Krefeld. Levin aus Krefeld war drei Jahre lang wohnungslos. Doch dann kam der Punkt, an dem sich alles veränderte. Wie sein Leben heute aussieht.
Als Kind hatte Levin immer den Wunsch, endlich erwachsen zu sein. Weil er dann nicht mehr in die Schule gehen müsste, nicht mehr bei seinen Eltern wohnen müsste und sich alle Spielsachen dieser Welt kaufen könnte. Doch jetzt, mit 22 Jahren, kommt ihm manchmal der Gedanke, dass früher doch alles einfacher war. „Man hatte ein Dach überm Kopf und Essen auf dem Tisch“, sagt er. Und ja, „ich habe auch schon gedacht, dass ich wieder zurück in die Schule will“, gibt er zu. Denn die Volljährigkeit bringt auch Herausforderungen mit sich, denen er in der Vergangenheit nicht immer gewachsen war. Und damit ist Levin nicht allein.
„Die Situation für junge Erwachsene hat sich eher verschärft als verbessert“, betont Agathe Franke. Als Koordinatorin des Projekts „JUST BEst“ hat sie täglich mit Menschen zu tun, „die im Jugendhilfesystem verloren gegangen sind“, wie sie erklärt, „und die merken: Volljährig zu sein, ist gar nicht so cool.“ Dabei hat ihre Arbeit mal ganz anders ausgesehen. „Früher ging‘s noch um Schulabsentismus und darum, eine Ausbildung oder einen Job zu vermitteln“, sagt sie. Mittlerweile fängt die Schulsozialarbeit solche Themen gut auf, dafür aber sind andere Probleme für Menschen zwischen 18 und 26 Jahren drängender geworden.
„Der Wohnungsmarkt ist eine Katastrophe“
„Viele, die zu uns kommen, sind wohnungslos“, sagt Agathe Franke. Denn, das muss sie klar so benennen: „Der Wohnungsmarkt ist eine Katastrophe.“ Wer keine Unterstützung aus dem Elternhaus erhält, „für den ist das eine Riesenherausforderung“, betont sie. Denn es gibt finanzielle Hilfen wie Schüler-Bafög, eine Berufs-Beihilfe, eine Abzweigung des Kindergelds oder, oder, oder... Aber sich in dem Bürokratiedschungel erstmal zurecht zu finden, ist selbst für „ältere“ Erwachsene manchmal kompliziert. Beispiel gefällig? Wenn die Familie vom Bürgergeld lebt, dürfen Kinder unter 25 Jahren nur mit Zustimmung des Jobcenters ausziehen.
Und so kann es vorkommen, dass der dritte Antrag auf „eigenen Wohnraum“ abgelehnt wurde, „während zuhause die Mutter im Streit Teller wirft“, erzählt Sophia Hufnagel. Solche Fälle kennt die Sozialarbeiterin nur allzu gut, immerhin betreut sie – so wie jede ihrer Kolleginnen und Kollegen – rund 40 Klientinnen und Klienten, die alle jeweils ihre eigene Geschichte mit sich bringen. Das klingt nach schweren Themen und vielen Emotionen? Ja, sie nickt, „deshalb stehen hier auch überall Taschentücher.“ Und auch als Levin vor vier Monaten zum ersten Mal zu ihr ins Büro kam, hatte er bereits einiges erlebt...
Levin war wohnungslos – drei Jahre lang
„Ich dachte mit 16 Jahren, kriminell zu sein, ist cool und lustig“, erzählt der 22-Jährige. Er suchte sich die falschen Freunde, traf die falschen Entscheidungen und ja, er sagt, wie es ist, „ich habe Scheiße gebaut!“ Aber, das fügt er direkt hinzu, „ich habe meine Lektion gelernt und stand vor Gericht.“ Wobei es einige Jahre dauerte, bis es soweit war... Denn zunächst wurde er nicht gefasst. So konnte er mit 18 Jahren seinen Eltern folgen, die nach Italien auswanderten. Nach einem Jahr kehrte er jedoch nach Deutschland zurück. Ohne Schulabschluss, ohne Ausbildungsplatz und, auch das, ohne Wohnung.
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Aber das würde sich schnell ändern... oder? Er würde auf der Couch von Freunden schlafen, ein paar Nächte, höchstens! Nunja, daraus wurden, er muss kurz überlegen, „fast drei Jahre“. Drei Jahre, die „sehr stressig“ waren, wie er es beschreibt, „weil ich von Tag zu Tag, von Woche zu Woche geplant habe.“ Drei Jahre, in denen er nichts außer einigen Kleidungsstücken besaß, „ein paar Unterlagen und Pullis habe ich in der Zeit auch noch verloren.“ In dieser Zeit wuchs sein Schuldenberg, aber auch seine Gewissensbisse wurden immer stärker.
Schuldgefühle führten Levin zum Gericht
„Es hat mich innerlich zerfressen“, erzählt Levin. Und dann tat er das, was seine Eltern ihm beigebracht haben: „Wenn man Scheiße gebaut hat, muss man dafür geradestehen.“ Er meldete seinen Diebstahl von damals und erhielt eine Strafe: „Ich musste mich bei dem Geschädigten entschuldigen und erzieherische Gespräche führen.“ Das war schon komisch, muss er zugeben, aber als er mit Sophia Hufnagel über seinen Lebenslauf sprach, gab‘s keine Vorwürfe, kein „du, du, du....“ Die Sozialarbeiterin nickt. „Wir sprechen auf Augenhöhe mit den Teilnehmenden und zwängen niemandem etwas auf.“
Stattdessen überlegten sie gemeinsam, wie sich seine Situation verbessern könnte. Er möchte eine Ausbildung machen, am liebsten etwas Handwerkliches, „ein Praktikum als Autolackierer habe ich schon in Aussicht“, erzählt er stolz. Ganz oben auf der „To-Do-Liste“ stand allerdings noch etwas anderes. „Ich habe jetzt meine eigene Wohnung“, sagt er. Noch ist sie relativ leer, das „Männer-Starterpack“ nennt er es, aber bald sollen zur Matratze und Lampe noch weitere Möbel dazukommen. Sophia Hufnagel hat schon einige Ideen, „bei Haushaltsauflösungen oder auch bei Kleinanzeigen werden manchmal Möbel verschenkt.“
„JUST BEst“ in Krefeld
„JUST BEst“ ist an die „Kommunale Zentralstelle für Beschäftigungsförderung“ der Stadt Krefeld angeschlossen.
Das Projekt wird im Rahmen des „ESF Plus“-Programms „Jugend stärken: Brücken in die Eigenständigkeit“ durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und durch die Europäische Union über den Europäischen Sozialfonds Plus (ESF Plus) noch bis 2027 gefördert.
Weitere Informationen erhalten Interessierte unter 02151/863471 oder per E-Mail an justbest@krefeld.de
Doch es gibt noch so viele andere Dinge zu beachten. „Hast du schon den Strom angemeldet?“, fällt Sophia Hufnagel dazu gerade ein. „Ja!“, antwortet er und lächelt. Daran hätte er vorher, ohne sie, nie gedacht! Überhaupt fragt er sich in solchen Momenten immer: „Wie macht ihr das alle?“ Klar, er ist 22 Jahre alt, „ich bin also eigentlich alt genug“, sagt er, „und ich dachte auch, ich schaffe das.“ Aber wenn er etwas in der Zeit gelernt hat, dann ist es das: „Sei dir nicht zu fein, Hilfe anzunehmen.“ Denn erwachsen zu sein, das weiß er jetzt, ist wirklich alles andere als kinderleicht.