Geldern. Nicole Füngerlings ist Sterbeamme für Kinder und Jugendliche. Welcher Fall sie besonders berührt hat und worum es in ihrem neuen Buch geht.
Was passiert nach dem Tod mit dem Körper eines Menschen? Wie funktioniert eine Einäscherung? Und wie sicher ist es, dass tatsächlich nur die Asche des Opas – und nicht etwa die von Herrn Müller oder Frau Schmidt – in die Urne kommt? Ja, Kinder haben so viele Fragen, das weiß Nicole Füngerlings durch ihre Arbeit als Sterbeamme nur allzu gut. Und welche Antworten ihnen die Erwachsenen manchmal geben... Nunja, das führt sie lieber nicht weiter aus, „gleichzeitig ist es ja auch verständlich, weil die Eltern vielleicht selbst gerade in Trauer sind.“ Um ihnen eine kleine Unterstützung bieten zu können, hat sie gemeinsam mit dem Fotografen Dr. Martin Kreuels ein neues Buch herausgebracht: „Vom Sarg in die Urne“ beantwortet all die Fragen, die übrigens nicht nur gerade ein 5-jähriges Kind, sondern vielleicht auch schon immer die 87-jährige Oma gehabt hat.
Denn es ist doch so, sagt die Geldernerin, „das Thema Tod ist immer noch ein Tabu, das erst in dem Moment eingepflanzt wird, in dem die Eltern es zu einem machen“. Das erlebt sie immer wieder, wenn sie mit Familien zusammenarbeitet. Doch bevor sie den Gedanken weiter ausführt, sollte sie zunächst etwas anderes näher erklären: Was ist eigentlich eine Sterbeamme? Nicole Füngerlings nickt. Die Frage hört sie oft. „Ich sage dann gern, dass es das Gegenstück zur Hebamme ist.“ Statt in der ersten Phase des Lebens zu unterstützen, von der Schwangerschaft bis zur Geburt, ist sie im letzten Abschnitt des Lebens dabei, von der Diagnose bis zum Tod. „Dabei muss nicht zwingend klar sein, dass die Person auch sterben wird“, erklärt sie. Manchmal gehe es auch schon um Fragen wie: „Was sollen wir den Kindern sagen? Inwieweit involvieren wir sie in den Prozess?“
Sterbeamme aus Geldern: „Ich habe selbst viele Verluste erlebt“
Nicole Füngerlings begleitet die Angehörigen, aber auch die Sterbenden – und das seit mittlerweile zwölf Jahren. Dabei hatte sie nie geplant, Sterbeamme zu werden. „Ich habe selbst viele Verluste erlebt und hatte viele Fragen“, erzählt sie. „Deshalb wollte ich die Weiterbildung machen, allerdings nur für mich.“ Nach dem dritten Block aber war für sie klar: „Ich möchte das auch hauptberuflich machen!“ Denn als gelernte Erzieherin und Heilpädagogin hat sie besonders die Kinder und Jugendlichen im Blick. „Und für sie gab es zu dem Zeitpunkt gerade in ländlichen Gegenden wenige Angebote.“ Also kündigte sie ihren Job im Kindergarten, organisierte Kooperationen mit Familienzentren und Jugendämtern... und dann, nach gerade einmal einer Woche, erhielt sie den ersten Anruf.
