Düsseldorf. Tarifexperte Oliver Mietzsch erklärt, warum er schwarz so sieht für den ÖPNV und nennt „Preis-Schmerzgrenzen“ beim Deutschlandticket.

Das Deutschlandticket, das bisher 49 Euro kostet, wird ab Januar 2025 teurer. Um wieviel, ist noch offen. Oliver Mietzsch, Geschäftsführer des größten Flächen-Nahverkehrstarifs in NRW (Westfalen Tarif), spricht mit Matthias Korfmann über die Schmerzgrenze beim Ticketpreis, über die Schwächen des Nahverkehrs und die Rolle der Bundesregierung.

Herr Mietzsch, Fahrgäste im Nahverkehr haben den Eindruck, dass es immer schlimmer wird: Verspätungen, Zugausfälle, Baustellen, Personalmangel. Können Sie den Ärger nachvollziehen?

Oliver Mietzsch: Natürlich. Ich nutze ausschließlich den ÖPNV, habe nie ein Auto gehabt. In den ersten 20 Jahren dieses Jahrhunderts ging es durchaus bergauf, aber inzwischen rächt sich, dass sich die Politik jahrzehntelang nicht genügend mit dem Nahverkehr beschäftigt und bevorzugt auf den Autoverkehr geschaut hat. Die Ampel hat sich immerhin im Koalitionsvertrag zur Stärkung der Schiene bekannt, dennoch kommt nun alles knüppeldick.

Ist wenigstens das Deutschlandticket eine Erfolgsgeschichte?

Oliver  Mietzsch: Ja, weil es den Nahverkehr so einfach macht. Man braucht kein Tarifabitur mehr und ist in ganz Deutschland mobil.

„Der Preis des Deutschlandtickets muss attraktiv sein“, sagt Oliver Mietzsch, Geschäftsführer von „Westfalen Tarif“.
„Der Preis des Deutschlandtickets muss attraktiv sein“, sagt Oliver Mietzsch, Geschäftsführer von „Westfalen Tarif“. © WestfalenTarif GmbH | HANDOUT

Und der Preis? Ist der angemessen?

Oliver  Mietzsch: 49 Euro im Monat sind ein symbolischer Preis. In Wien wurde schon 2012 ein Symbolpreis eingeführt – das 365 Euro-Ticket/ein Euro am Tag. Das Problem ist, dass man von diesen Symbolen kaum wegkommt, wenn sie einmal eingeführt sind. 49 Euro ist ein attraktiver Preis, und ein Dreh an der Preisschraube ist heikel. Es ist klar, dass es nicht bei 49 Euro bleiben kann, aber bei einer deutlichen Preiserhöhung würden viele Kunden wieder abspringen. Das liefe dem Ziel, Menschen für den Nahverkehr zu gewinnen, entgegen.

 Wo ist die Schmerzgrenze?

 Oliver Mietzsch: Nach Bauchgefühl würde ich sagen, dass zehn Prozent mehr, also fünf Euro, das Maximum sind.

Selbst wenn es zehn Euro wären, der Preis wäre immer noch symbolisch, oder?

Oliver  Mietzsch: Stimmt. Für die, die vorher schon den Nahverkehr nutzten, ist das Fahren viel billiger geworden. Dieses Geld fehlt im System. Gleichzeitig müssen wir noch mehr Menschen zur Nutzung des Nahverkehrs motivieren. Dafür muss der Preis attraktiv sein und für alle gleich. Wir können ja nicht von dem, der schon ein Ticket hat, einen anderen Preis nehmen als von dem, der jetzt erst eins kauft.

Wo soll das Geld für einen besseren Nahverkehr herkommen?

Oliver Mietzsch: Da ist der Bund in der Pflicht. Das Deutschlandticket und der Nahverkehr sind überall in Deutschland ein Verlustgeschäft. Wir haben in Westfalen von Mai bis September 2023 insgesamt 46 Millionen Euro weniger aus dem Ticketverkauf eingenommen als im gleichen Zeitraum im Jahr davor. Früher deckten die Einnahmen aus dem Ticketverkauf bundesweit etwa 70 Prozent der Kosten. Jetzt nähern wir uns laut dem Verband VDV einer Kostendeckung von 55 Prozent. Alles wird teurer: Die Gehälter, der Treibstoff, der Strom. Gleichzeitig sinken durch das Deutschlandticket die Einnahmen.

