Amsterdam. Die Niederlande wollen für Asylsuchende „so unattraktiv wie möglich“ werden – und den Asyl-Notstand ausrufen. Die Opposition ist empört.

Die Migrationsministerin tritt mit markigen Worten an die Öffentlichkeit. „Die Niederlande sind voll. Wir haben eine Asyl-Krise“, sagt Marjolein Faber, die von Rechtspopulist Geert Wilders ins Kabinett geschickte niederländische Ministerin für Asyl und Migration. Sie will einen Asyl-Notstand ausrufen und Teile des geltenden Einwanderungsgesetzes außer Kraft setzen. „Wir ergreifen Maßnahmen, um die Niederlande für Asylsuchende so unattraktiv wie möglich zu machen“, hat Faber kürzlich angekündigt.

Diese Maßnahmen sehen unter anderem den sofortigen Stopp des Rechts auf Familiennachzug vor. Außerdem sollen ein bis zwei Jahre lang keine weiteren Asyl-Anträge bearbeitet werden.

Ministerpräsident Schoof: Niederländer empfinden Asyl-Notstand

Üblicherweise erfordert eine derartige Gesetzesänderung vorherige Debatten und demokratische Abstimmungen im Parlament. Einzig in Sonderfällen, womit vor allem akute Notfälle wie Naturkatastrophen, Kriege oder Pandemien gemeint sind, ist es möglich, Maßnahmen und Gesetzesanpassungen nachträglich vom Parlament absegnen zu lassen. So geschehen beispielsweise während der Corona-Krise. 

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Ministerpräsident Dick Schoof verteidigt das Vorgehen seiner Regierung trotz dieser Hürden: „Die Menschen in unserem Land erfahren eine Asyl-Krise, darum kommen wir in Kürze mit einem Notstandsgesetz“, sagt der ehemalige Generaldirektor des Einwanderungs- und Einbürgerungsdienstes (IND) und des niederländischen Geheimdienstes.

EU-Kommission will für Niederlande keine Ausnahme machen

Im September haben die Niederlande bei der EU-Kommission offiziell einen sogenannten Opt-Out angefragt, also eine Ausnahme von der für alle EU-Länder geltenden Migrationsregelung. Allerdings hatte ein Sprecher der EU-Kommission dem niederländischen Rundfunk NOS bereits im Mai mitgeteilt, dass derartige Opt-Outs nicht zulässig seien, da sich jedes Land mit dem EU-Beitritt der geltenden Gesetzgebung verpflichte.

Asylministerin Marjolein Faber (vorne l.) und Ministerpräsident Dick Schoof (vorne 4. v.l.), hier bei einer Gedenkveranstaltung in Amsterdam zu Ehren der israelischen Opfer des Terrorangriffs der Hamas am 7. Oktober.
Asylministerin Marjolein Faber (vorne l.) und Ministerpräsident Dick Schoof (vorne 4. v.l.), hier bei einer Gedenkveranstaltung in Amsterdam zu Ehren der israelischen Opfer des Terrorangriffs der Hamas am 7. Oktober. © AFP | Robin Van Lonkhuijsen

Hinzu kommt, dass in den Niederlanden gar keine Möglichkeit besteht, einen Notstand einfach willkürlich auszurufen. Die Migrationszahlen stellen keine akute, unerwartete Situation dar, sondern wurden durch politisches Handeln seit langem herbeigeführt. So erklärt Mark Klaasen, Dozent für Migrationsrecht an der Universität Leiden: „Volle Asyl-Aufnahmezentren oder überlastete Asylverfahren sind keine Asylkrisen, sondern Probleme bei der Umsetzung der Asylpolitik. Und wenn man sich die Zahl der Asylanträge anschaut, die die Niederlande zu bearbeiten haben, liegen wir relativ gesehen im europäischen Durchschnitt.“

Flüchtlingszahlen in Niederlanden sinken

Das Inkrafttreten von Notstandsgesetzen erfordert zudem belegbare vorherige Maßnahmen mit dem Ziel, die Situation in den Griff zu bekommen. Erst wenn diese ergriffenen Maßnahmen nachweislich gescheitert wären, eröffnete sich die Möglichkeit eines Notstands.

Die Zahlen sprechen gegen das Narrativ Fabers, die der rechten Partei PVV angehört. Erhebungen des niederländischen Amts für Statistik (CBS) zeigen den letzten Höchstwert von 5000 Personen im Oktober 2023, seitdem sinken die Zahlen kontinuierlich. Aktuell (bis Juli 2024) liegt die Zahl der Ankommenden zwischen 2000 und 3000 Menschen pro Monat. Der von Faber angesprochene Familiennachzug umfasst monatlich rund 900 Personen. Bereits im August 2024 stellte der Sender BNNVara fest: „Lügende PVV-Ministerin Faber ruft einfach Asyl-Krise aus, die es gar nicht gibt“.

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Faber wird für ihr Vorhaben, das Mitspracherecht des Parlaments auszuhebeln, von der Opposition scharf als „undemokratisch“ kritisiert. „Das Kabinett stellt die Gefühle von Menschen über die Fakten, sagt Frans Timmermanns, Chef der grünlinken GroenLinks-PvdA. „Fakten tun eigentlich nichts zur Sache. Das ist es, was Schoof gesagt hat.“

Die Geflüchtetenorganisation VluchtelingenWerk wirft der Ministerin unverantwortliches Verhalten vor. In den Niederlanden herrsche keine Asyl-Krise. Diese Art von Politik diene einzig dazu, Teile des Einwanderungsgesetzes auszuhebeln. Es sei Unrecht, heißt es, Geflüchtete zum Sündenbock zu machen für politische Fehlentscheidungen in der Vergangenheit.