Manheim. Am Mittwoch hat RWE mit den Rodungsarbeiten am Sündenwäldchen in Manheim begonnen. Aktivisten besetzen seit Wochen den Wald. Die Lage vor Ort.
Immer wieder dröhnt die Kettensäge im Hintergrund, als Tom zum Reden ansetzt. Tom ist nicht der richtige Name des Aktivisten, der seit Monaten im Sündenwäldchen in Manheim-Alt lebt, einem früheren Stadtteil von Kerpen, am Rande des Braunkohletagebaus Hambach. „Die letzte Nacht war kurz“, sagt der 26-Jährige und zieht langsam an seiner Zigarette. Seit Dienstag, 28. Januar, ist klar: RWE kann mit den Rodungsarbeiten beginnen – den Eilantrag des BUND NRW gegen den Hauptbetriebsplan für den Braunkohletagebau Hambach hat das Oberverwaltungsgericht abgelehnt.
Seit den frühen Morgenstunden an diesem Mittwoch fahren die Bagger an der großen Grube des Tagebaus, Kettensägen roden die Bäume am ehemaligen Sportplatz, direkt neben dem „Sündi“. Auf der anderen Seite des Waldes haben auch die Arbeiten am Manheimer Fließ, einem kleinen Gewässer unweit des Waldes begonnen. Dass es jetzt so schnell geht, ist für Dirk Jansen, Geschäftsleiter des Bundes Umwelt- und Naturschutz (BUND) wenig überraschend. „Damit haben wir gerechnet. RWE ist sehr schnell und gut darin, Natur zu zerstören“, erklärt er im Gespräch mit der NRZ.
RWE beginnt Rodung rund um das Sündenwäldchen
Die geplanten Rodungen konzentrieren sich auf die sogenannte „Manheimer Bucht“, wo RWE Sand und Kies abtragen will, um die Böschung des Tagebaus abzuflachen. Die bis zu vierhundert Meter tiefe Kohlegrube soll nach dem aktuellen Hauptbetriebsplan eines Tages zu einem See werden. Doch die Gegner des Tagebaus sehen darin nur einen weiteren Schritt der Umweltzerstörung.
„Die Rechnung ist ohne uns gemacht, ohne die beharrliche Mahnwache, ohne die tollen Menschen im Wald. Und ohne die immer größer werdende Öffentlichkeit“, verkündete Waldpädagoge und Aktivist Michael Zobel am Dienstag. Er ist eines der Gesichter im Widerstand gegen den Braunkohletagebau im Rheinischen Revier. Bereits vor Wochen sind in den sechs Hektar großen „Sündi“ Anti-Kohleaktivisten eingezogen, um dessen Rodung zu verhindern.
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„Traurig, enttäuscht und schockiert“: Aktivisten kämpfen seit Monaten um den Erhalt des „Sündi“
Die Grundstücke, auf denen die Bäume und Sträucher gerodet werden sollen, befinden sich bereits im Besitz des Energiekonzerns. In einer Mitteilung appelliert RWE, „das Betriebsgelände des Unternehmens nicht zu betreten, sich nicht an gesetzeswidrigen Aktionen zu beteiligen und in einem möglichen Protest besonnen zu bleiben.“
„Traurig, enttäuscht und schockiert“, beschreibt Blanche ihre Gefühlslage an diesem Vormittag. Blanche ist nicht ihr echter Name. Sie gehört zur Mahnwache, die Ende letzten Jahres am Rand des Sündenwäldchens errichtet wurde. Den Kampf um die Manheimer Bucht, der seit Monaten anhält, will sie nicht aufgeben. „Die Bucht bleibt“, sagt sie bestimmt – zumindest hofft sie das. „Wir müssen noch mehr Menschen mobilisieren und zeigen, was hier passiert.“
Im Wald selber herrscht am Mittwoch angespannte Stimmung. Tom hat sich eine Plattform in die Bäume gebaut, andere Aktivisten haben sich ebenfalls höhergelegene Nachtlager eingerichtet. Auf dem Boden stehen vereinzelt Zelte, „hier ist unser Lebensmittelpunkt“, sagt der 26-Jährige und deutet auf die kleine Feuerstelle inmitten des Waldes. Nur wenige Meter entfernt stehen Arbeiter von RWE in gelben und blauen Westen um einen Baum versammelt, wieder dröhnt die Kettensäge.
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Wenige hundert Meter weiter unten im Dorf reihen sich neben der alten, verlassenen Kirche zahlreiche Polizeiwagen aneinander. „Vorsorglich“, wie ein Sprecher der Polizei Rhein-Erft-Kreis im Gespräch sagt. „Derzeit gibt es keinerlei Hinweise darauf, dass wir tätig werden müssen. Wir beobachten nur die Situation und das tun wir auch nicht erst seit heute“, so der Sprecher weiter, der die Lage als „aus polizeilicher Sicht entspannt“, einordnet.
„Um das Wäldchen letztendlich zu roden, müssen die Besitzer raus“
„Um das Wäldchen letztendlich zu roden, müssen die Besetzer raus“, sagt Jansen vom BUND NRW. Laut RWE finden in dem „unmittelbar betroffenen Sektor“ derzeit keine Rodungen statt. „Werkschutzmitarbeiter sorgen hier für die notwendigen Mindestabstände zu den Arbeiten in der Umgebung.“ Die Arbeiten schritten gut voran und liefen bislang ohne Störungen, heißt es in einer Antwort auf eine NRZ-Anfrage. Wann RWE mit der Räumung des Wäldchens beginnt, bleibt jedoch offen. „Das Ende der Arbeiten hängt vom weiteren Fortschritt der Maßnahmen ab und kann daher noch nicht genau vorhergesagt werden.“
RWE-Mitarbeiter bedroht
Nach Beendigung des Kohleabbaus soll ab 2030 in das Tagebauloch Wasser eingeleitet werden, um es in einen Freizeitsee zu verwandeln. Dafür seien aktuell mehrere Hundert Mitarbeiter im Einsatz, teilte ein RWE-Sprecher mit. Es handele sich um RWE-Beschäftigte und Mitarbeiter von Fremdfirmen. Aus Gründen der Arbeitssicherheit sei viel Personal erforderlich. „Zudem kam es in den vergangenen Tagen wiederholt zu Straftaten und Bedrohungen gegenüber unseren Beschäftigten“, erklärte der Sprecher. „Die Baumfällungen dienen nicht der Kohleförderung und betreffen nicht den Hambacher Forst“, bekräftigte RWE Power. Die Inanspruchnahme des Geländes ist Bestandteil der jüngsten Leitentscheidungen der Landesregierungen von 2021 und 2023. dpa
Für Dirk Jansen ist es nur eine Frage der Zeit. „Ab jetzt kann es wirklich schnell gehen“, sagt der BUND-Sprecher. Auch Tom hat kaum Hoffnung: „Ich wünsche mir, dass es noch bis März dauert, aber das ist wahrscheinlich zu optimistisch.“ Der 26-Jährige nimmt einen letzten tiefen Zug von seiner Zigarette. „Wir bleiben hier, bis es nicht mehr geht.“