Essen. Erneut ist ein Jeside aus NRW abgeschoben worden, obwohl sich die Politik einig ist, dass die Minderheit gefährdet ist.

Zwei Stunden vor dem Flug ruft Arkan Hasso noch einmal bei seiner Familie in Remscheid an. Er hat Angst. Ob noch irgendetwas zu machen sei? Keine Chance. Um 10.30 Uhr hebt ein gechartertes Flugzeug nach Bagdad ab. Hasso fliegt in das Land zurück, in dem an der religiösen Minderheit, der er angehört, ein Völkermord begangen worden ist. Wieder einmal wird ein Jeside aus NRW abgeschoben. Die Umstände dieser Abschiebung stoßen auf Empörung.

Arkan Hasso, 21, kommt im Oktober 2021 mit seinem Bruder Rakan nach Deutschland. Seine Familie stammt aus Mossul, der Stadt im Nordirak, die im Sommer vor zehn Jahren von den Fanatikern des „Islamischen Staats“ (IS) überrannt wurde. Besonders brutal ging der IS gegen die Jesiden vor, die in den Augen der Terroristen Teufelsanbeter sind. Tausende Jesiden werden von den Islamisten ermordet. Hunderttausende müssen fliehen.

Schwester ist bereits deutsche Staatsbürgerin, sein Asylantrag wird abgelehnt

Der Rest der Familie Hasso ist schon länger in Deutschland. Ein Teil ist im Jahr 2007 geflohen, nachdem bei einem verheerenden Anschlag fast 800 Jesiden ermordet worden waren, ein anderer Teil flieht nach der Ausrufung des IS-Terrorkalifats im Jahr 2014. Hasso und sein Bruder bleiben zunächst, weil ihnen das Geld für die Flucht fehlt. Sein Vater hat einen britischen Pass, eine seiner Schwestern ist deutsche Staatsbürgerin, die Mutter und die anderen Geschwister haben einen Aufenthaltstitel. Der Asylantrag der beiden Brüder Arkan und Rakan wird abgelehnt.

Hasso arbeitet in Remscheid in der Reinigungsfirma eines seiner Brüder, bis ihm die Arbeitserlaubnis entzogen wird. Warum, wissen weder seine Familie noch Holger Geisler, Geschäftsführer bei „Ezidxan International Aid“, einer Organisation, die sich für Jesiden einsetzt. „Er wollte nicht perspektivlos dahinvegetieren, sondern etwas erreichen“, sagt Geisler.

In der Ausländerbehörde wartet die Polizei

Am vergangenen Donnerstag wird Arkan Hasso in die Remscheider Ausländerbehörde einbestellt. Es gehe um die Verlängerung seiner Duldung, heißt es. So berichten es die Familie und Geisler. Auf Hasso wartet allerdings die Polizei. Die Beamten nehmen ihn in Gewahrsam und bringen ihn in das Abschiebegefängnis in Büren. Von dort wird er am Mittwoch zum Flughafen in Düsseldorf gebracht und in den Irak ausgeflogen.

Das Vorgehen der Remscheider Ausländerbehörde ist kein Einzelfall. Im September vergangenen Jahres bestellte die Ausländerbehörde des Kreises Mettmann eine 63-jährige Jesidin zur Verlängerung ihrer Duldung ein, wo sie von Polizisten empfangen und später abgeschoben wurde. In Herford wird im vergangenen Jahr ein Jeside zur Verlängerung seiner Arbeitserlaubnis einbestellt, tatsächlich soll er abgeschoben werden. „Es ist eine gängige Praxis“, sagt Holger Geisler.

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Der SPD-Landtagsabgeordnete Serdar Yüksel hält das Vorgehen für skandalös. Er bezeichnet es als „arglistige Täuschung“. Dass deutsche Behörden amtliche Schreiben herausschickten, mit denen Ausländer unter Vortäuschung falscher Tatsachen einbestellt würden, um dann festgenommen und abgeschoben zu werden, sei eines demokratischen Staates „völlig unwürdig“, so der Vorsitzende des Petitionsausschusses des Landtags. Der Bürgermeister Remscheids, ebenfalls ein SPD-Politiker, äußerte sich auf NRZ-Anfrage nicht zu dem Fall. 

Auch Birgit Naujoks, Geschäftsführerin beim Flüchtlingsrat NRW, ist empört. „Das untergräbt das Vertrauen in die Verwaltung. Die Angst vor Behörden wird damit größer, als es sie ohnehin schon ist.“ Zudem widerspreche diese Praxis den Versprechungen im Koalitionsvertrag der schwarz-grünen Landesregierung. Darin heißt es: „Wir wollen eine rechtsstaatliche, faire und humanitär verantwortliche Rückkehr- und Abschiebepraxis gewährleisten.“

Augenfällig ist, dass viele der in den vergangenen Monaten aus NRW in den Irak Abgeschobenen Jesiden sind. Bis heute leidet die religiöse Minderheit unter den Folgen des IS-Terrors. Noch immer gelten verschleppte 3000 Frauen und Kinder als vermisst. Hunderttausende Jesiden leben noch immer als Binnenflüchtlinge in der Autonomen Region Kurdistan im Norden des Irak. Selbst in der vergleichsweise sicheren Kurdenregion bestehe „eine anhaltend erhöhte Gefahr von Terroranschlägen“, warnt das Auswärtige Amt.

Politik nahezu aller Parteien: Jesiden besonders schutzbedürftig

Das grün geführte Landesflüchtlingsministerium weist darauf hin, dass NRW im Dezember einen sofortigen Abschiebestopp in den Irak für jesidische Frauen und Kinder erlassen habe, der aber nicht über den 18. Juni habe verlängert werden können. Zuletzt habe man sich bei der Innenministerkonferenz im Juni für eine bundesweite gesetzliche Lösung eingesetzt. „Nordrhein-Westfalen steht damit weiter zu seiner humanitären Verantwortung, Menschen, denen in ihrer Heimat Tod und Verfolgung droht, Schutz zu gewähren“, so eine Sprecherin.

Arkan Hasso nützt das nichts. Er erhält keinen Schutz. Seine Schwester Berivan hat am Tag seiner Abschiebung Post vom Anwalt der Familie bekommen, der rechtliche Mittel gegen die Abschiebung eingelegt hat. Das Bundesamt für Migration (BAMF) schreibt darin, der Antrag des Anwalts werde bearbeitet. Zu diesem Zeitpunkt sitzt Arkan Hasso schon im Flugzeug. Zusammen mit 39 anderen Irakern aus verschiedenen Bundesländern. Wie viele Jesiden außer ihm an Bord waren, ist unklar.