Essen. Im NRZ-Interview spricht NRW-Bildungsministerin Dorothee Feller (CDU) über die Personalnot an Schulen und wie die Digitalisierung voran kommt.

Seit rund zweieinhalb Jahren hat NRW-Schulministerin Dorothee Feller (CDU) mit den beiden wohl größten Herausforderungen der Bildungspolitik zu kämpfen: Es herrscht ein großer Lehrermangel und die Digitalisierung der Schulen will nicht so recht voran kommen. Im NRZ-Interview erklärt die Unionspolitikerin, wie sie in den nächsten Jahren die Personallücke schließen will und welche Rolle Künstliche Intelligenz (KI) bei der Bildung spielen wird.

Wie sieht der Weg bei der Bekämpfung des Lehrkräftemangels aus?

Wichtig ist zunächst, verlässliche Zahlen zu haben. Wir haben daher im vergangenen Jahr eine aktuelle Lehrkräftebedarfsprognose erstellt. Die letzte davor war von 2018. Nach derzeitigem Stand wird sich die Schere zwischen den benötigten und verfügbaren Lehrkräften Anfang des kommenden Jahrzehnts beginnen zu schließen. Zunächst in der Grundschule und später dann auch in anderen Schulformen. Daran können Sie erkennen, dass wir noch ein Stück Weg vor uns haben. Den Lehrkräftemangel zu beheben, ist in dieser Zeit nicht einfach, weil wir insgesamt einen Fachkräftemangel haben. Das ist auch eine gute Nachricht für unsere Abiturientinnen und Abiturienten, denn diese haben voraussichtlich sehr gute Einstellungsaussichten.

Hinzu kommt: Ein junger Mensch, der sich heute dafür entscheidet, Lehrer zu werden, braucht sieben Jahre, bis er fertig ausgebildet ist. Wir benötigen also nicht nur langfristig, sondern auch kurz- und mittelfristig wirkende Maßnahmen gegen den Lehrkräftemangel. Denn wir haben jetzt die Kinder in der Schule und wir haben jetzt einen Lehrermangel. Deswegen haben wir im Dezember 2022 unser Handlungskonzept Unterrichtsversorgung mit mittlerweile 34 verschiedenen Maßnahmen vorgelegt. Dazu gehört, dass wir zum Beispiel die Anzahl der Studienplätze um 465 erhöht haben – das wirkt langfristig. Gleichzeitig haben wir den Seiteneinstieg für alle Schulformen erweitert – das zahlt sich mittelfristig aus.

Ist der Lehrkräftemangel überall gleich groß?

Der Lehrkräftemangel ist je nach Schulform, Fach und Region unterschiedlich ausgeprägt. Wir haben einen großen Mangel an den Grundschulen, in der sonderpädagogischen Förderung und in der Sekundarstufe I. Bei der Sekundarstufe II und in den Berufsschulen kommt es sehr auf die Fächerkombination an.

Wir haben Regionen, die ganz passabel ausgestattet sind. Dazu gehört zum Beispiel Ostwestfalen-Lippe. Wir haben aber auch Regionen mit einem großen Mangel, wie das Ruhrgebiet, das Hochsauerland, das Siegerland, das Aachener Land oder auch das Bergische Land.

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Bemerkenswert finde ich, dass wir die jungen Menschen heute auch nicht mehr nur mit Geld locken können. Eine Maßnahme, die schon die Vorgängerregierung ergriffen hatte, sieht vor, dass eine Zulage von 350 Euro pro Monat gezahlt wird, wenn sich jemand zum Beispiel im Ruhrgebiet an einer Schule einstellen lässt. Aber diese Maßnahme zieht nicht.

Als Schulministerin bin ich für alle Schulen im Land verantwortlich. Deswegen brauchen wir auch kurzfristig wirkende Maßnahmen. Das ist unter anderem das Thema Abordnung. Wir ordnen Lehrkräfte von Schulen, die ganz passabel ausgestattet sind, an Schulen ab, die einen großen Mangel haben – das geht für maximal zwei Jahre. Ich weiß, dass das umstritten ist. Aber an den aufnehmenden Schulen, blicken die neuen Lehrer in glückliche Gesichter. Es ist also eine Medaille mit zwei Seiten. Allein die Grundschulen in Gelsenkirchen konnten mit dieser Maßnahme dreiviertel ihrer zum Teil seit Jahren offenen Stellen besetzen.

Können Sie eine Prognose abgeben zu den Lehrkräften, die durch die Maßnahmen eingestellt werden können?

Seitdem wir das Handlungskonzept vorgelegt haben, ist es uns gelungen, bis zum Sommer dieses Jahres 7100 Menschen mehr für unsere Schulen zu gewinnen. Die meisten sind Lehrkräfte, es sind aber auch Sozialarbeiter und Alltagshelfer dabei. Das ist ein echter Erfolg. Angesichts des gegenwärtigen Fachkräftemangels erwarte ich für die Zukunft keine Riesensprünge. Es bleibt ein langer Weg. Jedoch sehen wir, dass unsere Maßnahmen wirken und wir Schritt für Schritt vorankommen. Alles, was wir im Bereich Schule machen, braucht einfach Zeit. Ich bin auch ungeduldig, jedoch wir müssen anerkennen, dass Veränderungen nicht von heute auf morgen möglich sind. 

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Wie gehen Sie mit KI um?