Daran kann sich Nicole Füngerlings noch genau erinnern. Es war ein Freitagabend, „der Tod hält sich nicht an 8 bis 16 Uhr“, und der Fall lautete in etwa so: „Der Vater befand sich aufgrund einer psychischen Erkrankung stationär im Krankenhaus und die Mutter war ganz plötzlich verstorben.“ Auf dem Weg zu den Kindern hatte sie Herzklopfen, das muss sie zugeben, und „30.000 Ideen im Kopf“, wie sie sagt. „Aber dann sind es doch die kleinen Dinge, die wichtig sind.“ Zum Beispiel? „Ich habe in drei Wochen Geburtstag. Wer feiert denn dann mit mir?“ Und ja, ein Außenstehender könnte sich nun schon wundern, dass es doch gerade wirklich Wichtigeres als einen Geburtstag gibt. Die Sterbeamme dagegen hörte dem Kind zu, nahm seine Sorgen ernst und versuchte eine Lösung zu finden. „Wer ist denn noch da, mit dem du feiern könntest?“
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Ein Fall, der Nicole Füngerlings besonders berührt hat
Oder, Nicole Füngerlings erinnert sich an einen anderen Fall, in dem sich die Mutter suizidiert hat und das Kind besonders eine Sache beschäftigt hat: „Wer bucht denn jetzt unseren Urlaub?“ Das hatte schließlich immer die Mutter organisiert! „Und das Kind wusste nicht, dass es Reisebüros gibt“, erzählt sie. In solchen Momenten darf auch mal gelacht werden, denn, das betont sie, „es ist ganz wichtig, nicht den Humor zu verlieren.“ Aber klar, dann gibt es auch wieder Situationen, in denen sie selbst schlucken muss. Beispielsweise als sie eine Sterbende begleitet hat, die genauso alt war wie sie selbst, die auch drei Kinder hatte und ebenfalls Erzieherin war... Was in solchen Momenten hilft? „Die Füße auf den Boden stellen, ein Schluck Wasser trinken und tief durchatmen“, antwortet sie. „Außerdem habe ich regelmäßig Supervisionen.“
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Wie viele Familien Nicole Füngerlings in einer Woche besucht, kann sie nicht sagen. Aber es sind viele. Und immer wieder stößt sie dabei auf eine Frage: Was passiert nach dem Tod? Für die Antwort nutzt sie das Bild eines leeren Schneckenhauses. „Da fragt man sich ja auch, wo der oder die hin ist, die mal drin gewohnt hat.“ So wie die Schnecke ihr Haus, lässt auch der Mensch seinen „Mantel“, wie sie es beschreibt, nach dem Tod zurück. Und was damit passiert, hat sie bereits in ihrem ersten Buch „Tot und jetzt?“ beleuchtet. Sieben Jahre später geht sie in ihrem zweiten Buch auf den Prozess „Vom Sarg in die Urne“ ein. Fotos zeigen, wie es in einem Krematorium aussieht, Texte erklären, wie das Einäschern funktioniert. Aber müssen Kinder das wirklich so genau wissen? Kann dadurch nicht ein Trauma entstehen?
Wieso das Buch „Vom Sarg in die Urne“ nicht nur für Kinder interessant ist
„Vom Sarg in die Urne“
Das Buch „Vom Sarg in die Urne“ ist als Taschenbuch im Selbstverlag erschienen, hat 68 Seiten und kostet 16,90 Euro.
Dr. Martin Kreuels, geboren 1969 in Kevelaer, hat die Fotos in einem Krematorium gemacht. Nicole Füngerlings, geboren 1975 und wohnhaft in Walbeck, hat die Texte zu den Bildern geschrieben.
Im Vorwort erklärt die Autorin: „Die Texte sind für Sie als Erwachsenen verfasst mit der Bitte, es mit Ihren eigenen Worten den Kindern zu erklären.“ Zudem sollten Erwachsene das Buch vorab alleine ansehen, damit sie wissen, was sie erwartet.
Weitere Infos zu Nicole Füngerlings: www.sterbeamme-geldern.de
Nicole Füngerlings schüttelt den Kopf. „Wenn man etwas erklären kann, nimmt das einem die Angst“, sagt sie. Sonst spielt die eigene Fantasie verrückt, die sich dann auch gleich die schlimmsten Dinge ausmalt. Dabei ist es manchmal so einfach, eine Sorge zu nehmen: Damit beispielsweise nur die Asche des Opas und eben nicht die von Herrn Müller oder Frau Schmidt in der Urne landet, bekommt jeder Verstorbene einen hitzebeständigen Stein mit einer individuellen Nummer in den Sarg gelegt. Ja, wer durch das Buch blättert, kann auch als Erwachsener noch so einiges lernen...