An Rhein und Ruhr. Synthetisches Opioid ist 50 Mal stärker als Heroin. Gegenmittel soll künftig öffentlich zugänglich gemacht werden, fordern Streetworker.
Der junge Mann begrüßt Streetworkerin Anna von Itter freundlich. Er fragt sie nach ein paar Feuchttüchern und lässt sich sauberes Spritzbesteck geben. Er steht am Worringer Platz, dem berüchtigten Drogen-Hotspot im Düsseldorfer Bahnhofsviertel, den Konsum harter Drogen sieht man ihm, wie vielen anderen hier, an. Noch werden in der Szene vor allem Heroin und Crack konsumiert. Doch durch eine Gesetzesänderung in Afghanistan befürchtet die Düsseldorfer Drogenhilfe, dass mehr synthetische Drogen nach Deutschland gelangen.
Vernichtung der Anbauflächen in Afghanistan wirkt sich auf Drogenszene in NRW aus
Eine solche synthetische Droge ist Fentanyl. Es ist etwa 50-mal stärker als Heroin und berüchtigt als „Zombie-Droge“. Bei einer Untersuchung im Konsumraum der Drogenhilfe habe man den künstlichen Stoff zwar noch nicht in größeren Mengen nachweisen können, erklärt Michael Harbaum, Leiter der Düsseldorfer Einrichtung. „Aber wir gehen davon aus, dass es sich ausbreiten wird.“ Er fordert daher, dass ein wirksames Gegenmittel öffentlich zugänglich gemacht wird.
Grund für seine Befürchtung ist das Verbot des Opium-Anbaus der Taliban in Afghanistan aus dem Jahr 2022. Das Land war einst einer der Hauptproduzenten natürlichen Opiums, aus dem unter anderem Heroin hergestellt wird. „Sie haben rund 90 Prozent der Anbauflächen vernichtet und wir nehmen an, dass den Heroinproduzenten in etwa einem Jahr die Lager leerlaufen“, sagt Harbaum – und warnt: Dann werden Streckmittel wie Fentanyl zum Einsatz kommen.
Drogenhilfe Düsseldorf
Die Düsseldorfer Drogenhilfe bietet für Konsumenten mehrere Hilfsangebote. In dem Gebäude an der Erkrather Straße, nahe des Worringer Platz, gibt es ein Café, in dem die Menschen Essen und Getränke bekommen. Im Konsumraum gibt es 19 Plätze, an denen Drogen in einer sauberen Umgebung konsumiert werden können.
Zudem ist in dem Gebäude eine Notschlafstelle mit 22 Plätzen untergebracht, es gibt ein Zimmer zur Versorgung von Wunden und die Sozialarbeiter nehmen sich Zeit, um den Menschen bei Behördenangelegenheiten zu helfen. Mehrmals in der Woche sind Streetworker in der Gegend um den Hauptbahnhof unterwegs und verteilen Hygieneartikel, Verbandszeug und sauberes Spritzbesteck.
Drogenhilfe fordert: Gegenmittel öffentlich zugänglich machen
Davon jedoch reiche „die kleinste Menge, um eine Überdosis auszulösen“, sagt Harbaum und fordert die Politik dazu auf, jetzt schon Maßnahmen zu ergreifen. „Wir haben das Glück, dass wir vor der Welle sind. Man könnte – wenn man zügig handelt – sehr viele Menschen darüber aufklären.“ Bei der Drogenhilfe schule man bereits die Konsumenten in der Nutzung des Gegenmittels Naloxon, so Harbaum weiter. Dieses ist ein sogenannter Antagonist gegen Opioide, das deren Wirkung teilweise oder ganz aufheben kann.
„Naloxon wird als Nasenspray verabreicht“, erklärt Harbaum. „Es verdrängt Opioide vorübergehend von den Rezeptoren und hebt eine Überdosierung auf. Das ist ein Lebensretter. Denn bei einer Überdosis kommt es zu einem Atemstillstand.“ Er fordert, dass das Gegenmittel schneller verfügbar gemacht wird. Die geltende Verschreibungspflicht des Mittels müsse aufgehoben werden, meint der Einrichtungsleiter.
„Vor allem sollte es an öffentlichen Stellen, wie dem Hauptbahnhof, aufgehängt werden – wie ein Defibrillator. Naloxon hat kein Missbrauchspotenzial oder Nebenwirkungen. Wenn es jemand nimmt, der kein Heroin konsumiert, dann passiert gar nichts“, klärt Harbaum auf.
Suchthilfe in Duisburg sorgt sich vor allem um Ausbreitung von Crack
Naloxon sei bereits unter anderem im Konsumraum der Drogenhilfe, in jedem Rettungswagen und in Krankenhäusern vorrätig. „Aber die meisten Notfälle passieren nicht im Konsumraum oder im Beisein von Ärzten, sondern im privaten Raum“, betont Harbaum. „Da müssen die Leute die Möglichkeit haben, schnell innerhalb weniger Minuten zu reagieren. Denn länger hält ein Körper einen Atemstillstand nicht aus.“
Bei der Duisburger Suchthilfe beobachte man hingegen, dass die Lücke, die das Heroin nach und nach hinterlässt, vor allem durch Crack gefüllt werde, wie Timo Bartkowiak vom Suchthilfeverbund sagt. „Fentanyl ist bei unseren Klienten kaum bis gar kein Thema. Da sind wir sehr froh drüber. Die Menschen in der Szene sind darüber auch informiert und unser Eindruck ist, dass sie ganz bewusst die Finger davon lassen“, meint der Einrichtungsleiter der Fachstelle Suchtvorbeugung und Jugendsuchtberatung.
Hoffnung, dass Fentanyl nicht in großem Stil nach Deutschland kommt
Es sei jedoch nicht auszuschließen, dass sich das in Zukunft ändern werde. „Aber ich denke, dass diese Lücke eigentlich seit zwei Jahren von Crack gefüllt wird und dass das Heroin verdrängt wird. An bekannten Umschlagsplätzen gibt es auch immer weniger Heroin“, sagt Bartkowiak. „Ich bin daher vorsichtig optimistisch, dass uns zumindest diese nächste Welle mit Fentanyl erspart bleibt.“ Es sei aber denkbar, dass Schwerstabhängige es konsumieren würden. Mit den dazugehörigen Gefahren: „Fentanyl ist auch für erfahrene Konsumenten ganz schwer zu dosieren.“
Auch in Essen ist von Fentanyl noch nicht viel zu sehen, wie Frank Langer von der Suchthilfe Direkt Essen berichtet. „In Einzelfällen ist es in der offenen Drogenszene vorgekommen, dass Fentanyl-Pflaster ausgekocht worden und man sich das dann gespritzt hat“, erklärt er. „Aber an die Pflaster muss man ja erstmal kommen. Das ist daher eher ein kurioses Randphänomen geblieben.“ Man dürfe aber nicht die Augen vor dem Thema verschließen. „Denn man sieht, dass sich der Markt verändert und das muss man beobachten.“