Shingal. NRZ-Leserinnen und -Leser haben geholfen, eine Schule im Nordirak zu bauen. Dort gibt es jetzt auch Bildungsangebote für Erwachsene.
In der gleißenden Sonne strahlt das cremefarbene Schulgebäude in der staubigen, ockerfarbenen Landschaft. Es sticht heraus aus den grauen Häusern, die hier in den vergangenen zwei Jahren gebaut wurden und die ein Zeichen dafür sind, dass die Menschen die Hoffnung auf eine Zukunft noch nicht aufgegeben haben. Nesrin Dschalal und die anderen Frauen sitzen in einem der Klassenzimmer, hier ist es nur warm, nicht heiß. Draußen zeigt das Thermometer an diesem Juli-Morgen schon fast 40 Grad. Die kleine Schule ist für die Frauen ein Ort der Zuversicht, ein Ort, an dem sie aus der Öde ihres Alltags entfliehen können. Leserinnen und Leser der NRZ haben geholfen, dass diese Schule existiert.
Gunde Ahsan in der Shingal-Region im äußersten Nordwesten des Irak ist ein kleines Dorf, das rasch größer wird. Vor zwei Jahren lebten in der Gegend 50 Familien, jetzt sind es über 500. Die Menschen, die in Gunde Ahsan bauen, sind Jesiden, Angehörige einer religiösen Minderheit. Früher lebten in der Region fast eine halbe Million Jesiden.
Hunderttausende vertrieben, verschleppt, ermordet
Dann kam der fürchterliche Sommer 2014, in dem der sogenannte Islamische Staat die Region überrollt. Sie ermorden, verschleppen, vertreiben die Bevölkerung des Shingal. Eines der wichtigsten Heiligtümer der Jesiden können die Terroristen nicht zerstören. Der Tempel von Sherfedin wird von einer jesidischen Miliz verteidigt. Bis heute leben Hunderttausende Jesiden als Binnenflüchtlinge in der kurdischen Autonomieregion östlich ihrer alten Heimat.
Im Shingal streiten unterschiedliche Gruppierungen und Länder um Einfluss, die Sicherheitslage ist konstant angespannt. Es gibt aber Gebiete, in die einige Menschen zurückkehren. Die Gegend um den Tempel von Sherfedin gehört dazu. Hier hat die Caritas Flüchtlingshilfe Essen (CFE) im Dorf Gunde Ahsan eine Schule gebaut, die im vergangenen Jahr eingeweiht wurde. „Bildung ist der wichtigste Schlüssel für eine friedliche Zukunft“, sagt CFE-Vorstand Markus Kampling. „Damit bekämpfen wir Fluchtursachen.“
In dem kleinen Schulgebäude werden 75 Kinder der Klassen sieben bis neun unterrichtet. Die kleineren Kinder besuchen eine Grundschule in direkter Nachbarschaft, die eine japanische Hilfsorganisation errichtet hat.
Jetzt, im Juli, sitzen nicht die Kinder in den Schulbänken, sondern erwachsene Frauen. Zwischen Juni und September sind im Irak Sommerferien. Aber die Schule ist mehr als nur eine Bildungseinrichtung für die Kinder. Sie entwickelt sich zu einem Bildungszentrum für das Dorf. „Wir bieten seit dem Winter nachmittags Kurse für Erwachsene an. Englisch, Nähen, Computer, Alphabetisierung“, erzählt Schulleiter Hazem Kayo. Die Nachfrage sei groß, besonders bei Frauen.
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„Die Frauen wollen aus ihren Routinen ausbrechen“, sagt Almas Shammo. Die Mittzwanzigerin in Jeans, Hemd und mit zum Zopf gebundenen lackschwarzen Haaren, ist eine der Kursleiterinnen. Sie spricht Englisch. Der Alltag der Frauen in Gunde Ahsan sei für gewöhnlich trist und dröge. Aufstehen, Essen machen, Kinder versorgen, putzen, Essen machen, schlafen. „Oft sind sie den ganzen Tag im Haus. Hier treffen sie andere Frauen, haben Abwechslung und können sich bilden. Das ist gut für ihre mentale Situation.“
Die Erfahrungen der vergangenen Jahre waren insbesondere für die Frauen fürchterlich belastend. Tausende Jesidinnen wurden von den Terroristen des IS verschleppt und als Sklavinnen wie Vieh verkauft. Weit über 2000 gelten immer noch als vermisst. Die Angst, dass sich das Grauen wiederholt, sitzt tief bei den Frauen in Gunde Ahsan. „Wenn es wieder Krieg geben sollte, werde ich das Land verlassen“, sagt Nesrin Dschalal. Sie war 13, als die islamistischen Fanatiker sie und ihre Familie vertrieben.
Eine Chance, sich zu emanzipieren
Jetzt, mit 22, hofft sie auf eine bessere Zukunft. Dschalal hat einen Computerkurs absolviert. „Ich wusste vorher so gut wie nichts über Computer, jetzt kann ich mit ihnen umgehen.“ Sie denkt darüber nach, mit anderen Frauen einen Online-Shop zu eröffnen. Kleidung, die auf Bestellung genäht wird, dann aber abgeholt oder gebracht werden müsste.
Die jesidische Gesellschaft ist konservativ und männerdominiert. Die Kurse sind für die Frauen auch eine Möglichkeit, sich zu emanzipieren. Die Männer, betont Almas Shammo, stünden ihren Frauen aber nicht im Weg. In der Schule treten die Frauen selbstbewusst auf. „Wir sind froh über die Kurse, aber wir würden gerne noch mehr machen“, sagt eine. Die bisherigen Angebote reichen ihr nicht aus: „Ich will mehr Englisch lernen, damit ich meinen Kindern zu Hause Nachhilfe geben kann.“
Schulleiter Kayo hat mit seinen Kolleginnen und Kollegen einen langen Wunschzettel erarbeitet. Sie wollen einen Kurs für Online-Marketing anbieten, einen Erste-Hilfe-Kurs, die Englisch- und Computerkurse weiter ausbauen. Er träumt von einer Bücherei. „Wir würden auch gerne einen Garten für die Schule anlegen“, sagt er. Wer Bäume pflanzt, will bleiben. Kayo will mit der Schule auch ein Zeichen setzen. Es gibt Hoffnung im Shingal.