Düsseldorf. Baustellen, Streiks und ein neuer Trick, der Fahrgäste verärgert. Pro-Bahn Sprecher Detlef Neuß verrät im Interview, was schief läuft.

Zugausfälle, Baustellen und diverse Streikaktionen nerven Bahn-Fahrgäste in Nordrhein-Westfalen seit Langem. Die neueste Entwicklung: Immer mehr Regionalbahn-Linien werden ausgedünnt. Zum Beispiel schränkt die Eurobahn seit wenigen Tagen ihr Angebot in Westfalen ein. Bahnen fahren dann zum Beispiel nicht mehr stündlich, sondern nur alle zwei Stunden. Im Gespräch mit Matthias Korfmann erklärt Detlef Neuß, Sprecher des Fahrgastverbandes Pro Bahn NRW, warum jetzt noch weniger Züge fahren, wo der dramatische Personalmangel herkommt, und was geschehen müsste, um NRW einen modernen Nahverkehr zu ermöglichen.

Herr Neuß, jetzt werden auch noch Strecken ausgedünnt. Warum liefern Bahnunternehmen die versprochene Leistung nicht?

Detlef Neuß: Das liegt am Personalmangel und am hohen Krankenstand. Schichtarbeit, gerade auch an Wochenenden, möchten sich viele Menschen nicht antun. Die Unternehmen können offene Stellen nur schwer besetzen, und eigene Mitarbeitende werden unter Umständen abgeworben.

Aber die Unternehmen haben Verträge unterschrieben, also eine Dienstleistung versprochen. Kann man es ihnen durchgehen lassen, wenn sie die Versprechen nicht halten?

Neuß: Diese Verträge laufen teils seit Jahren -- die Laufzeit ist oft insgesamt 15 Jahre –, und sie wurden unter ganz anderen Bedingungen geschlossen. Energie war damals billiger, der Fachkräftemangel noch nicht so dramatisch, die Löhne viel niedriger.

Was ist der Ausweg aus der Misere?

Neuß: Man müsste die Verträge nachbessern, weil sich die Vorzeichen so dramatisch verändert haben. Wir brauchen Verträge, die die Firmen erfüllen können. Manchmal sind die Verkehrsverbünde und die Kommunen mitverantwortlich, wenn die Leistung nicht stimmt. Man könnte zum Beispiel Öffnungsklauseln in die Verträge schreiben. Sehr kurze Laufzeiten wären aber auch nicht gut, denn die Unternehmen müssen ja ordentlich kalkulieren können.

„Was nützt es, einen Halbstundentakt aufrecht zu erhalten, wenn jeder dritte Zug ausfällt?“, sagt Detlef Neuß vom Fahrgastverband Pro Bahn.
„Was nützt es, einen Halbstundentakt aufrecht zu erhalten, wenn jeder dritte Zug ausfällt?“, sagt Detlef Neuß vom Fahrgastverband Pro Bahn. © PRO BAHN | PRO BAHN

Warum sind Kommunen und Verkehrsverbünde manchmal mitverantwortlich, wenn die Leistung nicht stimmt?

Neuß: Zum Beispiel fuhr früher der Regionalexpress RE 11 zwischen Hamm und Kassel nur alle zwei Stunden. Politisch war dann aber eine stündliche Verbindung gewünscht. Die gibt es jetzt zwar, aber dafür fehlt das Personal, um den Zug durchgehend von Düsseldorf durchs Ruhrgebiet bis Kassel fahren zu lassen. Dann heißt es: Durchs Ruhrgebiet fahren so viele Züge. Man könne ja in Hamm umsteigen.

Aber die Regionalexpresse wurden als große Zukunftslösung angekündigt. Die enge Taktung durchs Ruhrgebiet war doch ein zentrales Argument, oder?

Neuß: Ja, das ist ein Rückschritt. Diese Situation ist sehr unangenehm für die Fahrgäste.

Was ist die Lösung?

Neuß: Mehr Geld für den Nahverkehr in NRW. Aber wegen der Haushaltskürzungen im Bund erhält die Bahn in den kommenden vier Jahren nicht die zunächst versprochenen 45 Milliarden Euro für die Infrastruktur, sondern nur 27 Milliarden. Experten sagen, eigentlich würden bis zu 90 Milliarden Euro benötigt, um die Probleme zu lösen. Mit 27 Milliarden Euro können sie keinen vernünftigen Bahnverkehr in Deutschland ermöglichen.

Zumal die Tarifabschlüsse zuletzt so hoch waren...

Neuß: Ja, das stimmt. Ich hoffe aber, dass die Lohnsteigerungen wiederum viele Menschen dazu ermutigen, bei Bahnunternehmen zu arbeiten. Gerade junge Menschen achten heute sehr auf die Work-Life-Balance und möchten nicht zur Bahn. Andere möchten es, haben aber wegen fehlender Sprachkenntnisse keine Chance bei der Bewerbung. Denen müsste mehr Vor-Qualifizierung angeboten werden. Eines unserer Mitglieder, das für ein Verkehrsunternehmen arbeitete, sagte neulich, dass von 100 Bewerberinnen und Bewerbern für Lokführer-Stellen nur einer geeignet sei, und von zehn Geeigneten bestünden nur vier die Prüfung.

Ist weniger am Ende sogar mehr?

?National Express hatte wegen des chronischen Personalmangels drei Monate lang den Regionalexpress RE 11 nicht mehr durchs Ruhrgebiet fahren lassen. Seit dem 1. März 2024 werden wieder „einzelne Verbindungen“ zwischen Hamm und Düsseldorf angeboten. Täglich gibt es nun zwei Verbindungen in beide Richtungen mit Anschlussmöglichkeit an den RE11 Richtung Kassel-Wilhelmshöhe. Bis Dezember 2023 verkehrten viel mehr RE11-Züge direkt zwischen Kassel und Düsseldorf.

Die Eurobahn hat ihr Angebot seit dem 8. April bei fünf Regionalbahn-Linien in Ostwestfalen gekürzt: RB 65, RB 66, RB 67, RE 78 und RE 82. Das Unternehmen sagt dazu: „Ziel ist, allen Fahrgästen und Partnern ein zuverlässiges und planbares Angebot zu bieten.“ Fachkräftemangel und Krankenstände machten dies notwendig.

Mit wem schließen die Verkehrsunternehmen in NRW ihre Verträge?

Neuß: Mit den Verkehrsverbünden, die schreiben die Verträge aus. Bei der S-Bahn ist es anders: Da ist das Land Nordrhein-Westfalen zuständig. In NRW sind die großen Verkehrsverbünde VRR, VRS, NWL und der AVV auch Eigentümerinnen der Regionalexpress-Fahrzeuge. Der Vorteil: Falls ein Verkehrsunternehmen bankrottgeht oder extrem unzuverlässig ist, sind nicht gleich auch die Fahrzeuge weg. Was aber auch dann bleibt, ist die Personalfrage.

Die Eurobahn sagt, dass zwar fünf Linien ausgedünnt worden seien, diese dafür jetzt aber pünktlicher und zuverlässiger fahren könnten. Lassen Sie dieses Argument gelten?

Neuß: Ja. Unabhängig von diesem Einzelfall: Was nützt es, einen Halbstundentakt aufrecht zu erhalten, wenn jeder dritte Zug ausfällt? Diese Unberechenbarkeit nervt die Fahrgäste. Wenn der Zug nur einmal in der Stunde fährt, dafür aber verlässlich, ist das besser.

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