Münster. Das Oberverwaltungsgericht Münster muss sich mehr mit Klimathemen beschäftigen. 2021 dominierten noch die Corona-Klagen.

Es wäre „spekulativ“, zu sagen, die meisten Bürger in NRW hätten hinter den Coronaschutzmaßnahmen gestanden. „Aber die meisten haben die Maßnahmen akzeptiert“, sagte Sebastian Beimesche, Vizepräsident des Oberverwaltungsgerichts NRW gestern in Münster. Fest machte er dies an den Jahreszahlen für 2021: Rund 10.000 Klagen und Eilverfahren an den Verwaltungsgerichten zu Corona-Themen seien „angesichts von 18 Millionen Einwohner in NRW relativ gering.“ Dennoch machten diese Klagen eine Großteil aller Verfahren aus, so dass 2021 an den Verwaltungsgerichten „erneut durch die Pandemie geprägt war.“

Themen waren hierbei vielfältig: Es ging um schulische Fragen (Präsenzunterricht, Maskenpflicht, Tests), Impfungen, Betriebsuntersagungen im Einzelhandel, der Gastronomie oder Freizeit- und Sportbereich, Kontaktbeschränkungen sowie 3G- und 2G-Regelungen.

Neuer Senat nur für Windkraftverfahren soll im Juni die Arbeit aufnehmen

Darüber hinaus müssen sich die Verwaltungsgerichte zunehmend auch mit Klimathemen beschäftigten. Für die Bearbeitung von Streitigkeiten um Windkraftanlagen wird das OVG mit einem zusätzlichen, dann dem 22. Senat, personell verstärkt – mit einem Vorsitzenden und zwei weiteren Richtern. Sebastian Beimesche geht davon aus, dass der Senat ab Juli die bisherig für Windkraftverfahren zuständigen Senate 7 und 8 entlasten wird.

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Seit Ende 2020 ist das OVG für alle neuen Streitfälle um die Errichtung, den Betrieb und die Änderung von Windenergieanlagen in NRW mit einer Höhe von mehr als 50 Metern erstinstanzlich zuständig - und damit faktisch für alle neuen Anlagen. Rund 110 Klagen dieser Art sind inzwischen eingegangen. Dies führe zu einem höheren Bearbeitungsaufwand, auch weil nicht mehr auf Vorarbeiten der Verwaltungsgerichte „zu den vielfach schwierigen tatsächlichen und rechtlichen Fragen zurückgegriffen werden kann“, erklärt Gudrun Dahme, Vorsitzende Richterin und Pressedezernentin. Es klagten Investoren auf eine Genehmigung, Nachbarn, Gemeinden oder - in zahlenmäßig wenigen, dafür aber artenschutzrechtlich aufwendigen Verfahren - Naturschutzverbände gegen erteilte Genehmigungen für Windenergieanlagen. Angesichts des angestrebten stärkeren Ausbaus der erneuerbaren Energien rechne man mit einem Verfahrensanstieg.

Auch der Kohleabbau und die Kohleverstromung beschäftigen das OVG in mehreren Verfahren. Bis Ende März strebt das Gericht eine Entscheidung im Eilverfahren um die Inanspruchnahme von Grundstücken in Lützerath für den Braunkohletagebau Garzweiler II an. Ein Landwirt wendet sich gegen die vorzeitige Einweisung der RWE Power AG in den Besitz des Hofes am Rande der Abbruchkante.

Um Kohle geht es auch bei der Klage des BUND gegen die Genehmigungen für das Trianel-Steinkohlekraftwerk in Lünen, über das erneut entschieden werden soll. Ein anderes Umweltschutzthema betrifft das Streitverfahren, mit dem die Deutsche Umwelthilfe unter Berufung auf das Unionsrecht durchsetzen möchte, dass Deutschland das Aktionsprogramm zum Schutz von Gewässern vor Nitrat aus der Landwirtschaft fortschreibt.

Kiesverhandlung am 21. März

Ebenfalls in Kürze soll die Verhandlung in einem Eilverfahren fallen, in dem die Betreiberin einer 1964 als Campingplatz genehmigten Anlage in Schermbeck gegen eine Nutzungsuntersagung des Kreises Wesel klagt. Die Anlage sei formell illegal, weil weitestgehend ortsfeste und keine mobilen Unterkünfte vorhanden seien – und es gebe erhebliche brandschutzrechtliche Mängel, so die Begründung des Kreises. Erstinstanzlich ist die Campingplatzbetreiberin mit ihrer Beschwerde gescheitert. Sie argumentiert, nicht sie, sondern die Pächter seien verantwortlich, zudem habe der Kreis die Anlage gedudelt. 80 Pächter haben auf dem Campingplatz ihren ersten Wohnsitz.

Bereits fest datiert auf den 21. März ist der Verhandlungsbeginn der Klage der Kreise Wesel und Viersen sowie der Kommunen Kamp-Lintfort, Alpen, NeukirchenVluyn und Rheinberg gegen die Änderung des Landesentwicklungsplans betreffend den Kiesabbau – ein am Niederrhein mit Spannung erwartetes Verfahren.

Die Bilanz in Zahlen

  • Die Verwaltungsgerichte haben 2021 mehr als 56.000 erledigte Verfahren aus dem Spektrum des Verwaltungsrechts bilanziert.
  • Insgesamt sind rund 9.700 Corona-Klagen und 700 Eilverfahren bei den Verwaltungsgerichten eingegangen (2020: 850 bzw. 630), beim Oberverwaltungsgericht waren es rund 230 Hauptsache- und 440 Eilverfahren (2020: 150 bzw. 340). Damit stieg der Anteil der Corona-Verfahren an allen neuen Streitfällen bei den Verwaltungsgerichten von 3 % im Jahr 2020 auf 20 % im Jahr 2021 und beim Oberverwaltungsgericht von 6 % auf 9 %.
  • Einen Großteil der Coronaverfahren machten die Klagen von Unternehmen aus der fleischverarbeitenden Industrie auf Erstattung von Verdienstausfallentschädigungen, die sie während behördlich angeordneter Quarantäne an ihre Arbeitnehmer geleistet haben. 8.200 Fälle waren es allein bei den Verwaltungsgerichten Minden und Münster.
  • Die Zahl der neu eingegangen Asylverfahren sind um 15 % auf 13.762 zurückgegangen. Sie machten nur noch einen Anteil von einem Viertel an allen Neueingängen aus. Die Verfahrensdauer blieb mit durchschnittlich 12 Monaten bei Hauptsachen und 2 Monaten bei Eilsachen (jeweils ohne Asylverfahren) stabil.