Köln. Mit „Chefsache ESC 2025“ nimmt Raab die Auswahl der deutschen Kandidaten selbst in die Hand, kompromisslos wie eh und je. So lief die erste Show.
„Aufgewärmt schmeckt nur Gulasch!“, ein Rat, den man sonst gerne der Freundin mit ihrem toxischen Freund gibt. Und demnächst vielleicht auch der ARD? Mit „Chefsache ESC 2025 – Wer singt für Deutschland?“ will diese nämlich unbedingt den Titel beim „Eurovision Song Contest“ in Basel holen. Und greift dafür auf einen alten Bekannten zurück: Stefan Raab. Eine Zutat wurde ausgetauscht: Statt mit ProSieben kooperiert die ARD nun mit RTL.
„Ich glaube, dass der Stefan nur Chef kann“, kommentiert Moderatorin Barbara Schöneberger den wenig charmanten Titel. „Du bist nicht der Typ für den Nicht-Chef-Posten.“ Da stimmt ihr Raab auch unumwunden zu: Er sei kein Typ für Kompromisse. „Ich will ja gewinnen, das ist das Einzige, was mich interessiert.“ Es gehe um alles oder nichts.
Das Konzept: Altbewährt und wenig innovativ
Aus 3281 Bewerbungen haben Stefan Raab und sein Team 24 Acts ausgesucht, die in vier Sendungen zur Prime Time bei RTL auftreten dürfen. Das Sendungskonzept ist leicht zu verstehen und absolut nicht innovativ: Die Künstlerinnen und Künstler präsentieren nacheinander ein Cover oder einen „alten“, eigenen Song, bekommen einen Kommentar von der Jury und erfahren am Schluss, ob es für das Halbfinale gereicht hat.
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Diese sieben Künstlerinnen und Künstler haben am Freitagabend den Einzug in das Halbfinale geschafft:
Mit Leona Lewis „Run“ konnte sich die 23-jährige Julika aus Düsseldorf das erste Ticket sichern. Barfuß, im langen weißen Kleid, mit offenen Haaren und einem ausladenden Vibrato wirkt sie sehr unschuldig – vielleicht zu unschuldig? Die Kanten sind zumindest nicht sofort erkennbar. Dabei sagte Barbara Schöneberger vorab noch: „Manchmal würde man sich wünschen, dass jemand ein bisschen sperrig ist.“

Balsam für die Ohren: ESC-Vorentscheid-Kandidaten Benjamin Braatz und Cage
Ähnlich wirkt auch der Auftritt von Benjamin Braatz. Dass er sich in seinem Studium „Komposition von Popmusik“ von den Beatles und Künstlern wie Elton John und Queen inspirieren lässt, hört man vom ersten Ton an. Wenn man den 24-Jährigen auf der Bühne sieht, fällt es plötzlich ganz leicht, sich von Nachrichten über Bundestagswahl, Trump und Krieg abzulenken. Der Hagener schafft ein Stückchen heile Welt. Da nimmt man auch mangelnde Sperrigkeit gern hin.

Casting-Show-Fans kennen Cage bereits: Sie nahm 2020 an der ebenfalls von Raab produzierten Show „Famemaker“ teil. Mit dem H.E.R.-Cover „Wrong Places“ beweist sie wieder einmal, was für eine perfekte Stimme sie hat. Eine absolute Favoritin.

Von Mittelalter-Rock bis TikTok-Star
Bereits beim Wacken-Festival aufgetreten und zwei Nummer-1-Alben veröffentlicht, hat die Nürnberger Mittelalter-Rock-Band Feuerschwanz. Trotzdem entschied auch sie sich für ein Cover: „Dragostea Din Tei“ – der Sommerhit von 2004. „So ein Kacksong!“, kommentierte Raab. Allerdings habe die Band – die in Rüstungen auf der Bühne stand – damit bewiesen, dass sie aus Mist Gold machen könne. „Und ich überlege gerade, ob ich euch verklagen kann.“ Warum? Anfang der 2000er war Raab Teil des Musikprojekts „Dicks on Fire“, gemeinsam mit Comedian Rick Kavanian und Sänger Max Mutzke. Und anscheinend teilt der „Chef“ geniale Ideen wohl nicht so gern.

