und der Staat Iran ist nicht in der Lage, seinen Verbündeten Sicherheit zu gewährleisten. Ansonsten spiegeln die Reaktionen die Spaltung der iranischen Gesellschaft wider.
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So wollen die Regimegegner von einer dreitägigen Staatstrauer, die die Regierung verkündet hat, nichts wissen. Im Gegenteil: In den sozialen Netzwerken überwiegen Humor und Spott. Zwar fürchten sich auch die Regimegegner vor neuen Spannungen und einer Eskalation, doch letztlich begrüßen viele Menschen auf den Straßen Teherans den Tod von Ismail Haniyeh.
Etwa Parinaz*. Die 31-Jährige arbeitet als Programmiererin in Teheran. Sie macht in einem Interview über den Messenger-Dienst Telegram die iranische Regierung für die Eskalation der ohnehin gefährlich angespannten Beziehung zu Israel verantwortlich. „Solange die Islamische Republik terroristische Organisationen in der Region unterstützt, wird die Region keinen Frieden sehen.“ Sie betrachtet Haniyeh als Anführer einer terroristischen Organisation. Auf die Frage, ob sie befürchtet, dass solche Aktionen das Risiko eines ausgewachsenen Krieges erhöhen könnten, antwortet sie: „Die Islamische Republik muss aufhören, sich in der Region einzumischen, damit die Kriegsgefahr für den Iran abnimmt.“
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Freude über den Schlag gegen das Regime
Ähnlich äußert sich Mehdi*, der 2022 für einige Tage in Haft war, weil er an einer Frauen-Leben-Freiheit-Demonstration teilgenommen hatte. Damals waren die Proteste nach dem Tod von Jina Mahsa Amini auf ihrem Höhepunkt. Zur Erinnerung: Die junge Kurdin kam in Polizeigewahrsam ums Leben. Sie wurde festgenommen, weil sie das vorgeschriebene Kopftuch nicht richtig trug. Ihr Tod löste landesweite Proteste aus. Nun kann Mehdi seine Freude über Haniyehs Tod nicht verbergen. „Haniyeh und Hamas sind Verbündete der Islamischen Republik. Jeder Schlag, den sie einstecken, ist ein Schlag gegen die Islamische Republik.“
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Die Tötung Haniyehs mitten in Teheran sei eine Demütigung des Sicherheitsapparates. „Warum sollte ich mich nicht darüber freuen, dass ein Apparat, dessen Hauptaufgabe die Unterdrückung von Leuten wie mir ist, gedemütigt wird?“
Auf die Kriegsgefahr blickt Mehdi eher unerschrocken: „Wenn ein Krieg dazu führen würde, dass die Islamische Republik geschwächt oder gestürzt wird, wäre das vielleicht gar nicht so schlecht.“ Schließlich sei die Islamische Republik der Hauptfeind des iranischen Volkes.
Angst vor neuem Krieg und Ruf nach Vergeltung
Sara, eine 62-jährige Lehrerin aus Teheran, bekämpft zwar auch das Regime und nimmt an den Protesten teil. Doch der Gedanke an Krieg löst in ihr eine große Angst aus. „Wenn ich das Wort Krieg höre, zittere ich am ganzen Körper“, sagt sie. Bei aller Abscheu, die sie gegenüber dem Regime empfinde: „Diejenigen, die sagen, dass es einen Krieg geben muss, damit das Regime stürzt, haben keine Ahnung vom Krieg. Sie sind zu jung.“ Sie selbst habe allerdings in den 1980er Jahren ihre Jugend im Iran-Irak-Krieg verschwendet. Wie viele andere ist Sara aber auch der Meinung, dass die Tötung von Ismail Haniyeh ein Zeichen für die Inkompetenz des islamischen Regimes sei.
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Saman* feierte vor kurzem noch den Sieg des neuen Präsidenten Massud Peseschkians, der als Reformer gilt. Wie viele Anhänger des reformistischen Flügels ist der Journalist überzeugt, dass Israel nicht nur Haniyeh töten, sondern auch die Arbeit Peseschkians stören wollte. Im Gespräch sagt er: „Die Israelis hätten Haniyeh überall töten können, aber sie haben es in Teheran getan, um die Islamische Republik zu provozieren.“ Die Hardliner hätten nun einen guten Vorwand, um gegen Peseschkians Pläne zur Normalisierung der Beziehungen zum Westen und zur Aufhebung der Sanktionen vorzugehen.
Die Analyse des Redakteurs einer reformorientierten Zeitung scheint nicht allzu weit von der Realität entfernt zu sein: Nach ihrer Wahlniederlage gerieten die Hardliner zunächst in die Defensive. Nun fordern sie ein „entschlossenes und hartes Vorgehen“ gegen Israel. Das machten viele Regimeanhänger auch auf der sozialen Plattform X deutlich: „Die Blutrache für Haniyeh ist unsere Pflicht“, heißt es etwa. Oder: „Eines Tages wird in den Geschichtsbüchern stehen: Chamenei hat das Leben Israels beendet.“
*Name aus Sicherheitsgründen geändert
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