Natürlich verändern sich mit der Gesellschaft auch die Inhalte, die an Schulen gelehrt werden müssen. Medienkompetenz zu vermitteln ist da eine große Herausforderung. Bei der Künstlichen Intelligenz waren wir in NRW die ersten, die eine Handlungsleitlinie zum Umgang mit KI an Schulen herausgegeben haben, nachdem vor knapp zwei Jahren „Chat GPT“ das Licht der Welt erblickte. Unsere Leitlinie hat sogar bis in die USA positive Beachtung gefunden. Wir haben mit der Uni Siegen auch ein Projekt aufgelegt, in dem Schüler daran arbeiten, wie KI im Deutsch- und Mathematikunterricht pädagogisch vorteilhaft eingesetzt werden kann. KI wird eine Rolle spielen, wir dürfen sie nicht verteufeln. Denn wir bereiten unsere Schüler auf die Welt von morgen und übermorgen vor. Und die Arbeitswelt wird ohne KI nicht auskommen. Deswegen müssen sie darin fit sein.

Klar ist aber ebenso, dass Schüler die Basiskompetenzen Lesen, Schreiben, Rechnen beherrschen müssen. Natürlich ist auch der musische Bereich wichtig und der Sport. All das verschwindet ja nicht durch KI. Aber wir müssen uns damit auseinandersetzen, wie KI gut im Unterricht eingesetzt werden kann. Und wie KI auf längere Sicht gesehen, Lehrkräfte auch entlasten kann. KI soll unterstützen, aber sie ersetzt nicht die Lehrkraft.

Kann KI eine Unterstützung beim Unterricht von Flüchtlingskindern sein?

Wir haben digitale Tools, die wir auch speziell zum Lernen der Sprache einsetzen. Im vergangenen Jahr haben wir in der Grundschule eine neue verpflichtende Lesezeit von dreimal 20 Minuten eingeführt. Sie gilt für alle Kinder gleichermaßen. Alle müssen Lesen, Schreiben und selbstverständlich auch Rechnen lernen. In der schulischen Erstförderung, in der es zunächst nur um den Spracherwerb geht, lernen derzeit etwa 98.000 neu zugewanderte Kinder an unseren Schulen. Das ist eine große Herausforderung. Vor allem auch deshalb, weil darunter auch viele Kinder sind, die zunächst alphabetisiert werden müssen, etwa weil sie in ihrer Heimat keine Schule besucht haben oder das lateinische Alphabet nicht kennen. Wie viele Kinder und auch Jugendliche das genau betrifft, das erheben wir zurzeit. Zu Beginn dieses Schuljahres haben wir unseren Schulen einen neuen Praxisleitfaden zur Alphabetisierung an die Hand gegeben und ein neues Schulnetzwerk gegründet, damit die Schulen voneinander lernen können. 

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Wie werden denn die Lehrkräfte auf KI vorbereitet?

Mit Fortbildungen, die wir künftig noch verbindlicher und systematisch gestalten wollen. Die Schulen in NRW sollen künftig jedes Jahr eine Fortbildungsplanung für ihr Kollegium erstellen. Damit wollen wir sicherstellen, dass unsere Lehrer ihr Wissen und ihre Kompetenzen – auch im Bereich KI – kontinuierlich ausbauen. Im Übrigen beobachte ich, dass die jungen Lehrkräfte, die frisch ins System kommen, da vielfach schon fit sind. So hat auch die aktuelle ICILS-Studie gezeigt, dass heute deutlich mehr Lehrkräfte digitale Medien im Unterricht einsetzen. Zudem wird KI auch dazu führen, dass Lehrer entlastet werden und sich damit mehr Zeit für die Schüler nehmen können.

Aber haben die Schulen genug Zeit? Es gibt ja auch Digitalisierungsbeauftragte an Schulen, die pro Woche für eine Schulstunde, also 45 Minuten, dafür abgestellt sind, die Digitalisierung an ihrer Schule voranzubringen. Reicht das?

Da höre ich unterschiedliche Rückmeldungen aus den Schulen. Es gibt manche, die gut klarkommen und andere, die mehr Zeit benötigen. Am Thema Digitalisierung sind wir aber weiter dran. Klar ist, wenn wir Lehrer für andere Tätigkeiten freistellen, fehlt diese Zeit für den Unterricht. Da muss man immer genau abwägen. Was viele Schulen aber zu Recht kritisieren ist, dass sie den IT-Support übernehmen. Dafür sind sie aber nicht da und deshalb bleibt es so wichtig, dass trotz des Ampel-Aus weiter intensiv an einem Digitalpakt 2.0 gearbeitet wird und dieser so schnell wie möglich kommt, sobald es eine neue Bundesregierung gibt. Möglich ist aber schon jetzt, dass sich mehrere Schulen in Kreisen oder kreisfreien Städten einen IT-Administrator teilen können.

Lassen Sie die Finger von größeren Reformen oder meinen Sie, dass man da zum Beispiel bei der Inklusion dran müsste?

Wir führen in dieser Legislaturperiode keine Schulformdebatte. Wir haben doch wirklich genug Herausforderungen vom Lehrermangel bis zu den Basiskompetenzen. Mit einer Strukturdebatte würden wir nur für Unruhe sorgen. Denn natürlich würde sich dann jeder fragen, wo wird bald meine Arbeitsstelle sein und welcher Schulform bin ich zugeordnet. Das wäre meiner Meinung nach der völlig falsche Ansatz.

Was wir stattdessen machen müssen, ist das Schulsystem von innen heraus zu reformieren. Wir arbeiten an konkreten Verbesserungen, die sich im Schulalltag bemerkbar machen, zum Beispiel mit dem neuen Startchancenprogramm.

Was die Inklusion angeht, haben wir uns im Koalitionsvertrag darauf geeinigt, dass wir beides brauchen: das Gemeinsame Lernen und die Förderschulen. Und beide Lernorte wollen wir stärken, zum Beispiel mit 240 neuen Studienplätzen für die Sonderpädagogik. Für mich ist der Elternwille entscheidend. Eltern sollen eine gute Wahl haben zwischen dem Gemeinsamen Lernen und einer Förderschule.