Utrecht. „Linke machen sich große Sorgen“: Gewerkschafter Bart Plaatje über die Folgen des niederländischen Rechtsrucks für Arbeitnehmer.

Die von der neuen Regierung angekündigte rigide Einwanderungspolitik verunsichert Vertreter der Wirtschaft und Arbeitnehmervertreter gleichermaßen. Im Juli hat die vier-Parteien-Koalition in Den Haag den Dienst aufgenommen und verfolgt eine rigorose Asylpolitik. Was bedeutet das für den Arbeitsmarkt, wohin steuern die Niederlande wirtschaftlich? Bart Plaatje, Generalsekretär der Gewerkschaft FNV, ist besorgt.

Herr Plaatje, im November 2023 hat die Mehrheit der Niederländer die rechtsextreme und islamfeindliche Partei PVV von Rechtspopulist Geert Wilders gewählt. Nach monatelangen Koalitionsverhandlungen haben die Niederlande seit acht Wochen die rechteste Regierung aller Zeiten. Waren Sie überrascht vom Rechtsruck?

Meine erste Reaktion war: Jetzt ist genau das passiert, was ich befürchtet habe. Auch wenn wir nicht überrascht waren, dass Menschen rechtsextrem gewählt haben, so waren wir doch geschockt zu sehen, wie viele Stimmen es waren. Mitglieder von uns, die in Berufen arbeiten, wo sie viel mit Menschen in Kontakt und ins Gespräch kommen – zum Beispiel Verkäufer oder Physiotherapeuten – haben es viel besser vorhersehen können als wir.

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Was ist die Stimmung innerhalb Ihrer Gewerkschaft?

Menschen, die politisch bewandert und links sind, machen sich große Sorgen. Aber ich glaube, dass die Durchschnittsbürger nicht abschätzen können, was da wirklich auf uns zukommt. Sie denken wahrscheinlich, dass wir es jetzt eben einfach mal mit einem anderen Ansatz versuchen, denn die Unzufriedenheit mit der bisherigen Politik ist groß.

Wilders will die Wirtschaft ankurbeln. Was erwarten Sie von ihm?

Wir sind auf der Hut. Aktuell werden die schönsten Dinge versprochen, aber wir nehmen an, dass es vor allem im Bereich der Sozialleistungen Kürzungen geben wird. Außerdem hat die Vergangenheit bereits gezeigt, dass Wilders noch viel radikaler Anti-Gewerkschaften ist, als Rutte es war. Er hat schon in jungen Jahren dazu publiziert. Wir werden sehen, wie er sich bei den nächsten Streiks von Bahn-Angestellten oder Hafen-Arbeitern verhält. Gerade wollen wir durchsetzen, dass Menschen, die schwere körperliche Arbeit leisten, früher in Rente gehen können. Da wird er möglicherweise einen Riegel vorschieben. Ich würde es ihm auch zutrauen, dass er versucht, Gewerkschaften zu verbieten oder das Streikrecht auszuhebeln.

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Seit Jahrzehnten profitiert der niederländische Arbeitsmarkt von Migranten aus EU-Niedriglohnländern, die zum Beispiel als Erntearbeiter oder in Verteilerzentren arbeiten. Wie geht es für diese Menschen weiter?

Ich sehe zwei desaströse Möglichkeiten. Entweder Wilders folgt dem Prinzip Großbritanniens und dreht den Hahn komplett zu. Oder die jetzigen Umstände werden beibehalten und vielleicht sogar noch verschlimmert. Aktuell hängt die Wohnung der Arbeitsmigranten oft vom Arbeitsvertrag ab. Sie werden bei Entlassung sozusagen über Nacht obdachlos. Das sollte eigentlich verboten werden. Aber ich traue es Wilders auch zu, dass er Menschen beispielsweise von den Philippinen kommen lässt, die dann im Krankheitsfall einfach auf die Straße gesetzt werden.

Mehr als zehn Jahre lang war Mark Rutte Ministerpräsident der Niederlande. Wie beurteilen Sie seine Amtszeit aus Sicht von Arbeitnehmern?

Wir haben in allen Sektoren einen Impact gesehen, auch im Bereich Dienstleistungen. Rutte war sehr gut darin, sich als liberal zu präsentieren, aber eigentlich war er knallhart rechts. Wir haben mal eine Aktion von Bankangestellten organisiert, der erste Bankenstreik in der Geschichte des Landes, und dann kam prompt ein persönlicher Anruf vom Ministerpräsidenten, dass das ja wohl gar nicht gehe. In den Niederlanden gibt es außerdem eine Reihe von Subventionen für Arbeitgeber, die die Löhne niedrig halten sollen. Sie bekommen Subventionen, wenn sie Menschen mit einem geringeren Einkommen einen Job mit einem unbefristeten Vertrag geben. Nur bedeutet das in der Regel – vor allem in Geschäften –, dass diese Unternehmer die Löhne niedrig halten müssen, um die Subvention zu erhalten. Die Arbeitgeber kassieren alles und die Arbeitnehmer werden an der kurzen Leine gehalten, vor allem im Dienstleistungssektor.

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Lassen sich die Mitglieder Ihrer Gewerkschaft einschüchtern?

Wir hatten im letzten Jahr eine Rekordzahl von Streiks in der niederländischen Geschichte und einen Rekordzuwachs an jungen Leuten als neue Mitglieder. Gerade die Altersklasse zwischen 25 und 45 ist noch nie so stark gewachsen wie in den letzten zwei Jahren. Die Menschen erkennen jetzt, dass eine Gewerkschaft wie die FNV eine echte Alternative sein kann bei Politikverdrossenheit. Wir wollen, dass die Leute verstehen, dass sie selbst die Macht haben, Dinge zu verändern. Das sehen wir sicher als Chance. Wir wollen mehr Kraft und Macht entwickeln. Nicht nur digital, sondern auch direkt vor den Toren der Betriebe.