Was erwarten Sie vom Bund?

Oliver Mietzsch: Ein Teil der sogenannten Regionalisierungsmittel, also das Geld, das der Bund den Ländern jährlich für den Schienenverkehr gibt, wurde 2023 nicht ausgegeben, weil das Deutschlandticket erst im Mai `23 an den Start ging. Es geht da um etwa 350 Millionen Euro. Die sollten möglichst nicht an den Bundeshaushalt zurückfließen, sondern für 2024 und 2025 zur Verfügung stehen. Das wurde in zähen Verhandlungen auch erreicht. Aber es gibt da einen großen Haken.

München: Doch keine Bahn im Englischen Garten

Geld- und Personalmangel belasten nicht nur den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) in NRW, sondern auch in vielen anderen Bundesländern und Regionen. Zum Beispiel hat München vor Kurzem den Verzicht auf eine geplante Eisenbahntrasse durch den Englischen Garten bekannt gegeben.

Ingo Wortmann, der Chef der Münchner Verkehrsgesellschaft MVG, sagte der „Süddeutschen Zeitung“, es könne jetzt nur noch um die Bestandssicherung des heutigen Angebotes gehen. „Das, was wir gemeinhin als Verkehrswende bezeichnen, müssen wir verschieben. Vielleicht haben wir nach der Bundestagswahl neue Erkenntnisse, das werden wir sehen“, sagte er.

Wortmann, der auch Präsident des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) ist, hatte schon im Anschluss an die Sonderkonferenz der Verkehrsminister kritisiert, dass das Geld, das der Bund für den Nahverkehr übrighabe, kaum reiche, um das Angebot zu erhalten.

 Welchen?

Oliver Mietzsch: Im Entwurf zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes steht, dass 2025 insgesamt 350 Millionen Euro zur Konsolidierung des Bundeshaushalts verwendet und frühestens 2026 ausgezahlt werden sollen. Die Ampel scheint den Ländern also Geld für den Nahverkehr entziehen zu wollen. Mit der einen Hand gibt man Geld für den ÖPNV, mit der anderen Hand zieht man es wieder aus der Tasche heraus. Das geht doch nicht! Die Politik hat nicht verstanden, um was es geht.

Wozu würde der Geldentzug führen?

Oliver Mietzsch: Die Unternehmen müssen Personal, Fahrzeuge und Treibstoff jetzt bezahlen. Eine Politik, die erst überprüfen will, ob das Geld im nächsten oder übernächsten Jahr gebraucht wird, hat schlimme Folgen. Vielleicht gibt es dann einige Verkehrsunternehmen in einem oder zwei Jahren gar nicht mehr, weil sie aus Kostengründen den Betrieb einstellen mussten.

 Gerungen wird immer nur um den unbefriedigenden Ist-Zustand. Was müsste geschehen, um den Nahverkehr zu verbessern?

Oliver Mietzsch: Bund und Länder müssten sich darauf einigen, verlässlich das Geld zu geben, das für ein besseres Angebot benötigt wird. Christian Lindner steht auf dem Standpunkt, es gibt entweder eine Ticket-Rabattierung oder einen Angebotsausbau. Das ist aber falsch. Wir brauchen beides. Die Politik hat den ersten Schritt mit dem Deutschlandticket gemacht, traut sich aber nicht, den zweiten Schritt zu machen.

Trägt nicht auch das Land NRW Mitverantwortung?

Oliver Mietzsch: Ja. NRW hat ja das Deutschlandticket auf weitere Kundengruppen ausgedehnt. Es gibt hier das Sozialticket und das Schülerticket. Der Bund will es den Ländern aber verbieten, diese Zusatzangebote mit Bundes-Geld zu finanzieren. Wenn NRW schon solche Tickets einführt, muss das Land sie auch weiter finanzieren. Es kann ja nicht einfach auf den Bund zeigen und sozial Schwächeren oder Schülern das günstige Ticket wieder wegnehmen.

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