Dafür arbeitet er umso lieber mit altbekannten Gesichtern zusammen. Neben ihm sitzen nämlich Elton, Max Mutzke und Yvonne Catterfeld in der Jury. Allerdings seien sie sich in der Entscheidungsfindung wohl nicht sehr einig gewesen, gibt Stefan Raab zu. Wer wohl das letzte Wort hatte?
Mit einer Mischung aus Klassik und Elektronik performt das Duo Abor & Tynna „Skyfall“. Die beiden sind Geschwister, in Wien geboren, er Produzent, sie Sängerin. Tynna fasziniert mit einer starken Bühnenpräsenz: Zunächst liegt sie auf einem scheinbaren Bett aus Wolken, bevor sie aufsteht und die Bühne für sich einnimmt.

Raab: Die „Aura“ führt zum Erfolg
Und hier wird die Schwäche des Konzepts ziemlich deutlich. Direkt vor den beiden trat die Münchner Band COSBY auf. In schwarzen Outfits mit silbernen Sternen, die gut aus David Bowies Kleiderschrank stammen könnten, präsentieren sie ihren eigenen Song. Die Regel bei der ersten Runde lautet nämlich: Die teilweise noch unbekannten Künstlerinnen und Künstler treten mit einem Cover oder einem älteren Song auf. Cosbys „Loved For Who I Am“ wurde vor einem Jahr veröffentlicht. „Alt“ ist etwas anderes. Und vor allem nicht wirklich vergleichbar.
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Beim ESC geht es ja nicht nur um gesangliche Fähigkeiten, sondern um das Zusammenspiel aus Komposition, Performance, Bühnenbild, Präsenz und Stimme. Oder wie es Raab in einem Interview vorab nannte: die „Aura“ eines Acts. Bei Künstlerinnen und Künstlern, die mit Cover-Songs antreten, braucht es daher umso mehr Fantasie, sich vorzustellen, wie sie mit einem eigenen ESC-Song wirken würden. Aber da in der ersten Runde eh die Jury entscheidet, wer weiterkommt, ist das für das Publikum erstmal verkraftbar.
Kann Stefan Raab Deutschland wirklich zum Sieg führen?
Das letzte Ticket fürs Halbfinale geht an Jonathan Henrich. Angekündigt wurde er als einer der erfolgreichsten deutschen TikTok-Music-Streamer. Mit knapp 88.000 Followern und nicht einmal einer Million Likes (Stand: 15. Februar, 00:25 Uhr) ist das wohl etwas übertrieben. Der Sohn von Olli Dittrich, selbst ESC-Teilnehmer mit „Texas Lightning“, bringt JVKEs „Golden Hour“ solide auf die Bühne, sorgt aber nicht wirklich für Gänsehaut – dafür ist die Intonation immer wieder zu ungenau.

Gerade da fällt es schwer nachzuvollziehen, dass es für Equa Tu mit „Gaga“ für die nächste Runde nicht gereicht hat. Der 28-jährige Hauke aus Münster kombiniert Rap, Pop und Reggae zu einem Sound, der ein bisschen an die Fantastischen Vier erinnert. Mit dieser Leichtigkeit hätte sein Song das Halbfinale durchaus bereichert.
Am 15. Februar tritt die zweite Gruppe an, um sich fürs Halbfinale zu qualifizieren, das am 22. Februar stattfinden soll. Ob der Plan aufgeht, mit Raab den Titel zurückzuholen, bleibt ungewiss. Also vielleicht dann doch lieber Gulasch.
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