Gunde Ahsan.. Die Leserinnen und Leser haben der NRZ haben den Bau einer Schule im Irak unterstützt. Sie ist ein Leuchtturm geworden
Kürzlich hat Hazem Kayo zehn neue Schüler aufnehmen können. Es ist ein Zeichen der Hoffnung. Es bedeutet, dass einmal mehr Menschen zurückgekommen sind in die Shingal-Region. Das Dorf Gunde Ahsan wächst langsam, und das kleine cremefarbene Schulgebäude, das aus den grauen Gebäuden heraussticht, die hier in den vergangenen Jahren errichtet wurden, ist zu einem Zentrum für eine Gemeinschaft geworden, in der die Wunden der Vergangenheit noch längst nicht verheilt sind, die aber versucht, ein neues Leben in der alten Heimat aufzubauen.
Gunde Ahsan ist eine kleine Siedlung am Fuß des Shingal-Gebirgszuges, nach dem die gesamte Region im äußersten Nordwesten des Irak benannt ist. Es ist eine unwirtliche Gegend. Weite baumlose Flächen, über die oft ein kräftiger Wind weht, erstrecken sich bis zum Horizont. Viele der Dörfer und Kleinstädte tragen noch immer die Narben des Krieges, den der sogenannte Islamische Staat (IS) vor zehn Jahren in die Region getragen hat, in der vor allem Angehörige der jesidischen Minderheit lebten.
Hunderttausende flohen vor den Terroristen des IS
Damals flohen Hunderttausende Jesidinnen und Jesiden vor der grimmigen Wut der islamistischen Fanatiker. Für die Kämpfer des IS sind sie Teufelsanbeter. Die Terroristen ermordeten Tausende Menschen, entführten Tausende Frauen und Kinder. Der Bundestag bezeichnete das, was den Jesiden im Jahr 2014 widerfahren ist, im Januar 2023 als Völkermord.
Bis heute leben Hunderttausende der Flüchtlinge von damals in der rund 150 Kilometer östlich gelegenen autonomen Region Kurdistan, häufig in Zelt-Camps, die Glücklicheren in einfachen Wohncontainern. Obwohl das Terrorkalifat des IS bereits seit fünf Jahren zerschlagen ist, wagen sie es nur wenige, zurückzukehren.
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Die Shingal-Region ist in weiten Teilen noch immer eine Ruinenlandschaft, der irakische Staat investiert wenig in den Wiederaufbau. Die Region ist strategisch wichtig, weswegen verschiedene Kräfte um die Kontrolle ringen - die kurdische Regionalregierung, die irakische Zentralregierung, Milizen, die dem Iran oder der kurdischen Arbeiterpartei PKK nahestehen. Regelmäßig kommt es zu Gewalt.
Die Türkei bombardiert die Region, um gegen die PKK-nahen Kräfte vorzugehen, dabei sterben auch Zivilisten. Der Iran nutzte Shingal bis zum Fall des syrischen Diktators Assad als Nachschubroute, um Waffen nach Syrien und in den Libanon zu transportieren.
Viele Jesiden wollen nach Europa, weil sie keine Zukunft im Irak sehen
Es ist ein kompliziertes Geflecht unterschiedlicher Interessen, in dem die Zukunft der Jesiden unterzugehen droht. Deswegen wollen viele derjenigen, die noch immer als Flüchtlinge in der kurdischen Autonomieregion leben, nach Europa, konkret: nach Deutschland.
Im Norden des Gebirgszuges gibt es aber Dörfer und Städte, die vergleichsweise sicher sind. Dort haben sich wieder Zehntausende angesiedelt. Das kleine Dorf Gunde Ahsan liegt in direkter Nachbarschaft zu Sherfedin, dem zweitwichtigsten Wallfahrtsort der jesidischen Gemeinschaft. Eine jesidische Miliz hat dieses Heiligtum vor zehn Jahren gegen die anstürmenden IS-Terroristen verteidigt und es vor der Zerstörung bewahrt. Es ist ein Symbol für den Überlebenswillen der Jesidinnen und Jesiden.
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Gunde Ahsan ist in den vergangenen drei Jahren gewachsen. Mittlerweile leben etwa 500 Familien in dem Dorf. Sie haben ihre Häuser in Sichtweite des Berges errichtet, um sich schnell in Sicherheit bringen zu können, falls ihre Region erneut angegriffen wird. Vor zehn Jahren starben vor allem Menschen aus Dörfern, die weit entfernt vom Berg lagen.
Leiter der kleinen Schule des Dorfes ist der 51-jährige Hazem Kajo, ein gedrungener Mann mit freundlichen Augen. Die Schule ist ihm ein Herzensanliegen. Er stammt aus Borek, einer Kleinstadt ganz in der Nähe. Im August 2014 floh auch er mit seiner Familie, vier Jahre später kam er nach Deutschland. Noch bevor über seinen Asylantrag entschieden wurde, kehrte er wieder in die Heimat zurück. „Mir wurde in Deutschland klar, dass ich den Kindern in der Shingal-Region helfen muss“, sagt Kajo.
Schulleiter Kayo: Schon 72 Jugendliche haben einen Abschluss gemacht
Also begann er zu unterrichten, zusammen mit einigen Mitstreitern, jungen, engagierten Leuten. Erst in Zelten und einem Rohbau. Seit Oktober 2022 in dem Schulgebäude, das von der Caritas Flüchtlingshilfe in Essen errichtet wurde. „Für die Eltern ist es wichtig zu wissen, dass ihre Kinder eine Schule besuchen können, wenn sich für die Rückkehr entscheiden. Die Schule ist wie ein Leuchtturm.“
Mittlerweile haben schon 72 Jugendliche ihren Abschluss in der Schule von Gunde Ahsan gemacht. „Sie sind die Zukunft unserer
Gemeinschaft“, sagt der Schulleiter. Aber die Schule ist längst mehr als nur eine Bildungseinrichtung für die Kinder. Sie entwickelt sich zu einem Bildungszentrum für das Dorf. „Wir bieten nachmittags Kurse für Erwachsene an. Englisch, Nähen, Computer, Alphabetisierung“, erzählt Kayo.
Die Nachfrage sei groß, besonders bei Frauen. Für sie ist das Schulgebäude ein Ort, in dem sie aus ihrer Alltagsroutine ausbrechen
können. „Oft sind sie den ganzen Tag im Haus. Hier treffen sie andere Frauen, haben Abwechslung und können sich bilden. Das ist gut für ihre mentale Situation“, sagt Almas Shammo, eine der Kursleiterinnen.
Doch obwohl das Leben in Gunde Ahsan wieder erblüht, bleibt die Angst ein Begleiter im Alltag. „Die Menschen fürchten sich vor einem möglichen türkischen Einmarsch, die ständigen Bombardierungen beunruhigen sie“, erzählt Schulleiter Kayo. Ob jesidisches Leben in der Shingal-Region eine Zukunft hat, ist noch immer ungewiss.
>>> Die Caritas Flüchtlingshilfe Essen sammelt weiter für den Betrieb der Schule. Bank im Bistum Essen, DE45 3606 0295 0000 1026 28, Stichwort: Schule Irak.