Awdijiwka. Die US-Waffenhilfen für die Ukraine kommen, doch unserem Reporter zeigen Soldaten bei einem Frontbesuch nahe Awdjiwka ihre ganze Wut.

Der Motor des stählernen Ungetüms brüllt auf, eine schwarze Dieselrauchwolke steigt wabernd in die Luft. Bilyi winkt lässig, es ist das Kommando zurückzustoßen, Tyhyi gibt Gas. Der Bradley-Schützenpanzer fährt rückwärts aus der Grube heraus, in der er geschützt von Bäumen gestanden hat, Erde spritzt zur Seite. Einige Hundert Meter weiter bleibt der Panzer stehen, die schwere Rampe im Heck öffnet sich. Im Einsatz würden jetzt sechs Infanteristen aus dem Inneren in Richtung der feindlichen Positionen stürmen.

Hier, in der Ruheposition 20 Kilometer entfernt von der Front, setzen sich jetzt Bilyi und Tyhyi auf die schmalen Pritschen. Die beiden Männer haben von den Neuigkeiten gehört. Die USA werden nach langem und zähem innenpolitischen Ringen jetzt doch ein neues milliardenschweres Hilfspaket für die Ukraine schnüren. Die Begeisterung der Soldaten hält sich in Grenzen. „Das vergangene halbe Jahr hat viele Leben gekostet“, sagt Tyhyi. Bilyi ist der Kommandeur des Schützenpanzers, Tyhyi der Fahrer. Sie wollen nicht mit ihren richtigen Namen in der Zeitung stehen, nur mit ihren Funknamen.

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Die beiden Soldaten gehören zu 47. mechanisierten Brigade. Es ist eine der am besten ausgerüsteten Einheiten der ukrainischen Streitkräfte. Im vergangenen Sommer war die 47. an der Saporischschja-Front eingesetzt, wo ihre Soldaten im Dorf Robotyne die ukrainische Fahne hissten. Es war das letzte Dorf, das die Ukrainer bei ihrer Gegenoffensive befreien konnten. Jetzt kämpft die 47. Brigade in der Region Donezk bei der Kleinstadt Awdijiwka, die die Russen nach monatelangen Kämpfen Mitte Februar eingenommen haben.

US-Hilfe im Ukraine-Krieg: „Es ist gut, dass wir den Bradley haben“

Die 47. Brigade ist mit amerikanischen Abrams-Kampfpanzern und Bradley-Schützenpanzern ausgestattet. Das Fahrzeug, in dem Bilyi und Tyhyi sitzen, ist gerade erst in der Ukraine angekommen, es trägt noch den sandfarbenen Anstrich der US-Operationen im Irak. „Es ist gut, dass wir den Bradley haben“, sagt Tyhyi. „Ansonsten wäre ich schon drei oder vier Mal gestorben. Mindestens.“

Tyhyi ist Fahrer eines Bradley-Schützenpanzers. Er sagt, ohne den Panzer wäre er schon drei oder vier Mal gestorben.
Tyhyi ist Fahrer eines Bradley-Schützenpanzers. Er sagt, ohne den Panzer wäre er schon drei oder vier Mal gestorben. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Sie sind schon mit Drohnen attackiert und mit Panzerabwehrraketen beschossen worden, sind über Minen gefahren. Bislang ist alles für sie bis auf leichtere Verletzungen glimpflich ausgegangen, auch wenn Fahrzeuge liegen blieben. „Der Panzer ist sehr gut geschützt. Im Vergleich zu den sowjetischen Panzern, die wir anfangs hatten, ist er viel besser“, sagt Bilyi, der Kommandeur. Die beiden sind überzeugt: Würden sie mehr westliches Kriegsgerät erhalten, würde sich die Lage auf dem Schlachtfeld zu ihren Gunsten ändern.

Derzeit sind sie in heftige Abwehrkämpfe verwickelt. Wie fragil die Lage ist, hat sich erst vor wenigen Tagen gezeigt, als den Russen ein überraschender Durchbruch in Richtung des Dorfes Otscherytyne, nordwestlich von Awdijiwka, gelungen war. Dort festigen derzeit die Angreifer ihre Stellungen und versuchen, ihre Flanken zu sichern. Am Dienstag räumten ukrainische Soldaten die kleine Siedlung Novobachmutiwka südlich des Dorfes kampflos. Der Vorstoß ragt wie ein Dorn in die Front hinein.

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Mit ihrem Schützenpanzer setzen Bilyi und Tyhyi nicht nur die eigenen Soldaten an der Front ab. Sie bekämpfen auch die gegnerische Infanterie. Mit der schweren Maschinenkanone beschießt „Scout“, der Schütze des Panzers, die Punkte, an denen sich die russischen Soldaten sammeln. Videos aus dem Frontgeschehen zeigen, welche grauenhaften Folgen der Beschuss hat. Es ist ein Gemetzel. „Wir müssen dafür sorgen, dass deren Infanterie nicht zu nahe an unsere herankommt“, sagt Bilyi nüchtern. Eigentlich ist das die Aufgabe der Artillerie. Aber die Artilleriemunition ist seit Monaten knapp.

„Wenn sie etwas Größeres versuchen, werden sie ihre Gesichter mit ihrem Blut waschen“

Nach der Entscheidung des US-Kongresses, grünes Licht für ein neues Hilfspaket zu geben, kann die Ukraine jedoch mit neuer Munition rechnen. Die ukrainische Regierung und Militärführung reagierten erleichtert auf die Entscheidung. An der Front ist man zurückhaltender. „Eigentlich sollte das Paket ja schon Ende vergangenen Jahres geliefert werden“, gibt Bilyi zu Bedenken. „An der Front haben wir gemerkt, was diese Verzögerung bedeutet.“ Am schlimmsten, sagt er, sei für ihn aber der durch das lange Zögern verursachte Mangel an Raketen, die sie für die Luftabwehr benötigen.

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„Sie können unsere Städte angreifen. Dann sterben Kinder.“ Tyhyi geht noch weiter. Er hält die anstehende US-Unterstützung für nicht ausreichend. „Wenn man sagt, Russland oder der Iran sind terroristische Staaten, dann verstehe ich nicht, warum man uns nicht alles gibt, was wir brauchen. Wir haben doch bewiesen, dass wir mit den westlichen Waffen arbeiten können. Und eure Lager sind voll.“

Trotz des russischen Drucks an allen Frontabschnitten sind die beiden zuversichtlich, dass es Moskau nicht gelingen wird, in den kommenden Monaten größere Geländegewinne zu erzielen. Eine Großoffensive in Richtung der Großstadt Charkiw im Nordosten, die von vielen westlichen Analysten erwartet wird, hält Tyhyi für wenig wahrscheinlich. „Sie sind dazu gar nicht in der Lage. Sie haben für die Eroberung Awdijiwkas zwölf Brigaden und 120.000 Soldaten gebraucht. Wenn sie etwas Größeres versuchen, werden sie ihre Gesichter mit ihrem Blut waschen.“