Krefeld. Burcu Göker hat in der Türkei als Mathelehrerin gearbeitet. Seit fünf Jahren lebt sie in Krefeld. Wie sie es ins deutsche Schulsystem schaffte.

Es ist ruhig an diesem Vormittag auf den Gängen der Freiherr-vom-Stein-Schule in Krefeld. Ein junges Mädchen wartet mit Tornister auf dem Rücken alleine vor dem Sekretariat. „Frau Göker ist da drüben im Lehrerzimmer“, sagt die Schülerin zur Reporterin und zeigt auf die junge Frau mit beigem Kopftuch und dunklem Pullover, die mit Tablet und aufgeschlagenem Mathebuch an einem großen Tisch sitzt. Unterrichtsvorbereitung.

Etwa fünf Jahre ist es her, dass die Türkin Burcu Göker mit ihrem Mann und den zwei gemeinsamen Söhnen nach Deutschland kam. „Für ein besseres Leben“, sagt die 35-Jährige und wirkt dabei etwas aufgeregt. Auf drei Din-A4-Seiten hat sich die Wahl-Krefelderin für das Gespräch an diesem Tag Notizen gemacht. „Damit ich auch nichts vergesse.“ Dann fängt sie an zu erzählen: 1989 geboren, später studierte sie Mathe und Betriebswirtschaft. „Danach habe ich an Schulen Mathematik gelehrt.“

„Mir war klar, dass ich gute Sprachkenntnisse brauche, wenn ich wieder als Lehrerin arbeiten will“

Das wollte sie weiterhin tun, als sie in Krefeld ankam. Doch einfach war das nicht: „Mir war klar, dass ich gute Sprachkenntnisse brauche, wenn ich wieder als Lehrerin arbeiten will.“ Also besuchte sie Deutschkurse, ging in Sprachcafés – und traf sich mit pensionierten Lehrern. „Dann habe ich von einem Freund von dem ‚Lehrkräfte Plus‘-Programm erfahren und habe mich direkt beworben.“ Im April 2023 begann der neue Lebensabschnitt an der Uni Duisburg-Essen: Fachseminare, Unterrichtspraktikum, alles zur Vorbereitung auf das deutsche Schulsystem. Im Mai dieses Jahres – nach einem Jahr – bekam sie ihr Zertifikat.

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Damit ist Göker eine von mehr als 400 „Lehrkräfte Plus“-Absolventinnen und -Absolventen in NRW. Bereits seit 2017 wird das vom Düsseldorfer Schulministerium initiierte Programm für zugewanderte Lehrerinnen und Lehrer angeboten. Erst an den Universitäten in Bielefeld und Bochum, mittlerweile auch an den Unis in Köln, Siegen und eben Duisburg-Essen.

Seit August absolviert Burcu Göker nun das ILF-Programm. Danach könnte sie dauerhaft im Schuldienst in NRW tätig werden.
Seit August absolviert Burcu Göker nun das ILF-Programm. Danach könnte sie dauerhaft im Schuldienst in NRW tätig werden. © FUNKE Foto Services | Bernd Thissen

Lehrkräfte Plus in NRW: „Programm wie ein Elternteil und wir wie Kleinkinder, die gerade Laufen lernen“

„Das Programm ist wie ein Elternteil und wir wie die Kleinkinder, die gerade Laufen lernen“, erklärt Göker. „Wir werden auf die Arbeit an den deutschen Schulen vorbereitet. Mir hat das Programm Mut und Hoffnung gegeben“, so die 35-Jährige. Ein anderer Beruf kommt nicht infrage. „Auch wenn mein Mann, der in der Türkei auch Lehrer war, oft gesagt hat, dass es in anderen Branchen einfacher ist, möchte ich auch hier wieder als Lehrerin arbeiten. Ich liebe meinen Beruf“, stellt sie klar.

„Lehrkräfte Plus“ an der Uni Duisburg-Essen: Bewerbungen bis 8. November

Nur etwa 20 Prozent der nach Deutschland migrierten Lehrkräfte mit ausländischen Abschlüssen erhalten in Deutschland eine volle Lehramtsbefähigung. Zu diesem Ergebnis kam die von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Auftrag gegebene Studie „Verschenkte Chancen?!“ aus dem Jahr 2021.

Mit der Förderung des „Lehrkräfte Plus“-Programms an Universitäten in Nordrhein-Westfalen wollen Schulministerium und Ministerium für Kultur und Wissenschaft nicht nur Fachkräfte gewinnen und dem Lehrermangel entgegenwirken. Ziele des Programms seien außerdem, die Berufsperspektiven von Zugewanderten „entsprechend ihrer Qualifikationen“ zu verbessern und das Ungleichgewicht in der kulturellen Vielfalt zwischen Lehrer- und Schülerschaft abzubauen, heißt es in der gemeinsamen Antwort auf Nachfrage unserer Redaktion.

