Krefeld. Patricia Krombach hilft seit 25 Jahren Obdachlosen in Krefeld. Armut verschwindet nicht von allein, sagt sie. Welche Entwicklung sie besorgt.

Patricia Krombach hat sich gerade erst auf die Holzbank gesetzt, trotz der eisigen Temperaturen, um sich eine Zigarette anzuzünden, als sich auch schon der erste Mann nähert. Langsam, vorsichtig, prüfend. „Womit kann ich dir helfen?“, fragt sie. „Hast du Schuhe?“ Er redet leise, schaut kaum nach oben, sondern nur nach unten – zu seinen zerschlissenen Sneakern. „Welche Größe hast du?“, fragt sie weiter. „41 oder 42“, antwortet er. Sie nickt. „Ich müsste noch welche im Lager haben, die suche ich dir gleich raus. Komm einfach in einer halben Stunde wieder!“ Solche Situationen gehören für die 63-Jährige zum Alltag, denn seit mittlerweile 25 Jahren engagiert sie sich ehrenamtlich für Obdach- und Wohnungslose in Krefeld. „Sobald ich hier bin, kommen die Menschen“, sagt sie. Menschen, die frieren oder hungrig sind, Menschen, die schnell und unkompliziert Hilfe benötigen. Und von ihnen, das weiß sie nur allzu gut, gibt es viel zu viele.

In NRW wurden zum Stichtag 31. Januar 2024 insgesamt 105.120 Menschen ohne Wohnsitz erfasst. Das waren rund 20.400 mehr als noch im Vorjahr, wie das Statistische Landesamt mitteilt. Besonders erschreckend dabei: Mehr als ein Viertel waren Minderjährige. „Wenn jemand sagt, dass es keinen Bedarf gibt, fange ich an zu lachen“, sagt Patricia Krombach und öffnet auf ihrem Handy ein Foto, das sie bei einer ihrer monatlich stattfindenden Spendenausgaben an der Fabrik Heeder aufgenommen hat. Über 200 Menschen stehen in einer Schlange, um warmes Essen, einige Hygieneartikel und dicke Kleidung zu erhalten. Manche warten dafür über eine Stunde in der Kälte, „da brauche ich nicht zu fragen: ‚Brauchst du das wirklich?‘“, erklärt sie. Zwar gibt es in Krefeld die Tafel, „aber dafür braucht man Papiere und eine Bedürftigkeitsbescheinigung“, sagt sie. Für manche sei das bereits eine Hürde, deshalb gilt bei ihr: „Wer Hunger hat, bekommt Essen.“

Psychisch krank – und keine Hilfe in Sicht

Diesen Leitsatz hätte sie am liebsten auch schon früher umgesetzt. „Ich bin in einer sozial schwachen Gegend aufgewachsen“, erzählt sie. „Und meine Eltern haben mir verboten, zu den obdachlosen Menschen zu gehen.“ Aber, natürlich, als Zwölfjährige war sie neugierig und widersetzte sich dem Verbot... „Ich war mehr als entsetzt“, erinnert sich Patricia Krombach. „Danach wollte ich meiner Mutter den ganzen Vorratsschrank ausräumen.“ Doch diese hielt sie auf mit den Worten: „Wem, von den 40 oder 50 Familien, willst du helfen? Und die anderen bleiben hungrig?“ Mit solchen Entschuldigungen gibt sich die Krefelderin längst nicht mehr zufrieden. Denn mittlerweile hat sie selbst die Erfahrung gemacht, wie schnell sich alles ändern kann. „Mir ging es mal sehr gut“, erzählt sie. Als gelernte Tischlerin war sie erst selbstständig, später angestellt – bis ein Unfall sie in die Arbeitsunfähigkeit führte. Sie war nie obdachlos, das nicht, „aber mir ging es nicht gut“, fasst sie zusammen. „Und es war keine Hilfe in Sicht.“

Der Andrang bei den Spendenausgaben, die Patricia Krombach ein Mal im Monat in Krefeld organisiert, ist immer groß.
Der Andrang bei den Spendenausgaben, die Patricia Krombach ein Mal im Monat in Krefeld organisiert, ist immer groß. © Patricia Krombach

