Utrecht/Köln. Am 14./15. September feiern die Niederlande und Deutschland den „Tag der Schiene“. Anlass zu vergleichen: Mit welcher Bahn fährt es sich besser?
Über die Bahn geschimpft wird auf beiden Seiten der Grenze. Und doch hat man den Eindruck, dass vieles bei den Nederlandse Spoorwegen (kurz: NS) besser läuft. „Stimmt“, sagt auch Andreas Geißler, Leiter des Ressorts „Verkehrspolitik“ beim Lobbyverband „Allianz pro Schiene“.
Er sagt aber auch: In manchen Disziplinen liegt die viel gescholtene Bahn in Deutschland vorn. „Beim Güterverkehr hat es Deutschland geschafft, einen höheren Anteil auf die Schiene zu bringen.“ Hierzulande rollen 20 Prozent der Güter über die Schiene, im Nachbarland nur 6 Prozent. Fühlt sich am rechten Niederrhein anders an, weil die wichtigste Güterstrecke der Niederlande ihre Züge bei Emmerich über die Grenze schickt. Die Fortsetzung dieser „Betuwe-Lijn“ wird auf deutscher Seite mit knapp 25 Jahren Verspätung durch Dörfer und Städte von Elten bis Oberhausen gefräst. 1:0 für Deutschland.
In den Niederlanden wird deutlich mehr ins Netz investiert
Apropos Baustelle: Da liegen die Niederlande vorn. Pro Kopf und Jahr wurden 2022 in den Niederlanden 143 Euro investiert, in Deutschland 114 Euro. „Immerhin fast ein Drittel mehr. Und der Abstand war noch größer“, sagt Geißler. 2017 investierte das Nachbarland pro Kopf doppelt so viel in die Schiene. Ausgleich: 1:1.
Jetzt wird gebuddelt, im Bemühen, den Infrastrukturstau aufzuholen mit Blick auf den Deutschland-Takt. Der soll nach 2030 zwischen Metropolgebieten einen Halbstundentakt ermöglichen, samt verlässlicher Umstiege. „Integraler Taktfahrplan“ heißt das. Hat im Nachbarland Tradition seit 1970. „Die Bahn in den Niederlanden ist organisiert wie eine große Metro“, so Geißler. Auf wichtigen Linien kommt alle zehn Minuten ein Zug. Auch in Gelderland oder in Friesland gibt es mindestens Stundentakt. Eindeutige Führung für die Niederlande: 1:2!
Wer fahren will, braucht im Nachbarland die OV-Chipkaart. OV steht für „Öffentlicher Verkehr“. Abgebucht wird ein Grundpreis von einigen Euro plus irgendwas um die 13 Cent pro Kilometer. Das geht auch mit Kreditkarten aus dem Ausland, sagt Corina de Jongh, Geschäftsführerin von Railforum, dem NL-Pendant der Allianz pro Schiene. Das summiert sich schnell.
Günstiger als in Deutschland ist es nirgends
„Mit dem 49-Euro-Ticket hat Deutschland ein unschlagbar günstiges pauschales Ticketsystem“, sagt Geißler. Das Ein- und Auschecken entfällt. Ausgleich für Deutschland 2:2. Nachteil: Die Nachfrage lässt sich nicht steuern. Das versuchen die NS: auf rege genutzten Strecken wird zu bestimmten Zeiten der Kilometerpreis angehoben. „Aber die allermeisten Fahrgäste reisen ja nicht zum Vergnügen zur Hauptverkehrszeit, sondern weil sie müssen“, sagt Corina de Jongh. Umkämpfter Ball - aber: Ausgleich für Deutschland 2:2
Geheimtipp: Mittwochs und freitags sind die Züge leerer. „Nach Corona hat sich das Reiseverhalten deutlich verändert“, sagt de Jongh. Es wird mehr von Zuhause gearbeitet, Präsenztage im Büro sind meist montags, dienstags, donnerstags. Denn mittwochs nachmittags haben viele Schulen zu: Familientag.
„Die Leute hier sind nicht so zahlreich in die Züge zurückgekommen wie in Deutschland“, sagt Corina de Jongh. In den Niederlanden wurde während Corona der öffentliche Nahverkehr fast auf Null gesetzt. Folge: Viele haben sich E-Zweitwagen oder E-Bike zugelegt für Wege, die sie sonst mit Bus und Bahn bewältigt haben.
„Dabei vergessen sie, dass ein Nachteil des Autos der Flächenfraß ist“, sagt Corina de Jongh. Die NS versucht gegenzuhalten: Bahnhöfe sind Verknüpfungspunkte für Leihräder, Parkplätze, Kiosk, Sauberkeit und Sicherheit – da geht der Pluspunkt an die Niederlande. Die Chipkaart hilft: Niemand kommt auf den Bahnsteig, der sich nicht vorher eingecheckt hat. Klar herausgespielt: 3:2 für die Niederlande.
Mit Personalmangel kämpfen die Niederländer jedoch genauso: Um kurzfristige Zugausfälle, wie sie im VRR gang und gäbe sind, zu vermeiden, wird das Zugangebot auf manchen Strecken mit Vorlauf reduziert. Nicht schön, weil es in den Zügen dann „erg druk“, ziemlich knubblig, wird, dafür aber ist der Fahrplan wenigstens verlässlich.
Deutschland könnte dagegen halten: die Züge, die bei uns ausfallen, sind im Durchschnitt etwas moderner, mehr USB-Buchsen und so. Aber: Züge die nicht kommen, zählen wir weder hier noch dort. Ein 1:1 nach Abseitstoren, das nix nutzt.
Beide Bahnen suchen verzweifelt Personal
Deswegen gibt es im Nachbarland Überlegungen, Züge automatisiert fahren zu lassen. „Ganz ohne Personal in den Zügen wird es nicht gehen“, sagt de Jongh. Eine Überlegung sei, statt Schaffner in den Zügen Personal auf den Stationen arbeiten zu lassen, damit sie dort das Ein- und Aussteigen überwachen. Doch dafür müssen Menschen gewonnen werden. So eint die Länder am ersten gemeinsamen Tag der Schiene eines: Es gilt, vor allem jüngeren Menschen wieder für die Bahn zu begeistern – als Reisende, aber vor allem als Arbeitskräfte.
Der Tag der Schiene beiderseits der Grenze. Alle Infos.
In den Niederlanden lassen sich am 15. und 16.9. u.a. die Königlichen Wartesäle in Amsterdam und Den Haag besichtigten. Beliebt: die Siemens-Lokfabrik in Rotterdam. Auch Venlo und Winterswijk sind Spielort. Info: www.raildagen.nl
In Deutschland (15. – 17.9) sind u.a. das Siemens-Prüfcenter in Wegberg, ICE-Werkstätten in Dortmund und Köln geöffnet. In Düsseldorf und Essen gibt es „Job-Speed-Dating“.tag-der-schiene.de