Berlin.. Russlands Außenpolitik ist von einem ganz klaren Narrativ geleitet, sagt die Expertin Sabine Fischer. Damit rechtfertige man vieles.
Russland unter Präsident Wladimir Putin verfolgt eine imperialistische Außenpolitik: Andere Länder, die es in seiner geostrategischen Einflusszone sieht, sollen sich ihm unterordnen. Von dieser Haltung könnte Russland nur abrücken, wenn ein paar Bedingungen erfüllt sind, sagt die Expertin Sabine Fischer im Interview.
Frau Fischer, was war Ihr Eindruck von Ihren Begegnungen mit Wladimir Putin?
Sabine Fischer: Ich habe Putin mehrmals bei einer internationalen Konferenz in Russland erlebt, beim sogenannten Waldai-Forum. Dort konnte ich ihm auch mehrfach Fragen stellen. Zu dem Zeitpunkt hatte der Ukraine-Krieg schon begonnen, die Krim war annektiert worden und im Osten des Landes wurde gekämpft.
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Wie hat Putin sich bei der Konferenz verhalten?
Einmal fragte ich ihn, ob Russland in den Beziehungen mit dem Westen auch Fehler gemacht habe. Seine Antwort kam blitzschnell: ‚Unser Fehler war, dass wir ihnen vertraut haben. Und ihr Fehler war, dass sie dieses Vertrauen als Schwäche ausgelegt haben.‘ Damit hat er in zwei Sätzen sein gesamtes Bild von Russlands Beziehungen mit dem Westen wiedergegeben.
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Was heißt das konkret?
Putin – und mit ihm große Teile der russischen Elite und Bevölkerung – glauben, der Westen habe historisch gesehen seine Politik darauf ausgerichtet Russland in die Knie zu zwingen, zu erniedrigen und zu zerstören. Russland sei das Opfer, das zuerst vertraut hat und das jetzt wettmachen und sich gegen den Westen wehren muss. Für mich war faszinierend zu sehen, dass Putin überhaupt nicht nachdenken muss, sondern dass diese prägnante Antwort wie aus der Pistole geschossen kam.
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Wie passt dieses Bild vom erniedrigten Russland zu der starken imperialistischen Tradition des Landes?
Das ist aus der russischen Perspektive kein Widerspruch. Das russische Narrativ läuft darauf hinaus, dass Russland auch in seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine nichts anderes tut als sich gegen den aggressiven Westen zu verteidigen. Das ist die Grundformel des russischen Narrativs, so wird die eigene aggressive und imperialistische Politik gerechtfertigt.
Was kommt noch dazu?
Im russischen außenpolitischen Denken dominiert die Vorstellung einer multipolaren Welt, in der wenige Großmächte den Ton angeben. Sie haben geostrategische Einflusszonen, innerhalb derer sie über innen- und außenpolitischen Entwicklungen in ihren Nachbarstaaten bestimmen dürfen – so wird das in Moskau gesehen. Kleinere und schwächere Länder, die sich in der Einflusszone einer Großmacht befinden, haben nur eingeschränkte Souveränitätsrechte. Auf dieser Basis beansprucht Russland für sich, der Ukraine, Georgien, Belarus und anderen vorgeben zu können, wie sie sich intern zu entwickeln haben und wie sie sich außenpolitisch zu orientieren haben. Insofern: Da gibt es keinen Widerspruch. Aus unserer Perspektive ist das natürlich nicht so, und aus Sicht der Ukraine, Georgiens oder Moldaus erst recht nicht.
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Wie könnte Russland von seiner imperialistischen Haltung wieder abrücken?
Das wäre nur möglich, wenn ein tiefgreifender politischer und gesellschaftlicher Wandel stattfindet. Das ist aber ausgeschlossen, solange dieses Regime an der Macht ist – und solange der Krieg gegen die Ukraine andauert und Russland ihn eventuell sogar gewinnt. Das wäre eine Katastrophe, weil es die ins Totalitäre neigende Diktatur verstärken würde. Ein Wandel hin zur Demokratisierung könnte wohl nur einsetzen, wenn Russland diesen Krieg verliert. Selbst dann ist es wahrscheinlicher, dass die politische Instabilität zunimmt oder sich ein anderes autoritäres Regime etabliert, das aber ebenfalls von chauvinistischen Grundhaltungen angeleitet wäre.
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Was würde es bedeuten, wenn Russland den Krieg verlöre?