Patricia Krombach hat es geschafft, alleine, hat ihr altes Leben hinter sich gelassen. Doch die Wut über soziale Ungerechtigkeiten ist geblieben. Da sind die ukrainischen Familien, die monatelang auf eine finanzielle Unterstützung warten mussten. Da sind die jungen Menschen, die trotz psychischer Erkrankung keine therapeutische Hilfe erhalten. „Das System in Deutschland fängt nicht alle umfassend auf“, sagt sie. „Es gibt zu wenige Therapieplätze.“ Dazu kommen die hohen Hürden, sich überhaupt um entsprechende Hilfe kümmern zu können. So erklärt sie sich auch die Entwicklung, die sie in 25 Jahren miterlebt hat: „Das Klientel hat sich komplett gewandelt.“ War es früher hauptsächlich der „klassische Saufbruder“, wie sie es nennt, leben heute viele junge Erwachsene auf der Straße, „von denen die meisten psychisch erkrankt sind.“ Sie selbst kann das System nicht ändern, das ist ihr bewusst, aber eines hat sie schnell gemerkt: „Du kannst sowieso nicht mit jemandem darüber reden, wie das Leben weitergeht, wenn er Hunger hat.“

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So groß ist die Not der Obdachlosen

Und das ist doch gerade das Absurde, denn „Essen ist immer genug da“, sagt Patricia Krombach. Sei es beim Bäcker, der das zwei Tage alte Brot eigentlich wegschmeißen würde, sei es im Supermarkt, der Lebensmittel kurz vor dem Ablaufen des Mindesthaltbarkeitsdatums nicht mehr verkaufen kann. Und so sammelt sie bei verschiedenen Stellen das Essen, das sie dann an Bedürftige verteilt. Dazu fährt die 63-Jährige mit ihrem Fahrrad durch die Straßen, steht an der Spendenausgabe oder öffnet die Tür ihres Zentrallagers. „Erst, wenn man sich mehr damit beschäftigt, sieht man, wie groß die Not ist“, betont sie. Und ja, es gibt die Caritas und die Diakonie oder auch die städtischen Notunterkünfte, an die sie die Obdachlosen und Wohnungslosen immer weiterverweist. „Aber ich sorge dafür, dass sie überhaupt auf der Straße überleben“, betont sie. „Alles, was danach kommt, ist Aufgabe der Stadt.“ Sie würde sich eine Zentralküche wünschen, damit alle, „auch Rentner und Kinder“, ein Mal am Tag warmes Essen bekommen. „Die Armut verschwindet nicht von allein“, sagt sie.

Spenden erwünscht!

Patricia Krombach sammelt nicht nur Lebensmittel, sondern auch Hygieneartikel, Tierfutter und Kleidung für Bedürftige. Besonders im Winter ist der Bedarf nach dicken Anziehsachen und Schlafsäcken groß.

Wer etwas spenden möchte, kann die Sachen (bitte gepflegt und sauber) immer freitags zwischen 16.30 und 17.30 Uhr im Zentrallager der „Obdachlosenhilfe Krefeld homeless people“, Fütingsweg 58a, abgeben. Vorher am besten anrufen: 01773014696.

Da es eine private Initiative ist, kann Patricia Krombach bei Geldspenden keine Quittung ausstellen.

Auch deshalb ist das Ehrenamt für sie längst zum Vollzeitjob geworden. Doch wenn sie ein „Danke“ zu hören bekommt, ist ihr das eher peinlich, gibt Patricia Krombach zu, „dann werde ich ruppig“. Wieso? Nunja, sagt sie schulterzuckend, während sie an ihrer Zigarette zieht, „ich gucke doch nur, wo ich Lebensmittel herbekomme und verteile sie dann weiter.“ So, wie an das junge Paar, das nun auf sie zukommt. Die Frau läuft am Rollator, der Mann trägt eine Plastiktüte. „Haste was Kleines zu essen für uns?“, fragt sie. Klar, Patricia Krombach schaut direkt im Lager nach und bringt ihnen Sandwiches, Couscoussalat, Brot und Aufstriche. „Reicht das?“ Der Mann nickt. „Dankeschön!“ Achja, da fällt der Frau noch etwas ein: „Wann ist das nächste Mal wieder bei dir?“ Also, wann ist die nächste Spendenausgabe? „Immer der letzte Montag im Monat“, antwortet Patricia Krombach. Stimmt,, jetzt weiß sie es auch wieder, sie wird da sein, „bis dann!“