Moskau. Nachdem in Russland die LGBTQ-Bewegung als „extremistische Organisation“ eingestuft wurde, häufen sich furchtbare Schikanen.
„Hände hinter den Kopf, los, alle! Und jetzt alle, die als Jungs geboren sind, aufstehen und da drüben an die Wand stellen!“, schreit einer der Polizisten, die am 18. Februar eine private Schwulen- und Lesben-Party im Leningrader Gebiet gestürmt hatten. Das Video der Razzia kursiert im Netz. Vier Stunden mussten die Partygäste auf dem Boden liegen, durften nicht auf die Toilette, erzählt einer von ihnen auf dem Online-Portal „Parni+“ (zu Deutsch „Jungs +“). „Sie gingen zu jedem hin und fragten: ‚Bist du ein Junge oder ein Mädchen?‘ Ein Mädchen musste ihren Rock hochschieben und ihre Leggings straffziehen, mein Freund musste seine Operationsnarben herzeigen. Und ständig diese Fragen: ‚Ja, wo ist denn nur dein Penis geblieben?‘“, berichtet ein Partygast auf dem Portal „Mediazona“.
Homo- und Transsexualität ist in Russland zwar nicht verboten, wird aber weitgehend tabuisiert. Und: Die russische Gesellschaft ist mehrheitlich homophob. Homosexualität galt in Russland bis 1993 als Verbrechen. Laut der russischen Verfassung gibt es die Ehe nur zwischen Mann und Frau, Beziehungen von Homosexuellen können nicht legalisiert werden. Jüngst hatte der Oberste Gerichtshofs die Situation nochmals verschärft. Das Gericht gab einem Antrag des Justizministeriums statt, „die internationale öffentliche LGBTQ-Bewegung als extremistische Organisation anzuerkennen und ihre Aktivitäten in Russland zu verbieten“.
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Laut dem Online-Medium „Meduza“ wurde Ende März in Orenburg, 1200 Kilometer südöstlich von Moskau, das erste Strafverfahren nach der neuen Regelung eröffnet. Der Art-Direktor und die Administratorin eines Schwulenclubs kamen in Untersuchungshaft. Sie seien „Personen mit einer nicht traditionellen sexuellen Orientierung“ und wären zusammen mit anderen Personen, die „auch die Ansichten und Aktivitäten der in unserem Land verbotenen internationalen LGBTQ-Vereinigung unterstützen“, aktiv gewesen, so das zuständige Gericht in einer Mitteilung.
Russland: Unter Schwulen und Lesben geht die Angst um
Nicht erst seit der neuen Regelung geht unter Schwulen und Lesben in Russland die Angst um. „Mein Partner und ich haben versucht, das Land 2022 zu verlassen“, erzählt der 40-jährige Englischlehrer Kirill aus Moskau unserer Zeitung. „Zuerst waren wir in Usbekistan. Das ist definitiv nicht der beste Ort für Schwule.“ Dann ging es weiter nach Spanien, dort scheiterten sie an der Bürokratie. Nun sind sie wieder zurück in Moskau.
Im Alltag versuchen die beiden, nicht aufzufallen. „In Moskau, Sankt Petersburg oder einer anderen großen Stadt kann man damit umgehen, da die Menschen im täglichen Leben mehr mit sich selbst beschäftigt sind. Ich fürchte, das ist in einer Provinzstadt nicht möglich.“ In Tula, knapp 200 Kilometer südlich von Moskau, nahm etwa die „Amore Party – ein Fest der Liebe, Offenheit und Sexualität“ ein abruptes Ende. Uniformierte befahlen den Teilnehmern, sich auf den Boden zu legen, verprügelten einige, zwangen sie, Kniebeugen zu machen und die Hymne von Tula zu singen.
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Die 36-jährige Art-Produzentin Julija lebt mit ihrer Partnerin seit sieben Jahren in Sankt Petersburg. Im Ausland haben die beiden geheiratet, in Russland ist die Ehe nichts wert. Julija hat einen Sohn geboren, der Vater ist ein schwuler Freund. „Wir wissen, dass die Probleme mit dem Erwachsenwerden unseres Sohnes beginnen könnten“, sagt Julija unserer Zeitung. „Jetzt ist unser Sohn ungefähr ein Jahr alt. Aber wenn wir unser Kind in den Kindergarten geben müssen, könnten sich dort Fragen ergeben. Deshalb arbeiten wir an einem Plan, das Land zu verlassen.“ Eigentlich will Julija in Russland bleiben. Aber: „Es ist erschreckend, sich vorzustellen, dass man mir meinen Sohn wegnehmen könnte.“
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Die Diskriminierung von Menschen einer anderen Sexualität als der traditionellen hat durchaus auch einen politischen Hintergrund. Russlands Präsident Wladimir Putin versteht sich als Vorkämpfer gegen den sogenannten westlichen Liberalismus. Menschenrechtler hingegen beklagen, dass Gewalt gegen Homosexuelle oder auch Mordaufrufe für die Täter immer wieder folgenlos bleiben. Auf dem Telegram-Kanal einer nationalistischen Gruppierung kann man nachlesen: „Mit Toleranz meinte der Präsident, dass wir uns mit eurer Existenz eben abfinden müssen, aber doch nicht, dass ihr auf eure Rechte pochen könnt! Ihr habt nämlich keine, ihr Sodomiten!“
Viele Lokale für Schwule und Lesben müssen schließen
Vor allem in der Provinz sind Menschen anderer Sexualität zum Rückzug ins Private und ins Netz gezwungen. Immer mehr Bars und Clubs schließen. „Leider können wir unsere Bar nicht weiterbetreiben. Die Schließung des Elton ist hiermit offiziell“, schreibt die Geschäftsführung einer Bar in Krasnojarsk, der drittgrößten Stadt in Sibirien. Zuvor hatte es mehrfach Polizeikontrollen gegeben. „Wahrscheinlich wollen sie uns und unsere Gäste einschüchtern“, glaubt Artjom Demtschenko, der Geschäftsführer.
„Manche Lokale versuchen, sich anders zu orientieren, und üben Selbstzensur, um weiterbestehen zu können“, erklärt der Jurist Maxim Olenitschew auf der Online-Plattform „Dekoder“. „Die Polizei darf nichts zu beanstanden haben.“ Zur Begründung der Schließung des Elton in Krasnojarsk schreibt die Geschäftsleitung: „In einer Situation, in der nichts als Hass propagiert wird und man nur noch darauf aus ist, die einen gegen die anderen aufzuhetzen, können wir eure Sicherheit und die Sicherheit unserer Mitarbeiter nicht mehr garantieren.“
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