Noch bis zum 8. November 2024 können sich internationale Lehrkräfte aus Nicht-EU-Ländern für das „Lehrkräfte Plus“-Programm der Universität Duisburg-Essen bewerben. Am 1. April 2025 startet dann der nächste Jahrgang. Um teilnehmen zu können, ist ein Hochschulabschluss aus dem Herkunftsland, der für den Lehrerberuf qualifiziert, Voraussetzung. Außerdem müssen Teilnehmende eines der folgenden Fächer studiert haben: Chemie, Physik, Mathematik, Informatik, Bautechnik, Technik oder Kunst. Die Mindestvoraussetzung ist ein vierjähriger Bachelor in einem der Fächer.

Teilnehmende müssen zuvor in ihrem Herkunftsland mindestens zwei Jahre als Lehrkraft an einer Schule über der Primarstufe gearbeitet haben und mindestens über ein B2-Zertifikat oder eine Teilnahmebescheinigung über den Besuch eines B2-Deutschkurses verfügen. Unentbehrlich ist auch eine Aufenthaltsgenehmigung für den Zeitraum der Qualifikation.

Weitere Infos gibt es unter: uni-due.de/lehrkraefteplus

Seit August nimmt sie nun an dem anschließenden ILF-Programm („Internationale Lehrkräfte Fördern“) teil. „Das geht zwei Jahre lang. Sprachkenntnisse werden weiter vertieft und ich habe weitere Seminare zu Fachdidaktik und Methodik.“ Und auch unterrichten darf die 35-Jährige wieder. „Neun Stunden, also je 60 Minuten in der Woche unterrichte ich, fünf Stunden pro Woche finden Seminare statt. Man wird langsam an das System herangeführt.“

Neu an deutscher Schule: Sprachbarriere oftmals noch eine Hürde

Ihren Unterricht gestaltet Göker mittlerweile alleine, doch während der Mathestunden sitzen auch ihre Mentorinnen und Mentoren im Raum. „Das sind Lehrer dieser Schule, die mich unterstützen und mir Sicherheit geben.“ Und die brauche es auch noch, stellt Göker klar. „Der deutsche Unterricht unterscheidet sich sehr vom türkischen. In Deutschland sollen die Schüler selbstständiger arbeiten und Verantwortung übernehmen, in der Türkei wird vor allem Frontalunterricht gemacht. Da passe ich meinen Unterricht natürlich an.“

Und auch, wenn die junge Frau mittlerweile gutes Deutsch spricht, sei die Sprachbarriere oftmals noch eine Hürde im Schulalltag. „Ich muss mit den Schülern, Eltern und Kollegen sprechen können, schriftliche Arbeiten korrigieren und den Unterricht vorbereiten können. Anderen Lehrern, die Deutsch als Muttersprache haben, fällt das wahrscheinlich leichter. Ich brauche mehr Zeit dafür.“ Vier Tage die Woche ist Göker in der Schule, neben den Unterrichtszeiten und Seminaren verbringe sie zusätzlich jeden Tag mindestens ein bis zwei Stunden am Schreibtisch, um den Unterricht vor- und nachzubereiten.

Nach Abschluss des ILF-Programm kann Göker dauerhaft im Schuldienst tätig werden

„Deutsch ist nicht meine Muttersprache und das erkläre ich auch jedes Mal, wenn ich eine neue Klasse kennenlerne.“ Auf Unverständnis sei sie noch nicht gestoßen. Ganz im Gegenteil. „Ich glaube, dass ich vielen Schülerinnen und Schülern sogar Mut und Selbstbewusstsein geben kann, wenn sie selber gerade neu in Deutschland sind“, erklärt sie und erinnert sich lädchelnd an ihren ersten Schultag in Krefeld: „Als ich mich vorgestellt habe, war eine Schülerin, die neu aus der Ukraine kam, ganz neugierig und wollte direkt wissen, wie ich so gut Deutsch gelernt habe und hat um Tipps gebeten. Dafür hat sich das Ganze schon gelohnt.“

Einen Blick in die Zukunft möchte Göker nur vorsichtig wagen. Wenn sie in zwei Jahren das ILF-Programm beendet hat, hätte sie die Möglichkeit, dauerhaft im Schuldienst in Nordrhein-Westfalen tätig zu werden. „Ich könnte mir irgendwann auch vorstellen, eine eigene Klasse zu übernehmen. Aber das hat noch Zeit. Gerade freue ich mich darüber und bin sehr dankbar dafür, dass mich so viele Menschen hier in der Schule unterstützen.“