Da muss man erstmal „verlieren“ definieren. Es geht nicht darum, dass ukrainische Truppen irgendwann in Moskau stehen könnten, sondern darum, dass die Ukraine signifikante Gebieten von russischer Besatzung befreien kann und Russland militärisch stärker unter Druck gerät. Da gibt es ein paar neuralgische Punkte, bei denen – sollten sie eintreten – innenpolitischer Druck in Russland entsteht.
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Welche Punkte sind das?
Wenn es den ukrainischen Truppen etwa gelänge, die Süd- von der Ostfront zu trennen, also quasi die Landverbindung der Krim abzukappen und zum Asowschen Meer durchzustechen. Das wäre ein riesiges Problem für die russische Seite, genauso wie die Kertschbrücke. Wir haben in der Vergangenheit gesehen, dass es sofort innenpolitische Folgen hat, wenn die russischen Streitkräfte unter Druck geraten sind, etwa bei der ukrainischen Gegenoffensive im Herbst 2022. Putin hat daraufhin eine Teilmobilmachung verkündet und es gab sofort Proteste, viele haben das Land verlassen. Hier in Deutschland lassen sich zu viele Menschen von der Angst leiten, dass aus einer Destabilisierung Russlands etwas noch Schlimmeres entstehen könnte und man es deshalb „stabil“ halten müsse.
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Putin räumt gerade im Verteidigungsministerium auf: Korrupte Beamte werden entlassen, der Verteidigungsminister wurde ausgewechselt. Was ist das Signal, das er damit aussenden will?
Ich wäre vorsichtig mit dem Begriff „Aufräumen“. Sergej Schoigu ist auf den Posten des Sekretärs des Sicherheitsrates verschoben worden. Dort wird er vielleicht weniger einflussreich sein als sein Vorgänger Nikolai Patruschew. Aber als Strafe dafür, dass er Putins Kriegsziele in den vergangenen zwei Jahren nicht erreicht hat, würde ich das nicht bezeichnen. Mit der Ernennung des neuen Verteidigungsministers Andrej Beloussow stellt Putin klar, dass er den Weg in die Kriegswirtschaft weitergehen will. Beloussow ist ein fähiger Ökonom, dessen Aufgabe es nun sein wird, Streitkräfte, Rüstungsindustrie und russische Wirtschaft noch enger zu verzahnen und technologische Modernisierungsprozesse voranzutreiben. Putin stellt sich (und Russland) auf einen langen Krieg ein, er will sein Kriegsziel, die Vernichtung des ukrainischen Staates, nicht aufgeben. Die Umbesetzung ist ein überlegter Schritt in diese Richtung, keine Panikreaktion auf nicht erreichte Kriegsziele oder gar militärische Rückschläge, die es für Russland in den vergangenen Wochen und Monaten leider nicht zu beklagen gab. Größere Effizienz und weniger Korruption in den Strukturen des Verteidigungssektors stehen sicher auch auf Beloussows Aufgabenzettel. Wir werden sehen, wie weit er damit kommt.
Es kursiert die Idee, man könnte die auf Nato-Gebiet stationierte Luftverteidigung nutzen, um russische Raketen über der Ukraine abzuschießen und die geschwächte ukrainische Luftabwehr damit entlasten. Wie könnte Putin auf einen solchen Eingriff des Westens reagieren?
Das Putin-Regime würde auf eine solche Entscheidung höchstwahrscheinlich mit den üblichen Drohgebärden reagieren und den Luftkrieg gegen die Ukraine weiter verschärfen, bis die angekündigten Maßnahmen umgesetzt würden. Ähnliches konnten wir bereits in den letzten Wochen sehen. Die Angriffe auf Ziele im ganzen Land haben wieder massiv zugenommen. Russland hat eine neue Front im Norden des Donbass eröffnet, die Grenzstadt Wowtschansk in Flammen aufgehen lassen und bombardiert die Großstadt Charkiw ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung. Außerdem wird im Gebiet Rostow in Südrussland gerade der Einsatz taktischer Nuklearwaffen geübt. Ich gehe davon aus, dass diese Handlungen auch mit der Bewilligung des nächsten US-Hilfspakets zu tun haben. Die Ukraine wird bald neue Munition zur Verfügung haben – Moskau will vorher Pflöcke einschlagen. Putin hat seit Februar 2022 viele rote Linien gezogen, die überschritten wurden, ohne dass Russland den Krieg nuklear eskaliert hätte. Die Ukraine ist dringend darauf angewiesen, Stellungen und Versorgungslinien zu zerstören, die für die opferreichen Angriffe der russischen Seite nötig sind. Dafür sollte schnell eine Lösung gefunden werden.