Oberhausen/Düsseldorf. Ein Oberhausener hat seine Frau verloren. Er wirft Ärzten fahrlässige Behandlung vor, die zum Tod geführt habe. Ein Gutachter winkt ab.
Das Ehebett ist gemacht. Wie an jedem Tag. Kurt Melzer benutzt es seit bald drei Jahren nicht mehr. Seitdem er es nicht mehr mit seiner Frau teilen kann, schläft er auf der Couch. „Ich vermisse sie jeden Tag“, sagt der 92-Jährige mit Traurigkeit in der Stimme. Seine Ehefrau Renate starb ein paar Monate vor der Diamanthochzeit, einen Tag vor Kurt Melzers Geburtstag. Der Oberhausener sieht die Schuld bei den Ärzten, eine fahrlässige Behandlung habe ihren Tod verursacht, so meint er. Nachgewiesen werden konnte das bisher allerdings nicht.
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Renate Melzer hatte schon einiges verpackt in ihrem 79-jährigen Leben. 19 Chemobehandlungen habe sie gehabt, Mitte Dezember 2021 einen Stent gesetzt bekommen, im folgenden Januar sollte ihr eine neue Herzklappe eingesetzt werden, erzählt ihr Mann. Sie tue alles, um länger als Kurt zu leben, schrieb sie vor zwei Jahren in einem Weihnachtsbrief an ihren geliebten Gatten. Denn sie ahnte: Er werde mit der Einsamkeit nicht klarkommen.
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Ein Abschiedskuss blieb dem Paar verwehrt
Am 30. Januar 2022 war es so weit. Kurt Melzer fuhr seine Frau in die Klinik. Corona machte allen das Leben schwer, es herrschte Maskenpflicht im Krankenhaus. Eine Begleitung aufs Zimmer, ein Abschiedskuss, all das blieb dem Paar verwehrt.
Im Aufklärungsgespräch mit dem Arzt sei von einer möglichen Lebensgefahr nicht die Rede gewesen, das Operationsrisiko mit fünf Prozent angegeben worden, so sollte es Renate ihrem Mann später am Telefon erzählen. Sie willigte ein. Sie und ihr Mann hatten eine Vereinbarung, „alles Medizinische zuzulassen und gemeinsam zu altern“. Bei Lebensgefahr aber sollte die Zustimmung verweigert werden.
Am 2. Februar starb sie.
Für Kurt Melzer brach in Sekunden die Welt zusammen.
Bei der Operation habe es Probleme gegeben, das Herz sei verletzt worden, schildert Melzer heute. Der Witwer beauftragte die Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler bei der Ärztekammer Nordrhein mit einer Prüfung des Falles. Doch der externe Sachverständige habe kein Verschulden der Klinikmitarbeitenden erkennen können. Melzer stimmte das nicht milde, als „Persilschein“ bewertete er den Befund.
Witwer aus Oberhausen besucht das Grab jeden Tag
Die betreffende Klinik äußert sich auf Anfrage der NRZ aufgrund der ärztlichen Schweigepflicht nicht. Frau Melzer sei vor dem Eingriff ausführlich über die geplante Behandlung und mögliche Risiken aufgeklärt worden und habe selbst schriftlich ihr Einverständnis zur Durchführung des Eingriffs erklärt. „Leider ist es auch in den Zeiten der modernen Medizin so, dass jeder Eingriff ein gewisses Risiko in sich birgt, gerade wenn bei den Betroffenen Faktoren wie ein hohes Lebensalter und entsprechende Vorerkrankungen hinzukommen“, unterstreicht ein Sprecher der Klinik.
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Die Ärztinnen und Ärzte informierten die Patienten und ihre Betreuer dazu ausführlich. „Wir möchten betonen, dass wir den Tod von Frau Melzer außerordentlich bedauern und mit der Gutachterkommission umfassend kooperiert haben, um dem Wunsch von Herrn Melzer nach objektiver Aufklärung nach diesem persönlichen Schicksalsschlag gerecht zu werden“, teilt ein Kliniksprecher gegenüber unserer Redaktion mit.
Kurt Melzer überzeugt das alles nicht. Er hat Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Duisburg wegen fahrlässiger Körperverletzung mit Todesfolge gestellt. Der Antrag werde geprüft, bestätigt ein Sprecher der Staatsanwaltschaft.
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Wie auch immer die Geschichte weitergeht: Seine Frau bringt das nicht zurück. Jeden Tag besucht er Renates Grab auf dem Friedhof im Oberhausener Stadtteil Rothebusch, setzt sich auf eine Bank und bleibt eine Weile, bis er widerwillig in die leere Wohnung zurückkehrt.
Initiative Silbernetz will Einsamkeit lindern
Einsamkeit zu lindern, das hat sich unter anderem die Initiative Silbernetz zum Ziel gesetzt. Menschen können das „Silbertelefon“ anwählen, einfach reden. Der Bedarf ist da, in diesem Jahr gingen mehr als 185.000 Anrufe ein, etwa 20 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum, sagt Silbernetz-Sprecherin Amira Mahdi. Etwa zehn Prozent davon rufen zum ersten Mal an. Die meisten, rund 90 Prozent, wollen „einfach mal reden“, 60 Prozent der Anrufenden fühlen sich einsam.
Silbertelefon auch an den Feiertagen erreichbar
Auch an den Feiertagen ist das Silbertelefon zu erreichen. Von Heiligabend um 8 Uhr bis Neujahr um 22 Uhr sind die Telefonierenden unter 0800 4 70 80 90 rund um die Uhr erreichbar zum „einfach mal reden“. An den anderen Tagen im Jahr ist die Hotline jeweils von 8 bis 22 Uhr besetzt. Die Anrufe werden anonym und vertraulich behandelt und sind kostenfrei.
„ Trauer ist so normal wie absolut individuell und jeder Mensch geht anders damit um. Und sie kann lebenslang anhalten, was heißt, dass man eben nicht ‚darüber hinwegkommt‘. “
Wie aber kann man einsamen, trauernden Menschen Trost spenden? „Raten können wir nichts – Trauer ist so normal wie absolut individuell und jeder Mensch geht anders damit um. Und sie kann lebenslang anhalten, was heißt, dass man eben nicht ‚darüber hinwegkommt‘. Vielleicht rückt sie ein wenig in den Hintergrund, wenn man das zulassen möchte. Die Lücke bleibt“, so Amira Mahdi.
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Kurt Melzer hat versucht, die Trauer in den Griff zu bekommen, hat ein Trauercafé in Oberhausen besucht. Es war nichts für ihn, Kaffee trinken, lachen, zu wenig trauern. In seiner Wohnung ist seine Frau noch allgegenwärtig. An den Wänden hängen großformatige Fotos, eingerahmt und mit Lichterketten angestrahlt, auf den Regalen sind Erinnerungen in 3D-Fotokristallen eingeschlossen. Es ist die Wohnung eines Mannes, der den Tod seiner Frau bis heute nicht überwunden hat: „Die Sehnsucht und die Einsamkeit zerstören mich.“