Berlin. Emmanuel Macron hat sich verzockt. Nach dem Urnengang droht der EU die Lähmung. Warum es nun auf den deutschen Kanzler ankommen könnte.
Manchmal lässt sich im Zeitraffer besichtigen, wie Strahlkraft und Macht von Politikern schwinden. Gerade waren sie noch starke Chefs. Jetzt schleppen sie sich dem Ende ihrer Amtszeit entgegen.
Spätestens seit dem vergangenen Wochenende befindet sich Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron in dieser Situation. Nach dem Triumph des rechtsextremen Rassemblement National (RN) bei den Europawahlen Anfang Juni hatte er handstreichartig die Nationalversammlung aufgelöst. Macron ging voll ins Risiko, suchte die Flucht nach vorn. Das ging gründlich schief: Nach der ersten Runde der vorgezogenen Parlamentswahlen vom vergangenen Sonntag ist Macron schwach wie nie zuvor.
Wenn es schlecht läuft, erringt der RN von Marine Le Pen in wenigen Tagen bei der zweiten Runde die absolute Mehrheit der Sitze im Pariser Parlament. Selbst wenn die republikanischen Kräfte von links bis rechts die Oberhand behalten sollen, wird das Regieren in Frankreich kompliziert. Selten hat sich ein europäischer Staatsmann so verzockt wie Macron. Das wäre halb so wild, wenn es nur um ihn und seine Anhänger ginge. Hier geht es aber um die Zukunft Frankeichs – und damit unmittelbar auch um die Zukunft Europas und Deutschlands.
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Europäische Union: Ohne Deutschland und Frankreich geht es nicht voran
Übernehmen in Paris rechte Nationalisten die Regierung, droht der Europäischen Union der Zerfall. Gibt es eine Koalition oder ein Expertenkabinett mit instabilen Mehrheiten, droht Europa die Lähmung. Macron selbst wird bis 2027 im Amt sein, die Außen- und Verteidigungspolitik ist in Frankreich Sache des Präsidenten. Doch selbst der kann auf Dauer nicht gegen das Parlament und den Apparat regieren. Und den deutsch-französischen Motor für Europa wird der Staatschef allein kaum am Laufen halten können. Und wenn doch, dann allenfalls im unteren Drehzahlbereich.
Die politischen Aussichten für Deutschland haben sich in der vergangenen Woche stark eingetrübt: Wohin Frankreich steuert, ist vollkommen unklar. RN-Anführerin Le Pen macht sich begründete Hoffnung, Macron in drei Jahren beerben und selbst Staatschefin werden zu können. In den USA hat Donald Trump gute Chancen, die Präsidentschaftswahlen im November zu gewinnen. In Italien regieren bereits Postfaschisten. In den Niederlanden übernimmt in diesen Tagen ein Kabinett unter Führung der Rechtspopulisten die Amtsgeschäfte. In Österreich könnte das im Herbst der Fall sein.
Europa und USA: Wenn Wähler Wladimir Putin einen Gefallen tun
All das geschieht zu einer Zeit, in der es mehr denn je auf den Zusammenhalt Europas und des Westens insgesamt ankommt. Ein Ende des russischen Angriffskriegs in der Ukraine ist nicht absehbar. Der Moskauer Gewaltherrscher Wladimir Putin dürfte mit großer Genugtuung zur Kenntnis nehmen, dass weite Teile der Wählerschaft in Westeuropa und den USA ihre Kreuze bei jenen Politikern und Parteien machen, die ihm huldigen und ein Ende des Westens in seiner bisherigen Form herbeisehnen.
Es ist möglich, dass bald viel mehr außenpolitische Verantwortung auf den Schultern des deutschen Kanzlers Olaf Scholz lasten wird, als das bereits heute der Fall ist. Eine vergleichbare Situation gab es schon einmal, und zwar in den Jahren ab 2017: Damals war Donald Trump US-Präsident. Großbritannien hatte sich für den Brexit entschieden, in Frankreich quälte sich Staatschef François Hollande durch seine Amtszeit. Plötzlich kam es auf die Bundesrepublik und Kanzlerin Angela Merkel an. Ein Deutschland, das unter widrigsten Umständen den Laden zusammenhalten muss: Das wäre eine Aufgabe, die man niemandem wünschen möchte.
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